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Kosegarten, Ludwig Gotthard: Poesieen. Bd. 1. Leipzig, 1798.

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Zu des Jünglings Lager sich hin, und wispert' ins
Ohr ihm:
"Auf! ich bin Agathe! ich rette dich. Folge mir,
Jüngling!"
Freudig erschreckt, sprang Ritogar auf. Sie fasst
ihm die Rechte,
Leitet ihn zitternd die Kammer der Mutter und
Brüder vorüber,
Führet den Blinden hinab in unterirdische Gänge,
Wallet die düstern schaudernd hindurch, erschleusst
ihm der Pforte
Doppeltes Schloss. Dann spricht sie mit blödem
geflügeltem Handdruck:
"Flieh und denk' an Agathen!" Und er, im trau-
lichen Dunkel,
Reisset die Retterin wild an den schlagenden Busen,
und küsst ihr
Einen gewaltigen markdurchlodernden Kuss, und --
"Agathe,"
Ruft er, "Agathe, ich flieh. Doch bald mit rü-
stiger Heerskraft
Kehr' ich, erstreite dich, theile mit dir mein Bett
und mein Eyland."

Sprachs, und floh durch die Nacht, durch den
Sturm und den eisigen Regen
Auf den Flügeln der Freud' und Liebe zum hohen
Rugard.

Zu des Jünglings Lager sich hin, und wispert' ins
Ohr ihm:
„Auf! ich bin Agathe! ich rette dich. Folge mir,
Jüngling!“
Freudig erschreckt, sprang Ritogar auf. Sie faſst
ihm die Rechte,
Leitet ihn zitternd die Kammer der Mutter und
Brüder vorüber,
Führet den Blinden hinab in unterirdische Gänge,
Wallet die düstern schaudernd hindurch, erschleuſst
ihm der Pforte
Doppeltes Schloſs. Dann spricht sie mit blödem
geflügeltem Handdruck:
„Flieh und denk' an Agathen!“ Und er, im trau-
lichen Dunkel,
Reiſset die Retterin wild an den schlagenden Busen,
und küſst ihr
Einen gewaltigen markdurchlodernden Kuſs, und —
„Agathe,“
Ruft er, „Agathe, ich flieh. Doch bald mit rü-
stiger Heerskraft
Kehr' ich, erstreite dich, theile mit dir mein Bett
und mein Eyland.“

Sprachs, und floh durch die Nacht, durch den
Sturm und den eisigen Regen
Auf den Flügeln der Freud' und Liebe zum hohen
Rugard.
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[127/0169] Zu des Jünglings Lager sich hin, und wispert' ins Ohr ihm: „Auf! ich bin Agathe! ich rette dich. Folge mir, Jüngling!“ Freudig erschreckt, sprang Ritogar auf. Sie faſst ihm die Rechte, Leitet ihn zitternd die Kammer der Mutter und Brüder vorüber, Führet den Blinden hinab in unterirdische Gänge, Wallet die düstern schaudernd hindurch, erschleuſst ihm der Pforte Doppeltes Schloſs. Dann spricht sie mit blödem geflügeltem Handdruck: „Flieh und denk' an Agathen!“ Und er, im trau- lichen Dunkel, Reiſset die Retterin wild an den schlagenden Busen, und küſst ihr Einen gewaltigen markdurchlodernden Kuſs, und — „Agathe,“ Ruft er, „Agathe, ich flieh. Doch bald mit rü- stiger Heerskraft Kehr' ich, erstreite dich, theile mit dir mein Bett und mein Eyland.“ Sprachs, und floh durch die Nacht, durch den Sturm und den eisigen Regen Auf den Flügeln der Freud' und Liebe zum hohen Rugard.

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Zitationshilfe: Kosegarten, Ludwig Gotthard: Poesieen. Bd. 1. Leipzig, 1798, S. 127. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kosegarten_poesieen01_1798/169>, abgerufen am 25.11.2024.