der die Fahnen wallen, an der die geflügelten Reiter auf und nieder eilen. Ein frohes Gemurmel verkündet des Kö- nigs Erscheinen; den ungeheuren Körper belebt ein einziges Wort, und Eine Seele bewegt die zahllosen Glieder. -- Mir aber, liebe Freundin, war das herrliche Schauspiel unserer Herbstmanövers zu groß und fröhlich; es überfiel mich eine Angst bei all der lauten Freude, und nur im tie- fen stillen Sande hinter Potsdam, von düstern Nadelwäl- dern eingeschlossen, athmete ich wieder freier. -- Auch in Stuttgard waren, kurz vor meiner Ankunft, Manövers gehalten worden, von welchen ein dichterischer Zeitungs- schreiber in einer Wirtembergischen Zeitung versichert: sie hätten eine schöne Physiognomie gehabt. Manö- vers mit Physiognomien! so weit haben die Preu- ßen es doch noch nicht gebracht. Bald wird vielleicht ein militärischer Lavater herumreisen, um die Manövers zu silhouetiren und eine Physiognomik derselben her- auszugeben.
Zwischen Wittenberg und Düben.
Giebt es wohl einen Reisenden in diesen Gegenden, der noch nicht über die Sächsischen Landstraßen geklagt oder geflucht hätte? Giebt es wohl einen Nichtreisenden, dem solche Klagen und Flüche nicht unzähliche Mal zu Oh- ren gekommen wären? -- Wenn die Chineser, die bekannt- lich keinen Fremden bei sich dulden mögen, durch schlechte Landstraßen ihnen das Reisen erschwerten, so wäre das kein Wunder; daß aber in Leipzig jährlich drei Messen ge- halten werden, und daß viele tausend Fremde die Produk- te aller Länder auf grundlosen Wegen dahin führen müs- sen, während ihre mannichfaltigen Abgaben die ohnehin ge- füllten Kassen überströmen: das -- ist allerdings ein Wun-
der die Fahnen wallen, an der die gefluͤgelten Reiter auf und nieder eilen. Ein frohes Gemurmel verkuͤndet des Koͤ- nigs Erscheinen; den ungeheuren Koͤrper belebt ein einziges Wort, und Eine Seele bewegt die zahllosen Glieder. — Mir aber, liebe Freundin, war das herrliche Schauspiel unserer Herbstmanoͤvers zu groß und froͤhlich; es uͤberfiel mich eine Angst bei all der lauten Freude, und nur im tie- fen stillen Sande hinter Potsdam, von duͤstern Nadelwaͤl- dern eingeschlossen, athmete ich wieder freier. — Auch in Stuttgard waren, kurz vor meiner Ankunft, Manoͤvers gehalten worden, von welchen ein dichterischer Zeitungs- schreiber in einer Wirtembergischen Zeitung versichert: sie haͤtten eine schoͤne Physiognomie gehabt. Manoͤ- vers mit Physiognomien! so weit haben die Preu- ßen es doch noch nicht gebracht. Bald wird vielleicht ein militaͤrischer Lavater herumreisen, um die Manoͤvers zu silhouetiren und eine Physiognomik derselben her- auszugeben.
Zwischen Wittenberg und Duͤben.
Giebt es wohl einen Reisenden in diesen Gegenden, der noch nicht uͤber die Saͤchsischen Landstraßen geklagt oder geflucht haͤtte? Giebt es wohl einen Nichtreisenden, dem solche Klagen und Fluͤche nicht unzaͤhliche Mal zu Oh- ren gekommen waͤren? — Wenn die Chineser, die bekannt- lich keinen Fremden bei sich dulden moͤgen, durch schlechte Landstraßen ihnen das Reisen erschwerten, so waͤre das kein Wunder; daß aber in Leipzig jaͤhrlich drei Messen ge- halten werden, und daß viele tausend Fremde die Produk- te aller Laͤnder auf grundlosen Wegen dahin fuͤhren muͤs- sen, waͤhrend ihre mannichfaltigen Abgaben die ohnehin ge- fuͤllten Kassen uͤberstroͤmen: das — ist allerdings ein Wun-
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der die Fahnen wallen, an der die gefluͤgelten Reiter auf
und nieder eilen. Ein frohes Gemurmel verkuͤndet des Koͤ-
nigs Erscheinen; den ungeheuren Koͤrper belebt ein einziges
Wort, und Eine Seele bewegt die zahllosen Glieder. —
Mir aber, liebe Freundin, war das herrliche Schauspiel
unserer Herbstmanoͤvers zu groß und froͤhlich; es uͤberfiel
mich eine Angst bei all der lauten Freude, und nur im tie-
fen stillen Sande hinter Potsdam, von duͤstern Nadelwaͤl-
dern eingeschlossen, athmete ich wieder freier. — Auch in
Stuttgard waren, kurz vor meiner Ankunft, Manoͤvers
gehalten worden, von welchen ein dichterischer Zeitungs-
schreiber in einer Wirtembergischen Zeitung versichert: sie
haͤtten eine schoͤne Physiognomie gehabt. Manoͤ-
vers mit Physiognomien! so weit haben die Preu-
ßen es doch noch nicht gebracht. Bald wird vielleicht ein
militaͤrischer Lavater herumreisen, um die Manoͤvers
zu silhouetiren und eine Physiognomik derselben her-
auszugeben.
Zwischen Wittenberg und Duͤben.
Giebt es wohl einen Reisenden in diesen Gegenden,
der noch nicht uͤber die Saͤchsischen Landstraßen geklagt oder
geflucht haͤtte? Giebt es wohl einen Nichtreisenden,
dem solche Klagen und Fluͤche nicht unzaͤhliche Mal zu Oh-
ren gekommen waͤren? — Wenn die Chineser, die bekannt-
lich keinen Fremden bei sich dulden moͤgen, durch schlechte
Landstraßen ihnen das Reisen erschwerten, so waͤre das
kein Wunder; daß aber in Leipzig jaͤhrlich drei Messen ge-
halten werden, und daß viele tausend Fremde die Produk-
te aller Laͤnder auf grundlosen Wegen dahin fuͤhren muͤs-
sen, waͤhrend ihre mannichfaltigen Abgaben die ohnehin ge-
fuͤllten Kassen uͤberstroͤmen: das — ist allerdings ein Wun-
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Die "Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804" von Au… [mehr]
Die "Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804" von August von Kotzebue erschienen 1804 in einer einbändigen Ausgabe im Frölich-Verlag, Berlin. Im gleichen Jahr wurde diese Ausgabe als zweibändige Ausgabe in einem Band im Titel als "unveränderte Auflage" bezeichnet, herausgegeben. Das Deutsche Textarchiv hat den Text der 3. unveränderten Auflage im Rahmen einer Kuration herausgegeben.
Kotzebue, August von: Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804. Bd. 1. Berlin, 1804, S. 5. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kotzebue_erinnerungen01_1804/9>, abgerufen am 01.08.2024.
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