verlassen und zur Armee gehen durfte, denn nur in der Armee fand man eine Freistatt. -- Eben so oft trifft man, ohne es zu ahnen, auf Männer, die während der Revolution große Rollen gespielt haben, und jetzt nicht einmal den Schein davon haben mögen, wenn sie gleich als Männer von Gefühl und Ehre handelten. Da ist z. B. der brave Schauspieler des Theaters francais, Michot, (der Einzige, den ich in gewißen launigten Rol- len mit Jffland vergleichen möchte,) der machte zwei Feldzüge mit, wurde blessirt, dann als Kommissair des Gouvernements an den General Montesquieu mit der Ordre geschickt, Savoyen zu besetzen. Dort machte er sich bei den Einwohnern sehr beliebt, weil er menschlich war, und nicht litt, daß man die Ceremonien der Re- ligion verspotte oder hindere. Bei seiner Zurückkunft ward er zum Deputirten, und zu verschiedenen andern Aemtern gewählt, war aber so klug, Alles auszuschla- gen: denn, hätte er sie angenommen, so wäre er, als ein Freund der Girondisten, sicher mit diesen guillotinirt worden. Er behielt also bloß seinen Platz unter der Na- tionalgarde, und übernahm oft die Wache bei Ludwig dem XVJ. Diesem erleichterte er sein Schicksal, so viel in seinen Kräften stand. Sah er sich unbeobachtet, so nahm er sogleich seinen Hut ab, nannte den König Sire und Votre Majeste. Auf sein Verlangen steckte er ihm auch den Tacitus und Gilblas zu. Der König hatte Vertrauen zu ihm und fragte Michot einigemal, was er wohl glaube, daß man mit ihm anfangen werde? -- Michot tröstete ihn stets mit der Aussicht, zu seinen Ver- wandten nach Spanien geschickt zu werden: denn Michot selbst hielt sich überzeugt, daß man zu keinem Extrem schreiten werde. Er sagt noch jetzt mit einer Ueberzeu-
verlassen und zur Armee gehen durfte, denn nur in der Armee fand man eine Freistatt. — Eben so oft trifft man, ohne es zu ahnen, auf Maͤnner, die waͤhrend der Revolution große Rollen gespielt haben, und jetzt nicht einmal den Schein davon haben moͤgen, wenn sie gleich als Maͤnner von Gefuͤhl und Ehre handelten. Da ist z. B. der brave Schauspieler des Théaters français, Michot, (der Einzige, den ich in gewißen launigten Rol- len mit Jffland vergleichen moͤchte,) der machte zwei Feldzuͤge mit, wurde blessirt, dann als Kommissair des Gouvernements an den General Montesquieu mit der Ordre geschickt, Savoyen zu besetzen. Dort machte er sich bei den Einwohnern sehr beliebt, weil er menschlich war, und nicht litt, daß man die Ceremonien der Re- ligion verspotte oder hindere. Bei seiner Zuruͤckkunft ward er zum Deputirten, und zu verschiedenen andern Aemtern gewaͤhlt, war aber so klug, Alles auszuschla- gen: denn, haͤtte er sie angenommen, so waͤre er, als ein Freund der Girondisten, sicher mit diesen guillotinirt worden. Er behielt also bloß seinen Platz unter der Na- tionalgarde, und uͤbernahm oft die Wache bei Ludwig dem XVJ. Diesem erleichterte er sein Schicksal, so viel in seinen Kraͤften stand. Sah er sich unbeobachtet, so nahm er sogleich seinen Hut ab, nannte den Koͤnig Sire und Votre Majesté. Auf sein Verlangen steckte er ihm auch den Tacitus und Gilblas zu. Der Koͤnig hatte Vertrauen zu ihm und fragte Michot einigemal, was er wohl glaube, daß man mit ihm anfangen werde? — Michot troͤstete ihn stets mit der Aussicht, zu seinen Ver- wandten nach Spanien geschickt zu werden: denn Michot selbst hielt sich uͤberzeugt, daß man zu keinem Extrem schreiten werde. Er sagt noch jetzt mit einer Ueberzeu-
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0160"n="160"/>
verlassen und zur Armee gehen durfte, denn nur in der<lb/>
Armee fand man eine Freistatt. — Eben so oft trifft<lb/>
man, ohne es zu ahnen, auf Maͤnner, die waͤhrend der<lb/>
Revolution große Rollen gespielt haben, und jetzt nicht<lb/>
einmal den Schein davon haben moͤgen, wenn sie gleich<lb/>
als Maͤnner von Gefuͤhl und Ehre handelten. Da ist<lb/>
z. B. der brave Schauspieler des Théaters français,<lb/>
Michot, (der Einzige, den ich in gewißen launigten Rol-<lb/>
len mit Jffland vergleichen moͤchte,) der machte zwei<lb/>
Feldzuͤge mit, wurde blessirt, dann als Kommissair des<lb/>
Gouvernements an den General Montesquieu mit der<lb/>
Ordre geschickt, Savoyen zu besetzen. Dort machte er<lb/>
sich bei den Einwohnern sehr beliebt, weil er menschlich<lb/>
war, und nicht litt, daß man die Ceremonien der Re-<lb/>
ligion verspotte oder hindere. Bei seiner Zuruͤckkunft<lb/>
ward er zum Deputirten, und zu verschiedenen andern<lb/>
Aemtern gewaͤhlt, war aber so klug, Alles auszuschla-<lb/>
gen: denn, haͤtte er sie angenommen, so waͤre er, als<lb/>
ein Freund der Girondisten, sicher mit diesen guillotinirt<lb/>
worden. Er behielt also bloß seinen Platz unter der Na-<lb/>
tionalgarde, und uͤbernahm oft die Wache bei Ludwig<lb/>
dem XVJ. Diesem erleichterte er sein Schicksal, so viel<lb/>
in seinen Kraͤften stand. Sah er sich unbeobachtet, so<lb/>
nahm er sogleich seinen Hut ab, nannte den Koͤnig Sire<lb/>
und Votre Majesté. Auf sein Verlangen steckte er ihm<lb/>
auch den Tacitus und Gilblas zu. Der Koͤnig hatte<lb/>
Vertrauen zu ihm und fragte Michot einigemal, was er<lb/>
wohl glaube, daß man mit ihm anfangen werde? —<lb/>
Michot troͤstete ihn stets mit der Aussicht, zu seinen Ver-<lb/>
wandten nach Spanien geschickt zu werden: denn Michot<lb/>
selbst hielt sich uͤberzeugt, daß man zu keinem Extrem<lb/>
schreiten werde. Er sagt noch jetzt mit einer Ueberzeu-<lb/></p></div></body></text></TEI>
[160/0160]
verlassen und zur Armee gehen durfte, denn nur in der
Armee fand man eine Freistatt. — Eben so oft trifft
man, ohne es zu ahnen, auf Maͤnner, die waͤhrend der
Revolution große Rollen gespielt haben, und jetzt nicht
einmal den Schein davon haben moͤgen, wenn sie gleich
als Maͤnner von Gefuͤhl und Ehre handelten. Da ist
z. B. der brave Schauspieler des Théaters français,
Michot, (der Einzige, den ich in gewißen launigten Rol-
len mit Jffland vergleichen moͤchte,) der machte zwei
Feldzuͤge mit, wurde blessirt, dann als Kommissair des
Gouvernements an den General Montesquieu mit der
Ordre geschickt, Savoyen zu besetzen. Dort machte er
sich bei den Einwohnern sehr beliebt, weil er menschlich
war, und nicht litt, daß man die Ceremonien der Re-
ligion verspotte oder hindere. Bei seiner Zuruͤckkunft
ward er zum Deputirten, und zu verschiedenen andern
Aemtern gewaͤhlt, war aber so klug, Alles auszuschla-
gen: denn, haͤtte er sie angenommen, so waͤre er, als
ein Freund der Girondisten, sicher mit diesen guillotinirt
worden. Er behielt also bloß seinen Platz unter der Na-
tionalgarde, und uͤbernahm oft die Wache bei Ludwig
dem XVJ. Diesem erleichterte er sein Schicksal, so viel
in seinen Kraͤften stand. Sah er sich unbeobachtet, so
nahm er sogleich seinen Hut ab, nannte den Koͤnig Sire
und Votre Majesté. Auf sein Verlangen steckte er ihm
auch den Tacitus und Gilblas zu. Der Koͤnig hatte
Vertrauen zu ihm und fragte Michot einigemal, was er
wohl glaube, daß man mit ihm anfangen werde? —
Michot troͤstete ihn stets mit der Aussicht, zu seinen Ver-
wandten nach Spanien geschickt zu werden: denn Michot
selbst hielt sich uͤberzeugt, daß man zu keinem Extrem
schreiten werde. Er sagt noch jetzt mit einer Ueberzeu-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Die "Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804" von Au… [mehr]
Die "Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804" von August von Kotzebue erschienen 1804 in einer einbändigen Ausgabe im Frölich-Verlag, Berlin. Im gleichen Jahr wurde diese Ausgabe als zweibändige Ausgabe in einem Band im Titel als "unveränderte Auflage" bezeichnet, herausgegeben. Das Deutsche Textarchiv hat den Text der 3. unveränderten Auflage im Rahmen einer Kuration herausgegeben.
Kotzebue, August von: Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804. Bd. 2. Berlin, 1804, S. 160. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kotzebue_erinnerungen02_1804/160>, abgerufen am 27.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.