Kotzebue, August von: Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804. Bd. 1. Berlin, 1804.
Eroberung aus Venedig, Florenz, Neapel, Turin Eine heilige Familie von Andreas del Sarto
Eroberung aus Venedig, Florenz, Neapel, Turin Eine heilige Familie von Andreas del Sarto <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><hi rendition="#g"><pb facs="#f0144" n="140"/> Eroberung</hi> aus Venedig, Florenz, Neapel, Turin<lb/> und Bologna. Die Phantasie ergreifend ist die <hi rendition="#g">Suͤh-<lb/> nung</hi> eines <hi rendition="#g">unwilkuͤhrlichen Verbrechens des<lb/> heiligen Julian.</hi> Der arme Mann hatte das Un-<lb/> gluͤck gehabt, Vater und Mutter zu morden, weil er<lb/> sie in seinem Bette fand, und durch die Nacht getaͤuscht,<lb/> glaubte, es waͤre seine Frau mit ihrem Liebhaber. Um<lb/> die Suͤnde abzubuͤßen, floh er mit seinem Weibe an das<lb/> Ufer eines reißenden Stromes, uͤber welchen zu setzen<lb/> sehr gefaͤhrlich war; hier gruͤndete er ein Hospital fuͤr<lb/> die Armen und Nothleidenden. Einst mitten im Win-<lb/> ter, um Mitternacht, hoͤrt er am jenseitigen Ufer eine<lb/> klagende Stimme, er eilt hinuͤber, und findet einen ar-<lb/> men Aussaͤtzigen, traͤgt ihn durch den Fluß, versucht<lb/> ihn zu erwaͤrmen, und, da ihm das am Feuer nicht ge-<lb/> lingt, legt er ihn in sein eignes Bett. Ploͤtzlich umgiebt<lb/> Himmelsglanz den Kranken; er versichert den frommen<lb/> Wirth, daß durch dessen gastfreie Barmherzigkeit nun-<lb/> mehr sein Verbrechen getilgt sey, und verschwindet.<lb/> Der Maler (Allori aus Florenz im XVJ. Jahrhundert),<lb/> hat den Augenblick gewaͤhlt und trefflich dargestellt, wo<lb/> der heilige Julian dem Armen aus dem Boote hilft.</p><lb/> <p>Eine heilige Familie von <hi rendition="#g">Andreas del Sarto</hi><lb/> ist unaussprechlich lieblich; aber in Wehmuth versinket<lb/> man mit einer knieenden Figur, (von dem Roͤmer Fe-<lb/> ti). Sehr deutlich sagt ihr Blick, der auf einem Tod-<lb/> ten-Kopfe ruht: <hi rendition="#g">ich habe Alles verloren!</hi> — He-<lb/> lenens Entfuͤhrung von <hi rendition="#g">Guido Reni</hi> ist ein schoͤnes,<lb/> aber laͤcherliches Bild. Laͤßt sichs wohl denken, daß<lb/> bei einer hastigen Entfuͤhrung die Geliebte an alle ihre<lb/> Kostbarkeiten, und sogar an ihr <hi rendition="#g">Schooshuͤndchen</hi><lb/> denken werde? Auch mag es im gemeinen Leben wohl<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [140/0144]
Eroberung aus Venedig, Florenz, Neapel, Turin
und Bologna. Die Phantasie ergreifend ist die Suͤh-
nung eines unwilkuͤhrlichen Verbrechens des
heiligen Julian. Der arme Mann hatte das Un-
gluͤck gehabt, Vater und Mutter zu morden, weil er
sie in seinem Bette fand, und durch die Nacht getaͤuscht,
glaubte, es waͤre seine Frau mit ihrem Liebhaber. Um
die Suͤnde abzubuͤßen, floh er mit seinem Weibe an das
Ufer eines reißenden Stromes, uͤber welchen zu setzen
sehr gefaͤhrlich war; hier gruͤndete er ein Hospital fuͤr
die Armen und Nothleidenden. Einst mitten im Win-
ter, um Mitternacht, hoͤrt er am jenseitigen Ufer eine
klagende Stimme, er eilt hinuͤber, und findet einen ar-
men Aussaͤtzigen, traͤgt ihn durch den Fluß, versucht
ihn zu erwaͤrmen, und, da ihm das am Feuer nicht ge-
lingt, legt er ihn in sein eignes Bett. Ploͤtzlich umgiebt
Himmelsglanz den Kranken; er versichert den frommen
Wirth, daß durch dessen gastfreie Barmherzigkeit nun-
mehr sein Verbrechen getilgt sey, und verschwindet.
Der Maler (Allori aus Florenz im XVJ. Jahrhundert),
hat den Augenblick gewaͤhlt und trefflich dargestellt, wo
der heilige Julian dem Armen aus dem Boote hilft.
Eine heilige Familie von Andreas del Sarto
ist unaussprechlich lieblich; aber in Wehmuth versinket
man mit einer knieenden Figur, (von dem Roͤmer Fe-
ti). Sehr deutlich sagt ihr Blick, der auf einem Tod-
ten-Kopfe ruht: ich habe Alles verloren! — He-
lenens Entfuͤhrung von Guido Reni ist ein schoͤnes,
aber laͤcherliches Bild. Laͤßt sichs wohl denken, daß
bei einer hastigen Entfuͤhrung die Geliebte an alle ihre
Kostbarkeiten, und sogar an ihr Schooshuͤndchen
denken werde? Auch mag es im gemeinen Leben wohl
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