Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kotzebue, August von: Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804. Bd. 1. Berlin, 1804.

Bild:
<< vorherige Seite

Das sey genug von dem neuen Vorzug, den Pa-
ris durch Lenoirs Enthusiasmus sich erworben. Jeder
Reisende wird gewiß in den ersten Tagen seines Aufent-
halts zu den petits Augustins eilen. Es ist da noch
sehr viel zu sehen, wovon ich nicht ein Wort erwähnt
habe, und ein Kunstkenner der beurtheilt, wird
noch zwanzigmal mehr davon sagen können, als ich,
der ich blos empfand.

Das Museum Napoleon.
J. Gemälde-Gallerie.

Ehe ich ein Wort über diesen reichsten Kunstschatz auf
dem ganzen Erdboden schreibe, muß ich mit den Lesern
mich über das verständigen, was sie von meiner Be-
schreibung zu erwarten haben. Jch muß nemlich das
traurige Bekenntniß ablegen, daß ich so unglücklich bin,
zu allen Kunstwerken mein Gefühl mitzubringen, und
sogar immer zuerst mein Gefühl. Jch weiß recht gut,
und habe von unserer gewaltigen neuen Schule oft ge-
hört, daß ein Kunstwerk gar nicht auf das Gefühl
wirken darf, und muß: daß es ein elendes Machwerk
ist, sobald es dergleichen thut; daß es die Natur nicht
nachahmen oder gar erreichen darf, weil es sonst unaus-
stehlich gemein ist; daß es völlig gleich viel gilt, an wel-
chem Gegenstande die Kunst sich übt, u. s. w. Alle
diese schönen und einleuchtenden Wahrheiten bin ich so
unglücklich mit einem Ohr zu hören und zu dem andern
wieder herausgehen zu lassen. Jch frage nicht vorher:

Das sey genug von dem neuen Vorzug, den Pa-
ris durch Lenoirs Enthusiasmus sich erworben. Jeder
Reisende wird gewiß in den ersten Tagen seines Aufent-
halts zu den petits Augustins eilen. Es ist da noch
sehr viel zu sehen, wovon ich nicht ein Wort erwaͤhnt
habe, und ein Kunstkenner der beurtheilt, wird
noch zwanzigmal mehr davon sagen koͤnnen, als ich,
der ich blos empfand.

Das Museum Napoleon.
J. Gemaͤlde-Gallerie.

Ehe ich ein Wort uͤber diesen reichsten Kunstschatz auf
dem ganzen Erdboden schreibe, muß ich mit den Lesern
mich uͤber das verstaͤndigen, was sie von meiner Be-
schreibung zu erwarten haben. Jch muß nemlich das
traurige Bekenntniß ablegen, daß ich so ungluͤcklich bin,
zu allen Kunstwerken mein Gefuͤhl mitzubringen, und
sogar immer zuerst mein Gefuͤhl. Jch weiß recht gut,
und habe von unserer gewaltigen neuen Schule oft ge-
hoͤrt, daß ein Kunstwerk gar nicht auf das Gefuͤhl
wirken darf, und muß: daß es ein elendes Machwerk
ist, sobald es dergleichen thut; daß es die Natur nicht
nachahmen oder gar erreichen darf, weil es sonst unaus-
stehlich gemein ist; daß es voͤllig gleich viel gilt, an wel-
chem Gegenstande die Kunst sich uͤbt, u. s. w. Alle
diese schoͤnen und einleuchtenden Wahrheiten bin ich so
ungluͤcklich mit einem Ohr zu hoͤren und zu dem andern
wieder herausgehen zu lassen. Jch frage nicht vorher:

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0142" n="138"/>
            <p>Das sey genug von dem neuen Vorzug, den Pa-<lb/>
ris durch Lenoirs Enthusiasmus sich erworben. Jeder<lb/>
Reisende wird gewiß in den ersten Tagen seines Aufent-<lb/>
halts zu den petits Augustins eilen. Es ist da noch<lb/>
sehr viel zu sehen, wovon ich nicht ein Wort erwa&#x0364;hnt<lb/>
habe, und ein Kunstkenner der <hi rendition="#g">beurtheilt,</hi> wird<lb/>
noch zwanzigmal mehr davon sagen ko&#x0364;nnen, als ich,<lb/>
der ich blos <hi rendition="#g">empfand.</hi></p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head>Das Museum Napoleon.</head><lb/>
            <div n="4">
              <head>J. Gema&#x0364;lde-Gallerie.</head><lb/>
              <p>Ehe ich ein Wort u&#x0364;ber diesen reichsten Kunstschatz auf<lb/>
dem ganzen Erdboden schreibe, muß ich mit den Lesern<lb/>
mich u&#x0364;ber das versta&#x0364;ndigen, was sie von <hi rendition="#g">meiner</hi> Be-<lb/>
schreibung zu erwarten haben. Jch muß nemlich das<lb/>
traurige Bekenntniß ablegen, daß ich so unglu&#x0364;cklich bin,<lb/>
zu allen Kunstwerken mein <hi rendition="#g">Gefu&#x0364;hl</hi> mitzubringen, und<lb/>
sogar immer <hi rendition="#g">zuerst</hi> mein Gefu&#x0364;hl. Jch weiß recht gut,<lb/>
und habe von unserer gewaltigen neuen Schule oft ge-<lb/>
ho&#x0364;rt, daß ein Kunstwerk <hi rendition="#g">gar nicht</hi> auf das Gefu&#x0364;hl<lb/>
wirken <hi rendition="#g">darf,</hi> und <hi rendition="#g">muß:</hi> daß es ein elendes Machwerk<lb/>
ist, sobald es dergleichen thut; daß es die Natur nicht<lb/>
nachahmen oder gar erreichen darf, weil es sonst unaus-<lb/>
stehlich gemein ist; daß es vo&#x0364;llig gleich viel gilt, an wel-<lb/>
chem <hi rendition="#g">Gegenstande</hi> die Kunst sich u&#x0364;bt, u. s. w. Alle<lb/>
diese scho&#x0364;nen und einleuchtenden Wahrheiten bin ich so<lb/>
unglu&#x0364;cklich mit einem Ohr zu ho&#x0364;ren und zu dem andern<lb/>
wieder herausgehen zu lassen. Jch frage nicht vorher:<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[138/0142] Das sey genug von dem neuen Vorzug, den Pa- ris durch Lenoirs Enthusiasmus sich erworben. Jeder Reisende wird gewiß in den ersten Tagen seines Aufent- halts zu den petits Augustins eilen. Es ist da noch sehr viel zu sehen, wovon ich nicht ein Wort erwaͤhnt habe, und ein Kunstkenner der beurtheilt, wird noch zwanzigmal mehr davon sagen koͤnnen, als ich, der ich blos empfand. Das Museum Napoleon. J. Gemaͤlde-Gallerie. Ehe ich ein Wort uͤber diesen reichsten Kunstschatz auf dem ganzen Erdboden schreibe, muß ich mit den Lesern mich uͤber das verstaͤndigen, was sie von meiner Be- schreibung zu erwarten haben. Jch muß nemlich das traurige Bekenntniß ablegen, daß ich so ungluͤcklich bin, zu allen Kunstwerken mein Gefuͤhl mitzubringen, und sogar immer zuerst mein Gefuͤhl. Jch weiß recht gut, und habe von unserer gewaltigen neuen Schule oft ge- hoͤrt, daß ein Kunstwerk gar nicht auf das Gefuͤhl wirken darf, und muß: daß es ein elendes Machwerk ist, sobald es dergleichen thut; daß es die Natur nicht nachahmen oder gar erreichen darf, weil es sonst unaus- stehlich gemein ist; daß es voͤllig gleich viel gilt, an wel- chem Gegenstande die Kunst sich uͤbt, u. s. w. Alle diese schoͤnen und einleuchtenden Wahrheiten bin ich so ungluͤcklich mit einem Ohr zu hoͤren und zu dem andern wieder herausgehen zu lassen. Jch frage nicht vorher:

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Die "Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804" von Au… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kotzebue_erinnerungen01_1804
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kotzebue_erinnerungen01_1804/142
Zitationshilfe: Kotzebue, August von: Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804. Bd. 1. Berlin, 1804, S. 138. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kotzebue_erinnerungen01_1804/142>, abgerufen am 17.05.2024.