Kompert, Leopold: Eine Verlorene. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 95–309. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.dieser einzige Augenblick, wo er mit ihr zum ersten Male in seinem ganzen Leben gesprochen. Und? Was? Hast du ihr's gegeben? Er habe darauf ganz vergessen gehabt, so viel hätte ihn die Muhm' Dinah ausgefragt: was die Babe mache? ob sie ihre gute Abwartung habe? ob sie in der Nacht gut schlafe und nicht vom Husten geplagt werde? ob er, Fischele nämlich, ihr in Allem folge, kein Leidwesen ihr anthue, sie nicht jachte (ärgere)? Alle diese Fragen hätte er ihr umständlich beantworten müssen, ein Wort hätte das andere gegeben, und ehe eine Viertelstunde vergangen, wären sie so bekannt mit einander gewesen, als hätten sie ihr Lebtag es nicht anders gekonnt; alle Furcht wäre von ihm gewichen, und jetzt hätte er, selbst wenn der erste Psalm ihm wieder eingefallen, ihn nicht mehr gesprochen, selbst nicht vor dem hölzernen, rauchangeschwärzten Johann von Nepomuk, der in einem Winkel der Stube hinge, und vor dem er sich anfangs so gefürchtet habe -- -- Alles erzählst du, unterbrach ihn hier die Großmutter, nur nicht -- Was er ihr weiter erzählen solle? entgegnete hierauf Fischele mit einem Anfluge von Aergerlichkeit, ob die Babe nicht genug habe an dem bereits Berichteten? ob er ihr erzählen solle, wie die Muhm' Dinah ge- dieser einzige Augenblick, wo er mit ihr zum ersten Male in seinem ganzen Leben gesprochen. Und? Was? Hast du ihr's gegeben? Er habe darauf ganz vergessen gehabt, so viel hätte ihn die Muhm' Dinah ausgefragt: was die Babe mache? ob sie ihre gute Abwartung habe? ob sie in der Nacht gut schlafe und nicht vom Husten geplagt werde? ob er, Fischele nämlich, ihr in Allem folge, kein Leidwesen ihr anthue, sie nicht jachte (ärgere)? Alle diese Fragen hätte er ihr umständlich beantworten müssen, ein Wort hätte das andere gegeben, und ehe eine Viertelstunde vergangen, wären sie so bekannt mit einander gewesen, als hätten sie ihr Lebtag es nicht anders gekonnt; alle Furcht wäre von ihm gewichen, und jetzt hätte er, selbst wenn der erste Psalm ihm wieder eingefallen, ihn nicht mehr gesprochen, selbst nicht vor dem hölzernen, rauchangeschwärzten Johann von Nepomuk, der in einem Winkel der Stube hinge, und vor dem er sich anfangs so gefürchtet habe — — Alles erzählst du, unterbrach ihn hier die Großmutter, nur nicht — Was er ihr weiter erzählen solle? entgegnete hierauf Fischele mit einem Anfluge von Aergerlichkeit, ob die Babe nicht genug habe an dem bereits Berichteten? ob er ihr erzählen solle, wie die Muhm' Dinah ge- <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="5"> <p><pb facs="#f0079"/> dieser einzige Augenblick, wo er mit ihr zum ersten Male in seinem ganzen Leben gesprochen.</p><lb/> <p>Und?</p><lb/> <p>Was?</p><lb/> <p>Hast du ihr's gegeben?</p><lb/> <p>Er habe darauf ganz vergessen gehabt, so viel hätte ihn die Muhm' Dinah ausgefragt: was die Babe mache? ob sie ihre gute Abwartung habe? ob sie in der Nacht gut schlafe und nicht vom Husten geplagt werde? ob er, Fischele nämlich, ihr in Allem folge, kein Leidwesen ihr anthue, sie nicht jachte (ärgere)? Alle diese Fragen hätte er ihr umständlich beantworten müssen, ein Wort hätte das andere gegeben, und ehe eine Viertelstunde vergangen, wären sie so bekannt mit einander gewesen, als hätten sie ihr Lebtag es nicht anders gekonnt; alle Furcht wäre von ihm gewichen, und jetzt hätte er, selbst wenn der erste Psalm ihm wieder eingefallen, ihn nicht mehr gesprochen, selbst nicht vor dem hölzernen, rauchangeschwärzten Johann von Nepomuk, der in einem Winkel der Stube hinge, und vor dem er sich anfangs so gefürchtet habe — —</p><lb/> <p>Alles erzählst du, unterbrach ihn hier die Großmutter, nur nicht —</p><lb/> <p>Was er ihr weiter erzählen solle? entgegnete hierauf Fischele mit einem Anfluge von Aergerlichkeit, ob die Babe nicht genug habe an dem bereits Berichteten? ob er ihr erzählen solle, wie die Muhm' Dinah ge-<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0079]
dieser einzige Augenblick, wo er mit ihr zum ersten Male in seinem ganzen Leben gesprochen.
Und?
Was?
Hast du ihr's gegeben?
Er habe darauf ganz vergessen gehabt, so viel hätte ihn die Muhm' Dinah ausgefragt: was die Babe mache? ob sie ihre gute Abwartung habe? ob sie in der Nacht gut schlafe und nicht vom Husten geplagt werde? ob er, Fischele nämlich, ihr in Allem folge, kein Leidwesen ihr anthue, sie nicht jachte (ärgere)? Alle diese Fragen hätte er ihr umständlich beantworten müssen, ein Wort hätte das andere gegeben, und ehe eine Viertelstunde vergangen, wären sie so bekannt mit einander gewesen, als hätten sie ihr Lebtag es nicht anders gekonnt; alle Furcht wäre von ihm gewichen, und jetzt hätte er, selbst wenn der erste Psalm ihm wieder eingefallen, ihn nicht mehr gesprochen, selbst nicht vor dem hölzernen, rauchangeschwärzten Johann von Nepomuk, der in einem Winkel der Stube hinge, und vor dem er sich anfangs so gefürchtet habe — —
Alles erzählst du, unterbrach ihn hier die Großmutter, nur nicht —
Was er ihr weiter erzählen solle? entgegnete hierauf Fischele mit einem Anfluge von Aergerlichkeit, ob die Babe nicht genug habe an dem bereits Berichteten? ob er ihr erzählen solle, wie die Muhm' Dinah ge-
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Zitationshilfe: | Kompert, Leopold: Eine Verlorene. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 95–309. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kompert_verlorene_1910/79>, abgerufen am 23.06.2024. |