Eroberung aus Venedig, Florenz, Neapel, Turin und Bologna. Die Phantasie ergreifend ist die Süh- nung eines unwilkührlichen Verbrechens des heiligen Julian. Der arme Mann hatte das Un- glück gehabt, Vater und Mutter zu morden, weil er sie in seinem Bette fand, und durch die Nacht getäuscht, glaubte, es wäre seine Frau mit ihrem Liebhaber. Um die Sünde abzubüßen, floh er mit seinem Weibe an das Ufer eines reißenden Stromes, über welchen zu setzen sehr gefährlich war; hier gründete er ein Hospital für die Armen und Nothleidenden. Einst mitten im Win- ter, um Mitternacht, hört er am jenseitigen Ufer eine klagende Stimme, er eilt hinüber, und findet einen ar- men Aussätzigen, trägt ihn durch den Fluß, versucht ihn zu erwärmen, und, da ihm das am Feuer nicht ge- lingt, legt er ihn in sein eignes Bett. Plötzlich umgiebt Himmelsglanz den Kranken; er versichert den frommen Wirth, daß durch dessen gastfreie Barmherzigkeit nun- mehr sein Verbrechen getilgt sey, und verschwindet. Der Maler (Allori aus Florenz im XVJ. Jahrhundert), hat den Augenblick gewählt und trefflich dargestellt, wo der heilige Julian dem Armen aus dem Boote hilft.
Eine heilige Familie von Andreas del Sarto ist unaussprechlich lieblich; aber in Wehmuth versinket man mit einer knieenden Figur, (von dem Römer Fe- ti). Sehr deutlich sagt ihr Blick, der auf einem Tod- ten-Kopfe ruht: ich habe Alles verloren! -- He- lenens Entführung von Guido Reni ist ein schönes, aber lächerliches Bild. Läßt sichs wohl denken, daß bei einer hastigen Entführung die Geliebte an alle ihre Kostbarkeiten, und sogar an ihr Schooshündchen denken werde? Auch mag es im gemeinen Leben wohl
Eroberung aus Venedig, Florenz, Neapel, Turin und Bologna. Die Phantasie ergreifend ist die Suͤh- nung eines unwilkuͤhrlichen Verbrechens des heiligen Julian. Der arme Mann hatte das Un- gluͤck gehabt, Vater und Mutter zu morden, weil er sie in seinem Bette fand, und durch die Nacht getaͤuscht, glaubte, es waͤre seine Frau mit ihrem Liebhaber. Um die Suͤnde abzubuͤßen, floh er mit seinem Weibe an das Ufer eines reißenden Stromes, uͤber welchen zu setzen sehr gefaͤhrlich war; hier gruͤndete er ein Hospital fuͤr die Armen und Nothleidenden. Einst mitten im Win- ter, um Mitternacht, hoͤrt er am jenseitigen Ufer eine klagende Stimme, er eilt hinuͤber, und findet einen ar- men Aussaͤtzigen, traͤgt ihn durch den Fluß, versucht ihn zu erwaͤrmen, und, da ihm das am Feuer nicht ge- lingt, legt er ihn in sein eignes Bett. Ploͤtzlich umgiebt Himmelsglanz den Kranken; er versichert den frommen Wirth, daß durch dessen gastfreie Barmherzigkeit nun- mehr sein Verbrechen getilgt sey, und verschwindet. Der Maler (Allori aus Florenz im XVJ. Jahrhundert), hat den Augenblick gewaͤhlt und trefflich dargestellt, wo der heilige Julian dem Armen aus dem Boote hilft.
Eine heilige Familie von Andreas del Sarto ist unaussprechlich lieblich; aber in Wehmuth versinket man mit einer knieenden Figur, (von dem Roͤmer Fe- ti). Sehr deutlich sagt ihr Blick, der auf einem Tod- ten-Kopfe ruht: ich habe Alles verloren! — He- lenens Entfuͤhrung von Guido Reni ist ein schoͤnes, aber laͤcherliches Bild. Laͤßt sichs wohl denken, daß bei einer hastigen Entfuͤhrung die Geliebte an alle ihre Kostbarkeiten, und sogar an ihr Schooshuͤndchen denken werde? Auch mag es im gemeinen Leben wohl
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Eroberung aus Venedig, Florenz, Neapel, Turin
und Bologna. Die Phantasie ergreifend ist die Suͤh-
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heiligen Julian. Der arme Mann hatte das Un-
gluͤck gehabt, Vater und Mutter zu morden, weil er
sie in seinem Bette fand, und durch die Nacht getaͤuscht,
glaubte, es waͤre seine Frau mit ihrem Liebhaber. Um
die Suͤnde abzubuͤßen, floh er mit seinem Weibe an das
Ufer eines reißenden Stromes, uͤber welchen zu setzen
sehr gefaͤhrlich war; hier gruͤndete er ein Hospital fuͤr
die Armen und Nothleidenden. Einst mitten im Win-
ter, um Mitternacht, hoͤrt er am jenseitigen Ufer eine
klagende Stimme, er eilt hinuͤber, und findet einen ar-
men Aussaͤtzigen, traͤgt ihn durch den Fluß, versucht
ihn zu erwaͤrmen, und, da ihm das am Feuer nicht ge-
lingt, legt er ihn in sein eignes Bett. Ploͤtzlich umgiebt
Himmelsglanz den Kranken; er versichert den frommen
Wirth, daß durch dessen gastfreie Barmherzigkeit nun-
mehr sein Verbrechen getilgt sey, und verschwindet.
Der Maler (Allori aus Florenz im XVJ. Jahrhundert),
hat den Augenblick gewaͤhlt und trefflich dargestellt, wo
der heilige Julian dem Armen aus dem Boote hilft.
Eine heilige Familie von Andreas del Sarto
ist unaussprechlich lieblich; aber in Wehmuth versinket
man mit einer knieenden Figur, (von dem Roͤmer Fe-
ti). Sehr deutlich sagt ihr Blick, der auf einem Tod-
ten-Kopfe ruht: ich habe Alles verloren! — He-
lenens Entfuͤhrung von Guido Reni ist ein schoͤnes,
aber laͤcherliches Bild. Laͤßt sichs wohl denken, daß
bei einer hastigen Entfuͤhrung die Geliebte an alle ihre
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Die "Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804" von Au… [mehr]
Die "Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804" von August von Kotzebue erschienen 1804 in einer einbändigen Ausgabe im Frölich-Verlag, Berlin. Im gleichen Jahr wurde diese Ausgabe als zweibändige Ausgabe in einem Band im Titel als "unveränderte Auflage" bezeichnet, herausgegeben. Das Deutsche Textarchiv hat den Text der 3. unveränderten Auflage im Rahmen einer Kuration herausgegeben.
Kotzebue, August von: Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804. Bd. 1. Berlin, 1804, S. 140. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kotzebue_erinnerungen01_1804/144>, abgerufen am 08.07.2024.
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