Kompert, Leopold: Eine Verlorene. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 95–309. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.gangen und gestanden sei? was sie für ein Kleid angehabt? Unverständiger Knabe! Du hattest das Unglück gehabt, deine Mutter in den ersten Tagen deiner Kindheit zu verlieren; du kanntest sie nicht, sonst hättest du nicht so harte Reden gebraucht! Thränen drängten sich zu den Augen der alten Frau hervor, sie fielen wie zischende Tropfen auf das sonst fühlende Herz des Knaben. Er ahnte fast, welch schweres Unrecht er begangen. Babe, rief er flehend, ich hab' dir ja Alles erzählen wollen. Weiter! gebot sie mit plötzlich ruhigem Tone. Er habe sich also besonnen, daß er das Geschenk der Großmutter an die Muhm' Dinah abzugeben habe. Schüchtern habe er es aus der Tasche gezogen und ihr überreicht, und dabei gesagt: das schicke ihr ihre Mutter. Meine Mutter, habe sie ausgerufen, meine Mutter schickt mir das? Foppst du mich nicht, Fischele? Er habe bei seinem Leben geschworen, daß dem so sei, und daß ihm die Babe wirklich diesen Auftrag gegeben. Da habe sie aufgeschrieen aus der Tiefe ihrer Seele, daß es ihm durch Mark und Bein gedrungen; drei Worte hätte sie ausgerufen -- -- -- aber er wage sie nicht zu wiederholen. Narrele, lächelte die Großmutter, was kann sie gesagt haben? gangen und gestanden sei? was sie für ein Kleid angehabt? Unverständiger Knabe! Du hattest das Unglück gehabt, deine Mutter in den ersten Tagen deiner Kindheit zu verlieren; du kanntest sie nicht, sonst hättest du nicht so harte Reden gebraucht! Thränen drängten sich zu den Augen der alten Frau hervor, sie fielen wie zischende Tropfen auf das sonst fühlende Herz des Knaben. Er ahnte fast, welch schweres Unrecht er begangen. Babe, rief er flehend, ich hab' dir ja Alles erzählen wollen. Weiter! gebot sie mit plötzlich ruhigem Tone. Er habe sich also besonnen, daß er das Geschenk der Großmutter an die Muhm' Dinah abzugeben habe. Schüchtern habe er es aus der Tasche gezogen und ihr überreicht, und dabei gesagt: das schicke ihr ihre Mutter. Meine Mutter, habe sie ausgerufen, meine Mutter schickt mir das? Foppst du mich nicht, Fischele? Er habe bei seinem Leben geschworen, daß dem so sei, und daß ihm die Babe wirklich diesen Auftrag gegeben. Da habe sie aufgeschrieen aus der Tiefe ihrer Seele, daß es ihm durch Mark und Bein gedrungen; drei Worte hätte sie ausgerufen — — — aber er wage sie nicht zu wiederholen. Narrele, lächelte die Großmutter, was kann sie gesagt haben? <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="5"> <p><pb facs="#f0080"/> gangen und gestanden sei? was sie für ein Kleid angehabt?</p><lb/> <p>Unverständiger Knabe! Du hattest das Unglück gehabt, deine Mutter in den ersten Tagen deiner Kindheit zu verlieren; du kanntest sie nicht, sonst hättest du nicht so harte Reden gebraucht!</p><lb/> <p>Thränen drängten sich zu den Augen der alten Frau hervor, sie fielen wie zischende Tropfen auf das sonst fühlende Herz des Knaben. Er ahnte fast, welch schweres Unrecht er begangen.</p><lb/> <p>Babe, rief er flehend, ich hab' dir ja Alles erzählen wollen.</p><lb/> <p>Weiter! gebot sie mit plötzlich ruhigem Tone.</p><lb/> <p>Er habe sich also besonnen, daß er das Geschenk der Großmutter an die Muhm' Dinah abzugeben habe. Schüchtern habe er es aus der Tasche gezogen und ihr überreicht, und dabei gesagt: das schicke ihr ihre Mutter. Meine Mutter, habe sie ausgerufen, meine Mutter schickt mir das? Foppst du mich nicht, Fischele? Er habe bei seinem Leben geschworen, daß dem so sei, und daß ihm die Babe wirklich diesen Auftrag gegeben. Da habe sie aufgeschrieen aus der Tiefe ihrer Seele, daß es ihm durch Mark und Bein gedrungen; drei Worte hätte sie ausgerufen — — — aber er wage sie nicht zu wiederholen.</p><lb/> <p>Narrele, lächelte die Großmutter, was kann sie gesagt haben?</p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [0080]
gangen und gestanden sei? was sie für ein Kleid angehabt?
Unverständiger Knabe! Du hattest das Unglück gehabt, deine Mutter in den ersten Tagen deiner Kindheit zu verlieren; du kanntest sie nicht, sonst hättest du nicht so harte Reden gebraucht!
Thränen drängten sich zu den Augen der alten Frau hervor, sie fielen wie zischende Tropfen auf das sonst fühlende Herz des Knaben. Er ahnte fast, welch schweres Unrecht er begangen.
Babe, rief er flehend, ich hab' dir ja Alles erzählen wollen.
Weiter! gebot sie mit plötzlich ruhigem Tone.
Er habe sich also besonnen, daß er das Geschenk der Großmutter an die Muhm' Dinah abzugeben habe. Schüchtern habe er es aus der Tasche gezogen und ihr überreicht, und dabei gesagt: das schicke ihr ihre Mutter. Meine Mutter, habe sie ausgerufen, meine Mutter schickt mir das? Foppst du mich nicht, Fischele? Er habe bei seinem Leben geschworen, daß dem so sei, und daß ihm die Babe wirklich diesen Auftrag gegeben. Da habe sie aufgeschrieen aus der Tiefe ihrer Seele, daß es ihm durch Mark und Bein gedrungen; drei Worte hätte sie ausgerufen — — — aber er wage sie nicht zu wiederholen.
Narrele, lächelte die Großmutter, was kann sie gesagt haben?
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Zitationshilfe: | Kompert, Leopold: Eine Verlorene. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 95–309. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kompert_verlorene_1910/80>, abgerufen am 22.07.2024. |