Kopisch, August: Der Träumer. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 14. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–67. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.zerstreue dich mit Arbeiten. Geh, ich will auch etwas vornehmen, so wird Sorge und Unruhe am besten bekämpft. Langsam ging Giovanni nach seiner kleinen Besitzung. Sie schien ihm heute kleiner als je, weil er sie mit Granco's Gütern verglich. Er ging an die Arbeit und kämpfte mit Gewalt gegen seine Sorgen, aber er war immer noch in einem Zustande, der einem Fieber glich. Der Mond schien lieblich und klar, es trieb ihn nach dem Hause seiner Geliebten, er nahm seine Mandoline mit und spielte unter ihrem Fenster alle Lieblingsweisen; aber wenn er an den andern Morgen gedachte, sanken ihm die Hände von den Saiten. Geh zur Ruh, lieber Giovanni! bat Angiolina mit süßem Flüstern mehrere Male flehentlich. Er ging auch, kam aber immer wieder zurück, und um Mitternacht sang er unter dem Fenster der Kleinen, die selbst nicht that, was sie ihn hieß, folgendes Lied aus seinem Herzen, während der Vesuv dazu leuchtende Gluten in die Mondnacht emporwarf: Unruhige du, du rufst mir: ruhe! zu; Bin todesmüd' und finde doch nicht Ruh! Wo ruht des Schiffers Haupt im Sturmesdrang? Ach Gott! ach Gott! wie ist die Nacht so lang! Ich bin der glüh'nde Stein, der dort entfleugt Dem Schlund und, schon im Fallen, wieder steigt, Emporgewirbelt von erneutem Drang, Ach Gott! ach Gott! wie ist die Nacht so lang! zerstreue dich mit Arbeiten. Geh, ich will auch etwas vornehmen, so wird Sorge und Unruhe am besten bekämpft. Langsam ging Giovanni nach seiner kleinen Besitzung. Sie schien ihm heute kleiner als je, weil er sie mit Granco's Gütern verglich. Er ging an die Arbeit und kämpfte mit Gewalt gegen seine Sorgen, aber er war immer noch in einem Zustande, der einem Fieber glich. Der Mond schien lieblich und klar, es trieb ihn nach dem Hause seiner Geliebten, er nahm seine Mandoline mit und spielte unter ihrem Fenster alle Lieblingsweisen; aber wenn er an den andern Morgen gedachte, sanken ihm die Hände von den Saiten. Geh zur Ruh, lieber Giovanni! bat Angiolina mit süßem Flüstern mehrere Male flehentlich. Er ging auch, kam aber immer wieder zurück, und um Mitternacht sang er unter dem Fenster der Kleinen, die selbst nicht that, was sie ihn hieß, folgendes Lied aus seinem Herzen, während der Vesuv dazu leuchtende Gluten in die Mondnacht emporwarf: Unruhige du, du rufst mir: ruhe! zu; Bin todesmüd' und finde doch nicht Ruh! Wo ruht des Schiffers Haupt im Sturmesdrang? Ach Gott! ach Gott! wie ist die Nacht so lang! Ich bin der glüh'nde Stein, der dort entfleugt Dem Schlund und, schon im Fallen, wieder steigt, Emporgewirbelt von erneutem Drang, Ach Gott! ach Gott! wie ist die Nacht so lang! <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0017"/> zerstreue dich mit Arbeiten. Geh, ich will auch etwas vornehmen, so wird Sorge und Unruhe am besten bekämpft. Langsam ging Giovanni nach seiner kleinen Besitzung. Sie schien ihm heute kleiner als je, weil er sie mit Granco's Gütern verglich. Er ging an die Arbeit und kämpfte mit Gewalt gegen seine Sorgen, aber er war immer noch in einem Zustande, der einem Fieber glich. Der Mond schien lieblich und klar, es trieb ihn nach dem Hause seiner Geliebten, er nahm seine Mandoline mit und spielte unter ihrem Fenster alle Lieblingsweisen; aber wenn er an den andern Morgen gedachte, sanken ihm die Hände von den Saiten. Geh zur Ruh, lieber Giovanni! bat Angiolina mit süßem Flüstern mehrere Male flehentlich. Er ging auch, kam aber immer wieder zurück, und um Mitternacht sang er unter dem Fenster der Kleinen, die selbst nicht that, was sie ihn hieß, folgendes Lied aus seinem Herzen, während der Vesuv dazu leuchtende Gluten in die Mondnacht emporwarf:</p><lb/> <lg type="poem"> <lg n="1"> <l>Unruhige du, du rufst mir: ruhe! zu;</l> <l>Bin todesmüd' und finde doch nicht Ruh!</l> <l>Wo ruht des Schiffers Haupt im Sturmesdrang?</l> <l>Ach Gott! ach Gott! wie ist die Nacht so lang!</l> </lg> <lg n="2"> <l>Ich bin der glüh'nde Stein, der dort entfleugt</l> <l>Dem Schlund und, schon im Fallen, wieder steigt,</l> <l>Emporgewirbelt von erneutem Drang,</l> <l>Ach Gott! ach Gott! wie ist die Nacht so lang!</l> </lg><lb/> </lg> </div> </body> </text> </TEI> [0017]
zerstreue dich mit Arbeiten. Geh, ich will auch etwas vornehmen, so wird Sorge und Unruhe am besten bekämpft. Langsam ging Giovanni nach seiner kleinen Besitzung. Sie schien ihm heute kleiner als je, weil er sie mit Granco's Gütern verglich. Er ging an die Arbeit und kämpfte mit Gewalt gegen seine Sorgen, aber er war immer noch in einem Zustande, der einem Fieber glich. Der Mond schien lieblich und klar, es trieb ihn nach dem Hause seiner Geliebten, er nahm seine Mandoline mit und spielte unter ihrem Fenster alle Lieblingsweisen; aber wenn er an den andern Morgen gedachte, sanken ihm die Hände von den Saiten. Geh zur Ruh, lieber Giovanni! bat Angiolina mit süßem Flüstern mehrere Male flehentlich. Er ging auch, kam aber immer wieder zurück, und um Mitternacht sang er unter dem Fenster der Kleinen, die selbst nicht that, was sie ihn hieß, folgendes Lied aus seinem Herzen, während der Vesuv dazu leuchtende Gluten in die Mondnacht emporwarf:
Unruhige du, du rufst mir: ruhe! zu; Bin todesmüd' und finde doch nicht Ruh! Wo ruht des Schiffers Haupt im Sturmesdrang? Ach Gott! ach Gott! wie ist die Nacht so lang!
Ich bin der glüh'nde Stein, der dort entfleugt Dem Schlund und, schon im Fallen, wieder steigt, Emporgewirbelt von erneutem Drang, Ach Gott! ach Gott! wie ist die Nacht so lang!
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Zitationshilfe: | Kopisch, August: Der Träumer. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 14. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–67. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kopisch_traeumer_1910/17>, abgerufen am 16.07.2024. |