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Kotzebue, August von: Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804. Bd. 1. Berlin, 1804.

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nung bei diesen Bastard-Mahlzeiten; da ist weder Un-
terhaltung noch Suppe, weder Bonmot noch Gebrate-
nes. Derbe kalte Schüsseln, eben so schwer zu verdau-
en, als mancher derber Midas, der dabei sitzt. Ca-
lembours statt Witz, Sticheleien statt Epigramme, Aus-
gelassenheit statt Fröhlichkeit, und, um das Ganze zu
würzen, ein Ton, an den sich zu gewöhnen, den Re-
sten der ehemaligen guten Gesellschaft, unmöglich wird.
Dabei herrscht oft noch obendrein eine Arroganz, die
mit dem republikanischen Sinn gar seltsam contrastirt.
Die ducs und pairs der Monarchie waren sehr viel höf-
licher als die fournisseurs der Republik.

Die Soupers können unmöglich wieder in Aufnah-
me kommen, so lange Sitten und Gewohnheiten nicht
eine ganz andere Richtung nehmen. Ein vernünftiger
Mensch hat um zwei Uhr des Morgens kein anderes
Bedürfniß, als sich schlafen zu legen; das ist aber ge-
rade die Stunde, wo man sich zum Abendessen setzt.
Die heutigen Thees sind auch der Gesundheit weit nach-
theiliger als die vormaligen Soupers. Vor Zeiten setz-
te man sich um 10 Uhr zu Tisch und stand spätestens um
Mitternacht auf, aber nicht etwa, um gleich fort zu ge-
hen, (wie die neuere artige Sitte erheischt), sondern man
begab sich zurück in das Gesellschaftszimmer, man schick-
te die Bedienten hinaus, und nun wurde die Unterhal-
tung erst noch recht lebendig. Dann ließ man Hof und
Minister en revue passiren, erzählte sich leise die scan-
daleusen Anekdoten, wiederholte ein Epigramm oder
Couplet des Tages. Das waren die Augenblicke der
Vertraulichkeit, die schönsten für den Mann von Geist,
den Beobachter; selten wurde gespielt. -- Was thut
man jetzt? Der Geist, wie wir sehen, hat bei der Um-

nung bei diesen Bastard-Mahlzeiten; da ist weder Un-
terhaltung noch Suppe, weder Bonmot noch Gebrate-
nes. Derbe kalte Schuͤsseln, eben so schwer zu verdau-
en, als mancher derber Midas, der dabei sitzt. Ca-
lembours statt Witz, Sticheleien statt Epigramme, Aus-
gelassenheit statt Froͤhlichkeit, und, um das Ganze zu
wuͤrzen, ein Ton, an den sich zu gewoͤhnen, den Re-
sten der ehemaligen guten Gesellschaft, unmoͤglich wird.
Dabei herrscht oft noch obendrein eine Arroganz, die
mit dem republikanischen Sinn gar seltsam contrastirt.
Die ducs und pairs der Monarchie waren sehr viel hoͤf-
licher als die fournisseurs der Republik.

Die Soupers koͤnnen unmoͤglich wieder in Aufnah-
me kommen, so lange Sitten und Gewohnheiten nicht
eine ganz andere Richtung nehmen. Ein vernuͤnftiger
Mensch hat um zwei Uhr des Morgens kein anderes
Beduͤrfniß, als sich schlafen zu legen; das ist aber ge-
rade die Stunde, wo man sich zum Abendessen setzt.
Die heutigen Thees sind auch der Gesundheit weit nach-
theiliger als die vormaligen Soupers. Vor Zeiten setz-
te man sich um 10 Uhr zu Tisch und stand spaͤtestens um
Mitternacht auf, aber nicht etwa, um gleich fort zu ge-
hen, (wie die neuere artige Sitte erheischt), sondern man
begab sich zuruͤck in das Gesellschaftszimmer, man schick-
te die Bedienten hinaus, und nun wurde die Unterhal-
tung erst noch recht lebendig. Dann ließ man Hof und
Minister en revue passiren, erzaͤhlte sich leise die scan-
daleusen Anekdoten, wiederholte ein Epigramm oder
Couplet des Tages. Das waren die Augenblicke der
Vertraulichkeit, die schoͤnsten fuͤr den Mann von Geist,
den Beobachter; selten wurde gespielt. — Was thut
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[165/0169] nung bei diesen Bastard-Mahlzeiten; da ist weder Un- terhaltung noch Suppe, weder Bonmot noch Gebrate- nes. Derbe kalte Schuͤsseln, eben so schwer zu verdau- en, als mancher derber Midas, der dabei sitzt. Ca- lembours statt Witz, Sticheleien statt Epigramme, Aus- gelassenheit statt Froͤhlichkeit, und, um das Ganze zu wuͤrzen, ein Ton, an den sich zu gewoͤhnen, den Re- sten der ehemaligen guten Gesellschaft, unmoͤglich wird. Dabei herrscht oft noch obendrein eine Arroganz, die mit dem republikanischen Sinn gar seltsam contrastirt. Die ducs und pairs der Monarchie waren sehr viel hoͤf- licher als die fournisseurs der Republik. Die Soupers koͤnnen unmoͤglich wieder in Aufnah- me kommen, so lange Sitten und Gewohnheiten nicht eine ganz andere Richtung nehmen. Ein vernuͤnftiger Mensch hat um zwei Uhr des Morgens kein anderes Beduͤrfniß, als sich schlafen zu legen; das ist aber ge- rade die Stunde, wo man sich zum Abendessen setzt. Die heutigen Thees sind auch der Gesundheit weit nach- theiliger als die vormaligen Soupers. Vor Zeiten setz- te man sich um 10 Uhr zu Tisch und stand spaͤtestens um Mitternacht auf, aber nicht etwa, um gleich fort zu ge- hen, (wie die neuere artige Sitte erheischt), sondern man begab sich zuruͤck in das Gesellschaftszimmer, man schick- te die Bedienten hinaus, und nun wurde die Unterhal- tung erst noch recht lebendig. Dann ließ man Hof und Minister en revue passiren, erzaͤhlte sich leise die scan- daleusen Anekdoten, wiederholte ein Epigramm oder Couplet des Tages. Das waren die Augenblicke der Vertraulichkeit, die schoͤnsten fuͤr den Mann von Geist, den Beobachter; selten wurde gespielt. — Was thut man jetzt? Der Geist, wie wir sehen, hat bei der Um-

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Zitationshilfe: Kotzebue, August von: Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804. Bd. 1. Berlin, 1804, S. 165. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kotzebue_erinnerungen01_1804/169>, abgerufen am 18.05.2024.