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Kompert, Leopold: Eine Verlorene. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 95–309. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Tone, wie sie der Knabe aus ihrem Munde noch nie gehört, sprach sie nun:

Da, nimm den Zucker und Kaffeh und trag ihn zu ihr hin. Versteck' ihn aber gut, daß dich der Vater nicht sieht, denn er möcht' gleich Alles errathen. Sag auch keinem Menschen davon und thu, wie ich dir heißen werde. Sag ihr: die Mamm' schickt ihr das, und sie soll sich nicht so plagen und abzehren, und sie soll sich lieber schonen, damit ihr nichts Böses geschieht. Du kannst ihr auch sagen, sie soll sich damit etwas Gutes anthun, und wenn sie mehr braucht, will ich ihr wieder schicken. Und sag ihr noch, sie soll ja den schweren Sack nicht mehr auf sich packen; sie könnt' sich etwas zerreißen in ihrem Leib, daß sie auf einmal todt umfällt, wie man das schon oft hat gehört. Und vergiß nicht, daß du ihr sagst, wenn sie noch etwas auf ihre Mamme hält, so soll sie nie barfüßig auf dem Feld stehen, und soll nicht trinken, wenn sie erhitzt vom Feld heimkommt, und sie soll auf sich sehen, daß sie sich nicht verkühlt und, Gott behüt'! krank wird. Denken soll sie auf sich, sag ihr, und daß sie Kinder hat, und daß, wenn sie krank wird, Keiner da ist, der den Kindern auch nur einen Löffel Wasser reicht.... Und jetzt geh, Fischele Leben. . . .

Die Stimme versagte ihr; erschöpft sank ihr das Haupt auf den Polster zurück, nur die Augen hielt sie weit offen, aber sie glänzten von der leuchtenden Freudigkeit glorreich besiegten Mutterschmerzes. So lag sie

Tone, wie sie der Knabe aus ihrem Munde noch nie gehört, sprach sie nun:

Da, nimm den Zucker und Kaffeh und trag ihn zu ihr hin. Versteck' ihn aber gut, daß dich der Vater nicht sieht, denn er möcht' gleich Alles errathen. Sag auch keinem Menschen davon und thu, wie ich dir heißen werde. Sag ihr: die Mamm' schickt ihr das, und sie soll sich nicht so plagen und abzehren, und sie soll sich lieber schonen, damit ihr nichts Böses geschieht. Du kannst ihr auch sagen, sie soll sich damit etwas Gutes anthun, und wenn sie mehr braucht, will ich ihr wieder schicken. Und sag ihr noch, sie soll ja den schweren Sack nicht mehr auf sich packen; sie könnt' sich etwas zerreißen in ihrem Leib, daß sie auf einmal todt umfällt, wie man das schon oft hat gehört. Und vergiß nicht, daß du ihr sagst, wenn sie noch etwas auf ihre Mamme hält, so soll sie nie barfüßig auf dem Feld stehen, und soll nicht trinken, wenn sie erhitzt vom Feld heimkommt, und sie soll auf sich sehen, daß sie sich nicht verkühlt und, Gott behüt'! krank wird. Denken soll sie auf sich, sag ihr, und daß sie Kinder hat, und daß, wenn sie krank wird, Keiner da ist, der den Kindern auch nur einen Löffel Wasser reicht.... Und jetzt geh, Fischele Leben. . . .

Die Stimme versagte ihr; erschöpft sank ihr das Haupt auf den Polster zurück, nur die Augen hielt sie weit offen, aber sie glänzten von der leuchtenden Freudigkeit glorreich besiegten Mutterschmerzes. So lag sie

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[0047] Tone, wie sie der Knabe aus ihrem Munde noch nie gehört, sprach sie nun: Da, nimm den Zucker und Kaffeh und trag ihn zu ihr hin. Versteck' ihn aber gut, daß dich der Vater nicht sieht, denn er möcht' gleich Alles errathen. Sag auch keinem Menschen davon und thu, wie ich dir heißen werde. Sag ihr: die Mamm' schickt ihr das, und sie soll sich nicht so plagen und abzehren, und sie soll sich lieber schonen, damit ihr nichts Böses geschieht. Du kannst ihr auch sagen, sie soll sich damit etwas Gutes anthun, und wenn sie mehr braucht, will ich ihr wieder schicken. Und sag ihr noch, sie soll ja den schweren Sack nicht mehr auf sich packen; sie könnt' sich etwas zerreißen in ihrem Leib, daß sie auf einmal todt umfällt, wie man das schon oft hat gehört. Und vergiß nicht, daß du ihr sagst, wenn sie noch etwas auf ihre Mamme hält, so soll sie nie barfüßig auf dem Feld stehen, und soll nicht trinken, wenn sie erhitzt vom Feld heimkommt, und sie soll auf sich sehen, daß sie sich nicht verkühlt und, Gott behüt'! krank wird. Denken soll sie auf sich, sag ihr, und daß sie Kinder hat, und daß, wenn sie krank wird, Keiner da ist, der den Kindern auch nur einen Löffel Wasser reicht.... Und jetzt geh, Fischele Leben. . . . Die Stimme versagte ihr; erschöpft sank ihr das Haupt auf den Polster zurück, nur die Augen hielt sie weit offen, aber sie glänzten von der leuchtenden Freudigkeit glorreich besiegten Mutterschmerzes. So lag sie

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T13:25:39Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T13:25:39Z)

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Zitationshilfe: Kompert, Leopold: Eine Verlorene. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 95–309. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kompert_verlorene_1910/47>, abgerufen am 23.11.2024.