Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kotzebue, August von: Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804. Bd. 1. Berlin, 1804.

Bild:
<< vorherige Seite

ke? Oder fehlte ihm nur mein Wohlstand noch zu seinem
Ruhme? -- Nein, auf solche Spitzfündigkeiten läßt sich
das Volk nicht ein. Je glücklicher es ist, desto weniger
denkt es an den Urheber seines Glücks; denn die Völker
machen es mit ihren Regenten, wie die Menschen über-
haupt mit Gott, sie klagen oder murren nicht eher, als
bis es ihnen übel geht, gleichviel ob mit oder ohne ihre
Schuld.

Schwer mag es seyn, auf einem solchen Posten die
Menschen noch zu lieben oder gar zu achten. Wenn
jeder der sich naht, das Herz verschließt und nur die Hand
öffnet, um zu empfangen; wenn jeder seine schönsten Far-
ben breit zur Schau legt, wie die Blumen beim Sonnen-
schein, und geschwind die Blätter zusammen faltet, wenn
eine Regenwolke vorüber zieht; wenn alle und alle nur
durch Ehrgeiz oder Habsucht an den Thron, und nicht an
den, der darauf sitzt, gefesselt sind: wenn Alle morgen dem
neuen Herrscher dasselbe vorlispeln, was sie heute dem alten
vorgelispelt haben: sagt mir ums Himmelswillen, wo soll
Achtung für die Menschheit herkommen? -- Nur ein
Freund, in der wahren Bedeutung des Wortes, ein
Freund wie Sülly es Heinrich dem Vierten war, kann
des Regenten Herz vor dieser starren Kälte bewahren, die
unvermeidlich sonst ihn menschenfeindlich ergreifen muß.

Doch ist das, wie gesagt, nur für ihn ein Unglück,
nicht für sein Volk; denn das wird entweder gar nicht nach
der Quelle seines Glückes fragen, oder recht gern der Lie-
be
beimessen, was die Ruhmsucht erzeugte.

Als ich nach Paris kam, war ich äußerst begierig,
den gefeierten Helden des Jahrhunderts zu sehen. Eini-
ge Tage verstrichen, mein Wunsch blieb unerfüllt. End-
lich eines Abends im Theatre francais, wurde die Vor-

ke? Oder fehlte ihm nur mein Wohlstand noch zu seinem
Ruhme? — Nein, auf solche Spitzfuͤndigkeiten laͤßt sich
das Volk nicht ein. Je gluͤcklicher es ist, desto weniger
denkt es an den Urheber seines Gluͤcks; denn die Voͤlker
machen es mit ihren Regenten, wie die Menschen uͤber-
haupt mit Gott, sie klagen oder murren nicht eher, als
bis es ihnen uͤbel geht, gleichviel ob mit oder ohne ihre
Schuld.

Schwer mag es seyn, auf einem solchen Posten die
Menschen noch zu lieben oder gar zu achten. Wenn
jeder der sich naht, das Herz verschließt und nur die Hand
oͤffnet, um zu empfangen; wenn jeder seine schoͤnsten Far-
ben breit zur Schau legt, wie die Blumen beim Sonnen-
schein, und geschwind die Blaͤtter zusammen faltet, wenn
eine Regenwolke voruͤber zieht; wenn alle und alle nur
durch Ehrgeiz oder Habsucht an den Thron, und nicht an
den, der darauf sitzt, gefesselt sind: wenn Alle morgen dem
neuen Herrscher dasselbe vorlispeln, was sie heute dem alten
vorgelispelt haben: sagt mir ums Himmelswillen, wo soll
Achtung fuͤr die Menschheit herkommen? — Nur ein
Freund, in der wahren Bedeutung des Wortes, ein
Freund wie Suͤlly es Heinrich dem Vierten war, kann
des Regenten Herz vor dieser starren Kaͤlte bewahren, die
unvermeidlich sonst ihn menschenfeindlich ergreifen muß.

Doch ist das, wie gesagt, nur fuͤr ihn ein Ungluͤck,
nicht fuͤr sein Volk; denn das wird entweder gar nicht nach
der Quelle seines Gluͤckes fragen, oder recht gern der Lie-
be
beimessen, was die Ruhmsucht erzeugte.

Als ich nach Paris kam, war ich aͤußerst begierig,
den gefeierten Helden des Jahrhunderts zu sehen. Eini-
ge Tage verstrichen, mein Wunsch blieb unerfuͤllt. End-
lich eines Abends im Théatre francais, wurde die Vor-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0076" n="72"/>
ke? Oder fehlte ihm nur mein Wohlstand noch zu seinem<lb/><hi rendition="#g">Ruhme?</hi> &#x2014; Nein, auf solche Spitzfu&#x0364;ndigkeiten la&#x0364;ßt sich<lb/>
das Volk nicht ein. Je glu&#x0364;cklicher es ist, desto weniger<lb/>
denkt es an den Urheber seines Glu&#x0364;cks; denn die Vo&#x0364;lker<lb/>
machen es mit ihren Regenten, wie die Menschen u&#x0364;ber-<lb/>
haupt mit Gott, sie klagen oder murren nicht eher, als<lb/>
bis es ihnen u&#x0364;bel geht, gleichviel ob mit oder ohne ihre<lb/>
Schuld.</p><lb/>
            <p>Schwer mag es seyn, auf einem solchen Posten die<lb/>
Menschen noch zu <hi rendition="#g">lieben</hi> oder gar zu <hi rendition="#g">achten.</hi> Wenn<lb/>
jeder der sich naht, das Herz verschließt und nur die Hand<lb/>
o&#x0364;ffnet, um zu empfangen; wenn jeder seine scho&#x0364;nsten Far-<lb/>
ben breit zur Schau legt, wie die Blumen beim Sonnen-<lb/>
schein, und geschwind die Bla&#x0364;tter zusammen faltet, wenn<lb/>
eine Regenwolke voru&#x0364;ber zieht; wenn alle und alle nur<lb/>
durch Ehrgeiz oder Habsucht an den Thron, und nicht an<lb/>
den, der darauf sitzt, gefesselt sind: wenn Alle morgen dem<lb/>
neuen Herrscher dasselbe vorlispeln, was sie heute dem alten<lb/>
vorgelispelt haben: sagt mir ums Himmelswillen, wo soll<lb/>
Achtung fu&#x0364;r die Menschheit herkommen? &#x2014; Nur ein<lb/><hi rendition="#g">Freund,</hi> in der wahren Bedeutung des Wortes, ein<lb/><hi rendition="#g">Freund</hi> wie Su&#x0364;lly es Heinrich dem Vierten war, kann<lb/>
des Regenten Herz vor dieser starren Ka&#x0364;lte bewahren, die<lb/>
unvermeidlich sonst ihn menschenfeindlich ergreifen <hi rendition="#g">muß.</hi></p><lb/>
            <p>Doch ist das, wie gesagt, nur fu&#x0364;r <hi rendition="#g">ihn</hi> ein Unglu&#x0364;ck,<lb/>
nicht fu&#x0364;r sein Volk; denn das wird entweder gar nicht nach<lb/>
der Quelle seines Glu&#x0364;ckes fragen, oder recht gern der <hi rendition="#g">Lie-<lb/>
be</hi> beimessen, was die <hi rendition="#g">Ruhmsucht</hi> erzeugte.</p><lb/>
            <p>Als ich nach Paris kam, war ich a&#x0364;ußerst begierig,<lb/>
den gefeierten Helden des Jahrhunderts zu sehen. Eini-<lb/>
ge Tage verstrichen, mein Wunsch blieb unerfu&#x0364;llt. End-<lb/>
lich eines Abends im Théatre francais, wurde die Vor-<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[72/0076] ke? Oder fehlte ihm nur mein Wohlstand noch zu seinem Ruhme? — Nein, auf solche Spitzfuͤndigkeiten laͤßt sich das Volk nicht ein. Je gluͤcklicher es ist, desto weniger denkt es an den Urheber seines Gluͤcks; denn die Voͤlker machen es mit ihren Regenten, wie die Menschen uͤber- haupt mit Gott, sie klagen oder murren nicht eher, als bis es ihnen uͤbel geht, gleichviel ob mit oder ohne ihre Schuld. Schwer mag es seyn, auf einem solchen Posten die Menschen noch zu lieben oder gar zu achten. Wenn jeder der sich naht, das Herz verschließt und nur die Hand oͤffnet, um zu empfangen; wenn jeder seine schoͤnsten Far- ben breit zur Schau legt, wie die Blumen beim Sonnen- schein, und geschwind die Blaͤtter zusammen faltet, wenn eine Regenwolke voruͤber zieht; wenn alle und alle nur durch Ehrgeiz oder Habsucht an den Thron, und nicht an den, der darauf sitzt, gefesselt sind: wenn Alle morgen dem neuen Herrscher dasselbe vorlispeln, was sie heute dem alten vorgelispelt haben: sagt mir ums Himmelswillen, wo soll Achtung fuͤr die Menschheit herkommen? — Nur ein Freund, in der wahren Bedeutung des Wortes, ein Freund wie Suͤlly es Heinrich dem Vierten war, kann des Regenten Herz vor dieser starren Kaͤlte bewahren, die unvermeidlich sonst ihn menschenfeindlich ergreifen muß. Doch ist das, wie gesagt, nur fuͤr ihn ein Ungluͤck, nicht fuͤr sein Volk; denn das wird entweder gar nicht nach der Quelle seines Gluͤckes fragen, oder recht gern der Lie- be beimessen, was die Ruhmsucht erzeugte. Als ich nach Paris kam, war ich aͤußerst begierig, den gefeierten Helden des Jahrhunderts zu sehen. Eini- ge Tage verstrichen, mein Wunsch blieb unerfuͤllt. End- lich eines Abends im Théatre francais, wurde die Vor-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Die "Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804" von Au… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kotzebue_erinnerungen01_1804
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kotzebue_erinnerungen01_1804/76
Zitationshilfe: Kotzebue, August von: Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804. Bd. 1. Berlin, 1804, S. 72. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kotzebue_erinnerungen01_1804/76>, abgerufen am 21.11.2024.