Kompert, Leopold: Eine Verlorene. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 95–309. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Laßt mich, schrie diese, ich bin ja nicht Eure Schwester! Wie vernichtet ließ Josseph den aufgehobenen Arm sinken und taumelte zurück. Es durchrieselte ihn eiskalt; die eigene Magd, die Dienerin seines Hauses hatte den Muth, mit der Anklage seines Lebens vor ihn hinzutreten. Blitzschnell erkannte er, wie hier Ursache und Wechselwirkung sich gegenseitig gefolgt waren. Er vermochte nicht den Blick der Magd zu ertragen. Die alte Marjim erhob ihre jammernde Stimme: Das ist nicht recht von dir, Anezka, sagte sie stockend, daß du mit deinem Herrn so sprichst. So sag mir's wenigstens, warum du aus dem Hause gehen willst? Hab' ich dir etwas Böses gethan? So sag's nur, mich wirst du nicht aufbringen. Der Magd quollen bei diesen weichen Worten die heißen Thränen aus den Augen; das Gesicht mit beiden Händen bedeckend, sagte sie schluchzend: Großmutter, es giebt keinen Menschen auf der weiten Welt, den ich lieber hätte als Euch . . . aber ich kann's Euch nicht sagen. Du kannst nicht, Anezka Leben, rief Marjim mit wunderbar bewegter Stimme, sag lieber, du willst nicht. Anezka, fuhr sie mit steigender Bewegung fort, mußt du vielleicht fort? Kannst du vielleicht nicht länger im Dorfe bleiben, wo die Kinder auf der Gasse mit Fingern auf dich weisen möchten? Anezka, meine Anezka, hast du etwas angestellt, daß du dich vor Laßt mich, schrie diese, ich bin ja nicht Eure Schwester! Wie vernichtet ließ Josseph den aufgehobenen Arm sinken und taumelte zurück. Es durchrieselte ihn eiskalt; die eigene Magd, die Dienerin seines Hauses hatte den Muth, mit der Anklage seines Lebens vor ihn hinzutreten. Blitzschnell erkannte er, wie hier Ursache und Wechselwirkung sich gegenseitig gefolgt waren. Er vermochte nicht den Blick der Magd zu ertragen. Die alte Marjim erhob ihre jammernde Stimme: Das ist nicht recht von dir, Anezka, sagte sie stockend, daß du mit deinem Herrn so sprichst. So sag mir's wenigstens, warum du aus dem Hause gehen willst? Hab' ich dir etwas Böses gethan? So sag's nur, mich wirst du nicht aufbringen. Der Magd quollen bei diesen weichen Worten die heißen Thränen aus den Augen; das Gesicht mit beiden Händen bedeckend, sagte sie schluchzend: Großmutter, es giebt keinen Menschen auf der weiten Welt, den ich lieber hätte als Euch . . . aber ich kann's Euch nicht sagen. Du kannst nicht, Anezka Leben, rief Marjim mit wunderbar bewegter Stimme, sag lieber, du willst nicht. Anezka, fuhr sie mit steigender Bewegung fort, mußt du vielleicht fort? Kannst du vielleicht nicht länger im Dorfe bleiben, wo die Kinder auf der Gasse mit Fingern auf dich weisen möchten? Anezka, meine Anezka, hast du etwas angestellt, daß du dich vor <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="6"> <pb facs="#f0092"/> <p>Laßt mich, schrie diese, ich bin ja nicht Eure Schwester!</p><lb/> <p>Wie vernichtet ließ Josseph den aufgehobenen Arm sinken und taumelte zurück. Es durchrieselte ihn eiskalt; die eigene Magd, die Dienerin seines Hauses hatte den Muth, mit der Anklage seines Lebens vor ihn hinzutreten. Blitzschnell erkannte er, wie hier Ursache und Wechselwirkung sich gegenseitig gefolgt waren. Er vermochte nicht den Blick der Magd zu ertragen.</p><lb/> <p>Die alte Marjim erhob ihre jammernde Stimme:</p><lb/> <p>Das ist nicht recht von dir, Anezka, sagte sie stockend, daß du mit deinem Herrn so sprichst. So sag mir's wenigstens, warum du aus dem Hause gehen willst? Hab' ich dir etwas Böses gethan? So sag's nur, mich wirst du nicht aufbringen.</p><lb/> <p>Der Magd quollen bei diesen weichen Worten die heißen Thränen aus den Augen; das Gesicht mit beiden Händen bedeckend, sagte sie schluchzend:</p><lb/> <p>Großmutter, es giebt keinen Menschen auf der weiten Welt, den ich lieber hätte als Euch . . . aber ich kann's Euch nicht sagen.</p><lb/> <p>Du kannst nicht, Anezka Leben, rief Marjim mit wunderbar bewegter Stimme, sag lieber, du willst nicht. Anezka, fuhr sie mit steigender Bewegung fort, mußt du vielleicht fort? Kannst du vielleicht nicht länger im Dorfe bleiben, wo die Kinder auf der Gasse mit Fingern auf dich weisen möchten? Anezka, meine Anezka, hast du etwas angestellt, daß du dich vor<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0092]
Laßt mich, schrie diese, ich bin ja nicht Eure Schwester!
Wie vernichtet ließ Josseph den aufgehobenen Arm sinken und taumelte zurück. Es durchrieselte ihn eiskalt; die eigene Magd, die Dienerin seines Hauses hatte den Muth, mit der Anklage seines Lebens vor ihn hinzutreten. Blitzschnell erkannte er, wie hier Ursache und Wechselwirkung sich gegenseitig gefolgt waren. Er vermochte nicht den Blick der Magd zu ertragen.
Die alte Marjim erhob ihre jammernde Stimme:
Das ist nicht recht von dir, Anezka, sagte sie stockend, daß du mit deinem Herrn so sprichst. So sag mir's wenigstens, warum du aus dem Hause gehen willst? Hab' ich dir etwas Böses gethan? So sag's nur, mich wirst du nicht aufbringen.
Der Magd quollen bei diesen weichen Worten die heißen Thränen aus den Augen; das Gesicht mit beiden Händen bedeckend, sagte sie schluchzend:
Großmutter, es giebt keinen Menschen auf der weiten Welt, den ich lieber hätte als Euch . . . aber ich kann's Euch nicht sagen.
Du kannst nicht, Anezka Leben, rief Marjim mit wunderbar bewegter Stimme, sag lieber, du willst nicht. Anezka, fuhr sie mit steigender Bewegung fort, mußt du vielleicht fort? Kannst du vielleicht nicht länger im Dorfe bleiben, wo die Kinder auf der Gasse mit Fingern auf dich weisen möchten? Anezka, meine Anezka, hast du etwas angestellt, daß du dich vor
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