ähnlich waren. Ihre Erziehung war eben nicht die Beste. Denn ein Philantropin konnte sie schlechterdings nicht besuchen, und zwar aus dem ganz einfachen Grunde, weil keins im Lande vor- handen, und die Kosten, sie nach Dessau, Marsch- lins, Türkheim oder sonst in eine berühmte Pension zu schicken, leider fehlten. Jedoch lern- te sie von einem Vetter, einem jungen Men- schen, welcher Unterlehrer in der deutschen Schu- le des Orts war, zur Noth etwas Buchstabie- ren und lesen, wie auch ein wenig mit der Fe- der kritzeln, was ohngefähr wie Buchstaben aus- sah. Die meiste Zeit brachte sie mit herumwan- dern in den benachbarten Dörfern zu, wo man ihr oft Brod und sonstige Lebensmittel mittheil- te; oder auch mit Exkursionen in fremden Fel- dern und Gärten, vorzüglich zur Herbstzeit wenn die Kartoffeln und das Obst reif waren. Das Erworbene theilte sie gewöhnlich mit ihrer Mut- ter und den Geschwistern; denn der Vater konnte sich anderweitig selbst helfen.
Ihre Kinderjahre verstrichen übrigens leid- lich, auch die gewöhnlichen Kinderkrankheiten gingen glücklich vorüber; jedoch litt sie von den Blattern viel, denn die Vaccination sahe man
aͤhnlich waren. Ihre Erziehung war eben nicht die Beſte. Denn ein Philantropin konnte ſie ſchlechterdings nicht beſuchen, und zwar aus dem ganz einfachen Grunde, weil keins im Lande vor- handen, und die Koſten, ſie nach Deſſau, Marſch- lins, Tuͤrkheim oder ſonſt in eine beruͤhmte Penſion zu ſchicken, leider fehlten. Jedoch lern- te ſie von einem Vetter, einem jungen Men- ſchen, welcher Unterlehrer in der deutſchen Schu- le des Orts war, zur Noth etwas Buchſtabie- ren und leſen, wie auch ein wenig mit der Fe- der kritzeln, was ohngefaͤhr wie Buchſtaben aus- ſah. Die meiſte Zeit brachte ſie mit herumwan- dern in den benachbarten Doͤrfern zu, wo man ihr oft Brod und ſonſtige Lebensmittel mittheil- te; oder auch mit Exkurſionen in fremden Fel- dern und Gaͤrten, vorzuͤglich zur Herbſtzeit wenn die Kartoffeln und das Obſt reif waren. Das Erworbene theilte ſie gewoͤhnlich mit ihrer Mut- ter und den Geſchwiſtern; denn der Vater konnte ſich anderweitig ſelbſt helfen.
Ihre Kinderjahre verſtrichen uͤbrigens leid- lich, auch die gewoͤhnlichen Kinderkrankheiten gingen gluͤcklich voruͤber; jedoch litt ſie von den Blattern viel, denn die Vaccination ſahe man
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aͤhnlich waren. Ihre Erziehung war eben nicht
die Beſte. Denn ein Philantropin konnte ſie
ſchlechterdings nicht beſuchen, und zwar aus dem
ganz einfachen Grunde, weil keins im Lande vor-
handen, und die Koſten, ſie nach Deſſau, Marſch-
lins, Tuͤrkheim oder ſonſt in eine beruͤhmte
Penſion zu ſchicken, leider fehlten. Jedoch lern-
te ſie von einem Vetter, einem jungen Men-
ſchen, welcher Unterlehrer in der deutſchen Schu-
le des Orts war, zur Noth etwas Buchſtabie-
ren und leſen, wie auch ein wenig mit der Fe-
der kritzeln, was ohngefaͤhr wie Buchſtaben aus-
ſah. Die meiſte Zeit brachte ſie mit herumwan-
dern in den benachbarten Doͤrfern zu, wo man
ihr oft Brod und ſonſtige Lebensmittel mittheil-
te; oder auch mit Exkurſionen in fremden Fel-
dern und Gaͤrten, vorzuͤglich zur Herbſtzeit wenn
die Kartoffeln und das Obſt reif waren. Das
Erworbene theilte ſie gewoͤhnlich mit ihrer Mut-
ter und den Geſchwiſtern; denn der Vater
konnte ſich anderweitig ſelbſt helfen.
Ihre Kinderjahre verſtrichen uͤbrigens leid-
lich, auch die gewoͤhnlichen Kinderkrankheiten
gingen gluͤcklich voruͤber; jedoch litt ſie von den
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Kortum, Carl Arnold: Die Jobsiade. Bd. 3. Dortmund, 1799, S. 11. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kortum_jobsiade03_1799/217>, abgerufen am 16.02.2025.
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