Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kosegarten, Ludwig Gotthard: Poesieen. Bd. 1. Leipzig, 1798.

Bild:
<< vorherige Seite

Sinnend weilte sie unter den Blumen, der Blumen
vergessend.
Aus dem Schlummer der Nacht verstörten sie ängst-
liche Träume.

Haining, Haining, wie dass du der traulichen
Stunde nicht wahrnahmst!
Hättest dir offen gefunden das Herz des zärtlichen
Mädchens,
Hättest sie durch das Leben geleitet, ein rettender
Schutzgeist.
Haining, Haining, wie dass du, zu blöde, nicht
wagtest die Hoffnung!
Warst ja edlerer Seele, wenn gleich nicht edleren
Blutes.
Sieben Nächte durchwachte das schwärmende
Mädchen. Die achte
Träumte sie schwer. Ihr däucht' am Busen des
reizendsten Jünglings
Lustberauscht zu ruhn. In Schauerentzücken zer-
flossen,
Fühlte sie sich in seinen umflechtenden Armen --
und plötzlich,
Plötzlich -- o Schrecken! entschlüpft ihr der Buhle,
verwandelt, vergrässlicht
Sich in ein zähnefletschend Gespenst, erhebet sich,
schwingt sich

Sinnend weilte sie unter den Blumen, der Blumen
vergessend.
Aus dem Schlummer der Nacht verstörten sie ängst-
liche Träume.

Haining, Haining, wie daſs du der traulichen
Stunde nicht wahrnahmst!
Hättest dir offen gefunden das Herz des zärtlichen
Mädchens,
Hättest sie durch das Leben geleitet, ein rettender
Schutzgeist.
Haining, Haining, wie daſs du, zu blöde, nicht
wagtest die Hoffnung!
Warst ja edlerer Seele, wenn gleich nicht edleren
Blutes.
Sieben Nächte durchwachte das schwärmende
Mädchen. Die achte
Träumte sie schwer. Ihr däucht' am Busen des
reizendsten Jünglings
Lustberauscht zu ruhn. In Schauerentzücken zer-
flossen,
Fühlte sie sich in seinen umflechtenden Armen —
und plötzlich,
Plötzlich — o Schrecken! entschlüpft ihr der Buhle,
verwandelt, vergräſslicht
Sich in ein zähnefletschend Gespenst, erhebet sich,
schwingt sich
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <lg type="poem">
            <lg n="20">
              <pb facs="#f0311" n="265"/>
              <l>Sinnend weilte sie unter den Blumen, der Blumen</l><lb/>
              <l>vergessend.</l><lb/>
              <l>Aus dem Schlummer der Nacht verstörten sie ängst-</l><lb/>
              <l>liche Träume.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="21">
              <l>Haining, Haining, wie da&#x017F;s du der traulichen</l><lb/>
              <l>Stunde nicht wahrnahmst!</l><lb/>
              <l>Hättest dir offen gefunden das Herz des zärtlichen</l><lb/>
              <l>Mädchens,</l><lb/>
              <l>Hättest sie durch das Leben geleitet, ein rettender</l><lb/>
              <l>Schutzgeist.</l><lb/>
              <l>Haining, Haining, wie da&#x017F;s du, zu blöde, nicht</l><lb/>
              <l>wagtest die Hoffnung!</l><lb/>
              <l>Warst ja edlerer Seele, wenn gleich nicht edleren</l><lb/>
              <l>Blutes.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="22">
              <l>Sieben Nächte durchwachte das schwärmende</l><lb/>
              <l>Mädchen. Die achte</l><lb/>
              <l>Träumte sie schwer. Ihr däucht' am Busen des</l><lb/>
              <l>reizendsten Jünglings</l><lb/>
              <l>Lustberauscht zu ruhn. In Schauerentzücken zer-</l><lb/>
              <l>flossen,</l><lb/>
              <l>Fühlte sie sich in seinen umflechtenden Armen &#x2014;</l><lb/>
              <l>und plötzlich,</l><lb/>
              <l>Plötzlich &#x2014; o Schrecken! entschlüpft ihr der Buhle,</l><lb/>
              <l>verwandelt, vergrä&#x017F;slicht</l><lb/>
              <l>Sich in ein zähnefletschend Gespenst, erhebet sich,</l><lb/>
              <l>schwingt sich</l><lb/>
            </lg>
          </lg>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[265/0311] Sinnend weilte sie unter den Blumen, der Blumen vergessend. Aus dem Schlummer der Nacht verstörten sie ängst- liche Träume. Haining, Haining, wie daſs du der traulichen Stunde nicht wahrnahmst! Hättest dir offen gefunden das Herz des zärtlichen Mädchens, Hättest sie durch das Leben geleitet, ein rettender Schutzgeist. Haining, Haining, wie daſs du, zu blöde, nicht wagtest die Hoffnung! Warst ja edlerer Seele, wenn gleich nicht edleren Blutes. Sieben Nächte durchwachte das schwärmende Mädchen. Die achte Träumte sie schwer. Ihr däucht' am Busen des reizendsten Jünglings Lustberauscht zu ruhn. In Schauerentzücken zer- flossen, Fühlte sie sich in seinen umflechtenden Armen — und plötzlich, Plötzlich — o Schrecken! entschlüpft ihr der Buhle, verwandelt, vergräſslicht Sich in ein zähnefletschend Gespenst, erhebet sich, schwingt sich

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kosegarten_poesieen01_1798
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kosegarten_poesieen01_1798/311
Zitationshilfe: Kosegarten, Ludwig Gotthard: Poesieen. Bd. 1. Leipzig, 1798, S. 265. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kosegarten_poesieen01_1798/311>, abgerufen am 11.06.2024.