Kompert, Leopold: Eine Verlorene. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 95–309. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.wissen Schadenfreude. Er verirrte sich oft unwillkürlich auf Lippen, die ihn vielleicht freudig zurückgenommen hätten, wenn sie die Schmerzen ermessen konnten, die er verursachte. Hätt'st du dein Leben gedacht, sagte einst die Mutter zu Josseph, daß sich ein jüdisch Kind so einen Namen kann beilegen? Ein Mensch soll Madlena heißen! Willst du vielleicht, entgegnete er damals darauf, daß sie ihren ehrlichen jüdischen Namen hätt' behalten sollen? Du weißt doch, wer Dinah war? Dinah war die Tochter Jaikew's und Lea's, und willst du, daß sie heißen soll, wie das Kind von Jaikew, unserem Vater? Wie kann sie denn noch einen jüdischen Namen haben? Ich heiß' ja aber doch selbst auf deutsch Maria, meinte die Mutter, wenn ich auch auf jüdisch Marjim heiß'. Weißt du denn nicht -- -- -- Auch versteh' ich's nicht, warum die Rabbonim den Namen nicht längst abgeschafft haben. Wenigstens heißt du noch Marjim; warum hat sich die Verschwarzte aber Madlena geheißen? Der Geistliche wird ihr gesagt haben, wie er das Wasser auf sie geschüttet: Heut hat die Heilige ihren Namenstag, und da ist aus dem jüdischen schönen Dinah zum Unterschied Madlena geworden. Es dauerte lange, daß sich die Mutter diesem Troste Josseph's fügte, der dazu nicht aus seinem wissen Schadenfreude. Er verirrte sich oft unwillkürlich auf Lippen, die ihn vielleicht freudig zurückgenommen hätten, wenn sie die Schmerzen ermessen konnten, die er verursachte. Hätt'st du dein Leben gedacht, sagte einst die Mutter zu Josseph, daß sich ein jüdisch Kind so einen Namen kann beilegen? Ein Mensch soll Madlena heißen! Willst du vielleicht, entgegnete er damals darauf, daß sie ihren ehrlichen jüdischen Namen hätt' behalten sollen? Du weißt doch, wer Dinah war? Dinah war die Tochter Jaikew's und Lea's, und willst du, daß sie heißen soll, wie das Kind von Jaikew, unserem Vater? Wie kann sie denn noch einen jüdischen Namen haben? Ich heiß' ja aber doch selbst auf deutsch Maria, meinte die Mutter, wenn ich auch auf jüdisch Marjim heiß'. Weißt du denn nicht — — — Auch versteh' ich's nicht, warum die Rabbonim den Namen nicht längst abgeschafft haben. Wenigstens heißt du noch Marjim; warum hat sich die Verschwarzte aber Madlena geheißen? Der Geistliche wird ihr gesagt haben, wie er das Wasser auf sie geschüttet: Heut hat die Heilige ihren Namenstag, und da ist aus dem jüdischen schönen Dinah zum Unterschied Madlena geworden. Es dauerte lange, daß sich die Mutter diesem Troste Josseph's fügte, der dazu nicht aus seinem <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="2"> <p><pb facs="#f0033"/> wissen Schadenfreude. Er verirrte sich oft unwillkürlich auf Lippen, die ihn vielleicht freudig zurückgenommen hätten, wenn sie die Schmerzen ermessen konnten, die er verursachte.</p><lb/> <p>Hätt'st du dein Leben gedacht, sagte einst die Mutter zu Josseph, daß sich ein jüdisch Kind so einen Namen kann beilegen? Ein Mensch soll Madlena heißen!</p><lb/> <p>Willst du vielleicht, entgegnete er damals darauf, daß sie ihren ehrlichen jüdischen Namen hätt' behalten sollen? Du weißt doch, wer Dinah war? Dinah war die Tochter Jaikew's und Lea's, und willst du, daß sie heißen soll, wie das Kind von Jaikew, unserem Vater? Wie kann sie denn noch einen jüdischen Namen haben?</p><lb/> <p>Ich heiß' ja aber doch selbst auf deutsch Maria, meinte die Mutter, wenn ich auch auf jüdisch Marjim heiß'. Weißt du denn nicht — — —</p><lb/> <p>Auch versteh' ich's nicht, warum die Rabbonim den Namen nicht längst abgeschafft haben. Wenigstens heißt du noch Marjim; warum hat sich die Verschwarzte aber Madlena geheißen? Der Geistliche wird ihr gesagt haben, wie er das Wasser auf sie geschüttet: Heut hat die Heilige ihren Namenstag, und da ist aus dem jüdischen schönen Dinah zum Unterschied Madlena geworden.</p><lb/> <p>Es dauerte lange, daß sich die Mutter diesem Troste Josseph's fügte, der dazu nicht aus seinem<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0033]
wissen Schadenfreude. Er verirrte sich oft unwillkürlich auf Lippen, die ihn vielleicht freudig zurückgenommen hätten, wenn sie die Schmerzen ermessen konnten, die er verursachte.
Hätt'st du dein Leben gedacht, sagte einst die Mutter zu Josseph, daß sich ein jüdisch Kind so einen Namen kann beilegen? Ein Mensch soll Madlena heißen!
Willst du vielleicht, entgegnete er damals darauf, daß sie ihren ehrlichen jüdischen Namen hätt' behalten sollen? Du weißt doch, wer Dinah war? Dinah war die Tochter Jaikew's und Lea's, und willst du, daß sie heißen soll, wie das Kind von Jaikew, unserem Vater? Wie kann sie denn noch einen jüdischen Namen haben?
Ich heiß' ja aber doch selbst auf deutsch Maria, meinte die Mutter, wenn ich auch auf jüdisch Marjim heiß'. Weißt du denn nicht — — —
Auch versteh' ich's nicht, warum die Rabbonim den Namen nicht längst abgeschafft haben. Wenigstens heißt du noch Marjim; warum hat sich die Verschwarzte aber Madlena geheißen? Der Geistliche wird ihr gesagt haben, wie er das Wasser auf sie geschüttet: Heut hat die Heilige ihren Namenstag, und da ist aus dem jüdischen schönen Dinah zum Unterschied Madlena geworden.
Es dauerte lange, daß sich die Mutter diesem Troste Josseph's fügte, der dazu nicht aus seinem
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Zitationshilfe: | Kompert, Leopold: Eine Verlorene. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 95–309. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kompert_verlorene_1910/33>, abgerufen am 16.07.2024. |