Kompert, Leopold: Eine Verlorene. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 95–309. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.4. Ahasver. Im Menschengewühle sind die Wandlungen eben so wunderbar, wie die draußen in der Natur, fast noch unerklärlicher, fast noch eigenthümlicher. Die Wissenschaft faltet es sich aus einander, warum auf heiteren Sonnenschein sich oft schwere Regenwolken wälzen, sie prophezeit die Störungen voraus, die im Laufe des Tages, des Monats und des Jahres eintreten müssen. Hat sie aber euch jemals die Stürme eines verstörten Gemüthes voraussagen können? Ein sonderbares Gedankenleben wogte um diese Stunde durch Josseph's Seele. Es war schon eine geraume Zeit verstrichen, daß er das Geschäft mit dem Bauer abgethan, und nun ging er, da kein anderer Kunde eben kommen wollte, in dem engen Raume des "Gewölbes" auf und ab. Es war nicht Ein Gedanke, der ihn da beschäftigte; wie losgelassene Bienen umschwärmten sie ihn zu Tausenden. Er fühlte, daß etwas an seinem Leben einen kranken Theil haben müsse, er sah es fast mit leiblichen Augen, wie irgend ein Ungemach, dessen Namen er nicht anzugeben wußte, ihm nachschlich wie ein düsteres Gespenst; es beunruhigte diese starke, hassende Natur etwas, das sie wie einen in Holz eingetriebenen Keil nicht auszustoßen vermochte. -- 4. Ahasver. Im Menschengewühle sind die Wandlungen eben so wunderbar, wie die draußen in der Natur, fast noch unerklärlicher, fast noch eigenthümlicher. Die Wissenschaft faltet es sich aus einander, warum auf heiteren Sonnenschein sich oft schwere Regenwolken wälzen, sie prophezeit die Störungen voraus, die im Laufe des Tages, des Monats und des Jahres eintreten müssen. Hat sie aber euch jemals die Stürme eines verstörten Gemüthes voraussagen können? Ein sonderbares Gedankenleben wogte um diese Stunde durch Josseph's Seele. Es war schon eine geraume Zeit verstrichen, daß er das Geschäft mit dem Bauer abgethan, und nun ging er, da kein anderer Kunde eben kommen wollte, in dem engen Raume des „Gewölbes“ auf und ab. Es war nicht Ein Gedanke, der ihn da beschäftigte; wie losgelassene Bienen umschwärmten sie ihn zu Tausenden. Er fühlte, daß etwas an seinem Leben einen kranken Theil haben müsse, er sah es fast mit leiblichen Augen, wie irgend ein Ungemach, dessen Namen er nicht anzugeben wußte, ihm nachschlich wie ein düsteres Gespenst; es beunruhigte diese starke, hassende Natur etwas, das sie wie einen in Holz eingetriebenen Keil nicht auszustoßen vermochte. — <TEI> <text> <body> <pb facs="#f0051"/> <div type="chapter" n="4"> <head>4. Ahasver.</head> <p>Im Menschengewühle sind die Wandlungen eben so wunderbar, wie die draußen in der Natur, fast noch unerklärlicher, fast noch eigenthümlicher. Die Wissenschaft faltet es sich aus einander, warum auf heiteren Sonnenschein sich oft schwere Regenwolken wälzen, sie prophezeit die Störungen voraus, die im Laufe des Tages, des Monats und des Jahres eintreten müssen. Hat sie aber euch jemals die Stürme eines verstörten Gemüthes voraussagen können?</p><lb/> <p>Ein sonderbares Gedankenleben wogte um diese Stunde durch Josseph's Seele. Es war schon eine geraume Zeit verstrichen, daß er das Geschäft mit dem Bauer abgethan, und nun ging er, da kein anderer Kunde eben kommen wollte, in dem engen Raume des „Gewölbes“ auf und ab.</p><lb/> <p>Es war nicht Ein Gedanke, der ihn da beschäftigte; wie losgelassene Bienen umschwärmten sie ihn zu Tausenden. Er fühlte, daß etwas an seinem Leben einen kranken Theil haben müsse, er sah es fast mit leiblichen Augen, wie irgend ein Ungemach, dessen Namen er nicht anzugeben wußte, ihm nachschlich wie ein düsteres Gespenst; es beunruhigte diese starke, hassende Natur etwas, das sie wie einen in Holz eingetriebenen Keil nicht auszustoßen vermochte. —</p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [0051]
4. Ahasver. Im Menschengewühle sind die Wandlungen eben so wunderbar, wie die draußen in der Natur, fast noch unerklärlicher, fast noch eigenthümlicher. Die Wissenschaft faltet es sich aus einander, warum auf heiteren Sonnenschein sich oft schwere Regenwolken wälzen, sie prophezeit die Störungen voraus, die im Laufe des Tages, des Monats und des Jahres eintreten müssen. Hat sie aber euch jemals die Stürme eines verstörten Gemüthes voraussagen können?
Ein sonderbares Gedankenleben wogte um diese Stunde durch Josseph's Seele. Es war schon eine geraume Zeit verstrichen, daß er das Geschäft mit dem Bauer abgethan, und nun ging er, da kein anderer Kunde eben kommen wollte, in dem engen Raume des „Gewölbes“ auf und ab.
Es war nicht Ein Gedanke, der ihn da beschäftigte; wie losgelassene Bienen umschwärmten sie ihn zu Tausenden. Er fühlte, daß etwas an seinem Leben einen kranken Theil haben müsse, er sah es fast mit leiblichen Augen, wie irgend ein Ungemach, dessen Namen er nicht anzugeben wußte, ihm nachschlich wie ein düsteres Gespenst; es beunruhigte diese starke, hassende Natur etwas, das sie wie einen in Holz eingetriebenen Keil nicht auszustoßen vermochte. —
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Zitationshilfe: | Kompert, Leopold: Eine Verlorene. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 95–309. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kompert_verlorene_1910/51>, abgerufen am 16.07.2024. |