Sie steht Jedermann offen. Der Besitzer ist so gefäl- lig, wenn Fremde kommen, sich in andere Zimmer zurück- zuziehen. Jch habe sie zweymal gesehen; das letztemal in Gegenwart des äußerst liebenswürdigen Besitzers, der nicht allein durch seine anspruchlos geäußerte Kenntnisse mir merkwürdig, sondern besonders auch durch sein häus- liches Benehmen interessant wurde. Sein Kind auf den Armen tragend, mit ihm spielend, mit mir sprechend, einfach in Kleidung und Manieren, hat er mir eine lieb- gewordene Erinnerung zurückgelassen.
Seine Gallerie ist auserlesen, und hier hab' ich ein Bild gefunden, welches unter den vielen tausend Bil- dern, die ich in meinem Leben sah, den tiefsten, bleibend- sten, unauslöschlichsten Eindruck auf mich gemacht hat. Es ist Markus Sextus, von einem jungen, leider! kränklichen Maler, Guerin. Markus Sextus kommt nach Hause, und findet seine Frau todt. Da steht er vor der Leiche, hat die blasse, erkaltete Hand zwischen den Fingern seiner beyden Hände, und starrt vor sich hin. Seine Tochter schmiegt sich weinend um seine Füße. Das ist die ganze Gruppe, deren Totalef- fekt durch Nichts gestört wird. Tiefer hat nie ein Ma- ler oder Dichter empfunden, als dieser Guerin; spre- chender ist nie die stumme Verzweiflung ausgedrückt wor- den. Die Seele des Markus Sextus ist aufgelöst, und nur die letzte Empfindung vor ihrer Auflösung blieb im
Lucian Bonaparte's Gemaͤlde-Gallerie.
Sie steht Jedermann offen. Der Besitzer ist so gefaͤl- lig, wenn Fremde kommen, sich in andere Zimmer zuruͤck- zuziehen. Jch habe sie zweymal gesehen; das letztemal in Gegenwart des aͤußerst liebenswuͤrdigen Besitzers, der nicht allein durch seine anspruchlos geaͤußerte Kenntnisse mir merkwuͤrdig, sondern besonders auch durch sein haͤus- liches Benehmen interessant wurde. Sein Kind auf den Armen tragend, mit ihm spielend, mit mir sprechend, einfach in Kleidung und Manieren, hat er mir eine lieb- gewordene Erinnerung zuruͤckgelassen.
Seine Gallerie ist auserlesen, und hier hab' ich ein Bild gefunden, welches unter den vielen tausend Bil- dern, die ich in meinem Leben sah, den tiefsten, bleibend- sten, unausloͤschlichsten Eindruck auf mich gemacht hat. Es ist Markus Sextus, von einem jungen, leider! kraͤnklichen Maler, Guérin. Markus Sextus kommt nach Hause, und findet seine Frau todt. Da steht er vor der Leiche, hat die blasse, erkaltete Hand zwischen den Fingern seiner beyden Haͤnde, und starrt vor sich hin. Seine Tochter schmiegt sich weinend um seine Fuͤße. Das ist die ganze Gruppe, deren Totalef- fekt durch Nichts gestoͤrt wird. Tiefer hat nie ein Ma- ler oder Dichter empfunden, als dieser Guérin; spre- chender ist nie die stumme Verzweiflung ausgedruͤckt wor- den. Die Seele des Markus Sextus ist aufgeloͤst, und nur die letzte Empfindung vor ihrer Aufloͤsung blieb im
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Lucian Bonaparte's Gemaͤlde-Gallerie.
Sie steht Jedermann offen. Der Besitzer ist so gefaͤl-
lig, wenn Fremde kommen, sich in andere Zimmer zuruͤck-
zuziehen. Jch habe sie zweymal gesehen; das letztemal
in Gegenwart des aͤußerst liebenswuͤrdigen Besitzers, der
nicht allein durch seine anspruchlos geaͤußerte Kenntnisse
mir merkwuͤrdig, sondern besonders auch durch sein haͤus-
liches Benehmen interessant wurde. Sein Kind auf
den Armen tragend, mit ihm spielend, mit mir sprechend,
einfach in Kleidung und Manieren, hat er mir eine lieb-
gewordene Erinnerung zuruͤckgelassen.
Seine Gallerie ist auserlesen, und hier hab' ich
ein Bild gefunden, welches unter den vielen tausend Bil-
dern, die ich in meinem Leben sah, den tiefsten, bleibend-
sten, unausloͤschlichsten Eindruck auf mich gemacht hat.
Es ist Markus Sextus, von einem jungen, leider!
kraͤnklichen Maler, Guérin. Markus Sextus kommt
nach Hause, und findet seine Frau todt. Da
steht er vor der Leiche, hat die blasse, erkaltete Hand
zwischen den Fingern seiner beyden Haͤnde, und starrt
vor sich hin. Seine Tochter schmiegt sich weinend um
seine Fuͤße. Das ist die ganze Gruppe, deren Totalef-
fekt durch Nichts gestoͤrt wird. Tiefer hat nie ein Ma-
ler oder Dichter empfunden, als dieser Guérin; spre-
chender ist nie die stumme Verzweiflung ausgedruͤckt wor-
den. Die Seele des Markus Sextus ist aufgeloͤst, und
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Die "Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804" von Au… [mehr]
Die "Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804" von August von Kotzebue erschienen 1804 in einer einbändigen Ausgabe im Frölich-Verlag, Berlin. Im gleichen Jahr wurde diese Ausgabe als zweibändige Ausgabe in einem Band im Titel als "unveränderte Auflage" bezeichnet, herausgegeben. Das Deutsche Textarchiv hat den Text der 3. unveränderten Auflage im Rahmen einer Kuration herausgegeben.
Kotzebue, August von: Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804. Bd. 2. Berlin, 1804, S. 109. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kotzebue_erinnerungen02_1804/109>, abgerufen am 08.07.2024.
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