anderer zu verstehen. Beweisen ließ sich das freilich nicht, aber wirklich gehört Mercier nicht unter die Lieblinge der Regierung.
Der Leser wird so gerecht seyn zu gestehen, daß ich das viele Gute und Große am ersten Konsul in dem, was ich über ihn gesagt, nicht verkannt, daß ich gern und mit Wärme über ihn gesprochen habe: ich bin aber weit ent- fernt, mich zum Heer seiner Schmeichler zu gesellen, und es muß mir daher vergönnt seyn, eben so freimüthig zu bekennen, daß ich manches an ihm mir nicht genügend zu erklären weiß, und daß ich zum Beispiel sein Benehmen gegen Frau von Stael tadelnswerth finde, so lange es ihm nicht beliebt, Gründe dafür anzugeben. Jn dem Augenblick, da ich dieses schreibe, habe ich Frau von Stael noch nicht gesehen, und kenne sie blos aus ihren geistrei- chen Schriften; aber als Bürger der literarischen Repub- lik, die alle andere Republiken überleben wird, muß ich die Prophezeihung unterschreiben, welche die hochherzige Frau gegen den ersten Konsul eben so schön als kräftig aus- drückte: Vous me donnez une cruelle illustration, je tiendrai une ligne dans Votre histoire.
Als der erste Konsul am 10 Brümaire plötzlich seine Reise nach den Seeküsten antrat, wußte wenige Stunden vorher noch Niemand etwas davon; ja er soll noch am selbigen Morgen Papiere an die Minister gesandt haben, mit dem Auftrage, ihm des andern Tages darüber Bericht zu erstatten. Zu zweien seiner Adjutanten sagte er ganz kurz: "sie würden ihn auf seiner Reise begleiten" und fügte die Frage hinzu: "ob sie viel Zeit zu den Vorberei- "tungen nöthig hätten?" -- Diese, welche glaubten, es sey wenigstens von einigen Tagen die Rede, antworte- ten mit Nein. "Wohlan," sagte der erste Konsul, "so
anderer zu verstehen. Beweisen ließ sich das freilich nicht, aber wirklich gehoͤrt Mercier nicht unter die Lieblinge der Regierung.
Der Leser wird so gerecht seyn zu gestehen, daß ich das viele Gute und Große am ersten Konsul in dem, was ich uͤber ihn gesagt, nicht verkannt, daß ich gern und mit Waͤrme uͤber ihn gesprochen habe: ich bin aber weit ent- fernt, mich zum Heer seiner Schmeichler zu gesellen, und es muß mir daher vergoͤnnt seyn, eben so freimuͤthig zu bekennen, daß ich manches an ihm mir nicht genuͤgend zu erklaͤren weiß, und daß ich zum Beispiel sein Benehmen gegen Frau von Stael tadelnswerth finde, so lange es ihm nicht beliebt, Gruͤnde dafuͤr anzugeben. Jn dem Augenblick, da ich dieses schreibe, habe ich Frau von Stael noch nicht gesehen, und kenne sie blos aus ihren geistrei- chen Schriften; aber als Buͤrger der literarischen Repub- lik, die alle andere Republiken uͤberleben wird, muß ich die Prophezeihung unterschreiben, welche die hochherzige Frau gegen den ersten Konsul eben so schoͤn als kraͤftig aus- druͤckte: Vous me donnez une cruelle illustration, je tiendrai une ligne dans Votre histoire.
Als der erste Konsul am 10 Bruͤmaire ploͤtzlich seine Reise nach den Seekuͤsten antrat, wußte wenige Stunden vorher noch Niemand etwas davon; ja er soll noch am selbigen Morgen Papiere an die Minister gesandt haben, mit dem Auftrage, ihm des andern Tages daruͤber Bericht zu erstatten. Zu zweien seiner Adjutanten sagte er ganz kurz: „sie wuͤrden ihn auf seiner Reise begleiten“ und fuͤgte die Frage hinzu: „ob sie viel Zeit zu den Vorberei- „tungen noͤthig haͤtten?“ — Diese, welche glaubten, es sey wenigstens von einigen Tagen die Rede, antworte- ten mit Nein. „Wohlan,“ sagte der erste Konsul, „so
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anderer zu verstehen. Beweisen ließ sich das freilich nicht,
aber wirklich gehoͤrt Mercier nicht unter die Lieblinge der
Regierung.
Der Leser wird so gerecht seyn zu gestehen, daß ich
das viele Gute und Große am ersten Konsul in dem, was
ich uͤber ihn gesagt, nicht verkannt, daß ich gern und mit
Waͤrme uͤber ihn gesprochen habe: ich bin aber weit ent-
fernt, mich zum Heer seiner Schmeichler zu gesellen, und
es muß mir daher vergoͤnnt seyn, eben so freimuͤthig zu
bekennen, daß ich manches an ihm mir nicht genuͤgend zu
erklaͤren weiß, und daß ich zum Beispiel sein Benehmen
gegen Frau von Stael tadelnswerth finde, so lange
es ihm nicht beliebt, Gruͤnde dafuͤr anzugeben. Jn dem
Augenblick, da ich dieses schreibe, habe ich Frau von Stael
noch nicht gesehen, und kenne sie blos aus ihren geistrei-
chen Schriften; aber als Buͤrger der literarischen Repub-
lik, die alle andere Republiken uͤberleben wird, muß ich
die Prophezeihung unterschreiben, welche die hochherzige
Frau gegen den ersten Konsul eben so schoͤn als kraͤftig aus-
druͤckte: Vous me donnez une cruelle illustration, je
tiendrai une ligne dans Votre histoire.
Als der erste Konsul am 10 Bruͤmaire ploͤtzlich seine
Reise nach den Seekuͤsten antrat, wußte wenige Stunden
vorher noch Niemand etwas davon; ja er soll noch am
selbigen Morgen Papiere an die Minister gesandt haben,
mit dem Auftrage, ihm des andern Tages daruͤber Bericht
zu erstatten. Zu zweien seiner Adjutanten sagte er ganz
kurz: „sie wuͤrden ihn auf seiner Reise begleiten“ und
fuͤgte die Frage hinzu: „ob sie viel Zeit zu den Vorberei-
„tungen noͤthig haͤtten?“ — Diese, welche glaubten, es
sey wenigstens von einigen Tagen die Rede, antworte-
ten mit Nein. „Wohlan,“ sagte der erste Konsul, „so
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Die "Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804" von Au… [mehr]
Die "Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804" von August von Kotzebue erschienen 1804 in einer einbändigen Ausgabe im Frölich-Verlag, Berlin. Im gleichen Jahr wurde diese Ausgabe als zweibändige Ausgabe in einem Band im Titel als "unveränderte Auflage" bezeichnet, herausgegeben. Das Deutsche Textarchiv hat den Text der 3. unveränderten Auflage im Rahmen einer Kuration herausgegeben.
Kotzebue, August von: Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804. Bd. 1. Berlin, 1804, S. 89. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kotzebue_erinnerungen01_1804/93>, abgerufen am 27.07.2024.
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