Kompert, Leopold: Eine Verlorene. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 95–309. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.mörder haßt, der mit eigener Hand in die Lebensadern schneidet, um daran zu verbluten, der sich selbst den Stein umhängt, um in der Flut ein Leben zu begraben, das nicht ihm gehört, und auf das Andere fast noch mehr Anspruch hatten, als er selbst. Sie grollten ihr wie Einer, der man jahrelange Liebeswerke des Mitleids und der Gnade angethan, und die bei der nächsten Gelegenheit, wo man ihr begegnet, als Dank dafür eine häßliche Grimasse zurückschneidet. Als die einzige Tochter des Hauses vor zehn Jahren einem jungen Bauer zu Liebe, dem sie anhing, ganz unversehens, fast in nächtlicher Stille aus der Familie entwich, als sie trotz aller Bitten sich nicht abhalten ließ, in der Kirche das Glaubensbekenntniß abzulegen, daß sie die Religion ihrer Väter wie ein böses Geschwür ansehe, dessen sie so eben durch das heilige Wasser der Taufe los und ledig geworden -- da gab es einen ungeheuren Schmerz in dem einzigen Judenhause des Dorfes. Der Vater war vor Gram gestorben, aber die Mutter setzte sich hin auf einen niederen Fußschemel und weinte sieben Tage und sieben Nächte. Josseph zerriß seine Kleider von oben nach unten und that wie seine Mutter. Aber er weinte nicht; er trug sich mit Rachegedanken in der giftgeschwellten Seele, er sah funkelnde Messer vor seinen Augen auf und nieder gehen, er sah geschliffene Aexte in seiner Hand und andere Mordwerkzeuge; er dachte wirklich an Mord. Wollte er sich, wollte er sie, deren mörder haßt, der mit eigener Hand in die Lebensadern schneidet, um daran zu verbluten, der sich selbst den Stein umhängt, um in der Flut ein Leben zu begraben, das nicht ihm gehört, und auf das Andere fast noch mehr Anspruch hatten, als er selbst. Sie grollten ihr wie Einer, der man jahrelange Liebeswerke des Mitleids und der Gnade angethan, und die bei der nächsten Gelegenheit, wo man ihr begegnet, als Dank dafür eine häßliche Grimasse zurückschneidet. Als die einzige Tochter des Hauses vor zehn Jahren einem jungen Bauer zu Liebe, dem sie anhing, ganz unversehens, fast in nächtlicher Stille aus der Familie entwich, als sie trotz aller Bitten sich nicht abhalten ließ, in der Kirche das Glaubensbekenntniß abzulegen, daß sie die Religion ihrer Väter wie ein böses Geschwür ansehe, dessen sie so eben durch das heilige Wasser der Taufe los und ledig geworden — da gab es einen ungeheuren Schmerz in dem einzigen Judenhause des Dorfes. Der Vater war vor Gram gestorben, aber die Mutter setzte sich hin auf einen niederen Fußschemel und weinte sieben Tage und sieben Nächte. Josseph zerriß seine Kleider von oben nach unten und that wie seine Mutter. Aber er weinte nicht; er trug sich mit Rachegedanken in der giftgeschwellten Seele, er sah funkelnde Messer vor seinen Augen auf und nieder gehen, er sah geschliffene Aexte in seiner Hand und andere Mordwerkzeuge; er dachte wirklich an Mord. Wollte er sich, wollte er sie, deren <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="2"> <p><pb facs="#f0031"/> mörder haßt, der mit eigener Hand in die Lebensadern schneidet, um daran zu verbluten, der sich selbst den Stein umhängt, um in der Flut ein Leben zu begraben, das nicht ihm gehört, und auf das Andere fast noch mehr Anspruch hatten, als er selbst. Sie grollten ihr wie Einer, der man jahrelange Liebeswerke des Mitleids und der Gnade angethan, und die bei der nächsten Gelegenheit, wo man ihr begegnet, als Dank dafür eine häßliche Grimasse zurückschneidet.</p><lb/> <p>Als die einzige Tochter des Hauses vor zehn Jahren einem jungen Bauer zu Liebe, dem sie anhing, ganz unversehens, fast in nächtlicher Stille aus der Familie entwich, als sie trotz aller Bitten sich nicht abhalten ließ, in der Kirche das Glaubensbekenntniß abzulegen, daß sie die Religion ihrer Väter wie ein böses Geschwür ansehe, dessen sie so eben durch das heilige Wasser der Taufe los und ledig geworden — da gab es einen ungeheuren Schmerz in dem einzigen Judenhause des Dorfes. Der Vater war vor Gram gestorben, aber die Mutter setzte sich hin auf einen niederen Fußschemel und weinte sieben Tage und sieben Nächte. Josseph zerriß seine Kleider von oben nach unten und that wie seine Mutter. Aber er weinte nicht; er trug sich mit Rachegedanken in der giftgeschwellten Seele, er sah funkelnde Messer vor seinen Augen auf und nieder gehen, er sah geschliffene Aexte in seiner Hand und andere Mordwerkzeuge; er dachte wirklich an Mord. Wollte er sich, wollte er sie, deren<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0031]
mörder haßt, der mit eigener Hand in die Lebensadern schneidet, um daran zu verbluten, der sich selbst den Stein umhängt, um in der Flut ein Leben zu begraben, das nicht ihm gehört, und auf das Andere fast noch mehr Anspruch hatten, als er selbst. Sie grollten ihr wie Einer, der man jahrelange Liebeswerke des Mitleids und der Gnade angethan, und die bei der nächsten Gelegenheit, wo man ihr begegnet, als Dank dafür eine häßliche Grimasse zurückschneidet.
Als die einzige Tochter des Hauses vor zehn Jahren einem jungen Bauer zu Liebe, dem sie anhing, ganz unversehens, fast in nächtlicher Stille aus der Familie entwich, als sie trotz aller Bitten sich nicht abhalten ließ, in der Kirche das Glaubensbekenntniß abzulegen, daß sie die Religion ihrer Väter wie ein böses Geschwür ansehe, dessen sie so eben durch das heilige Wasser der Taufe los und ledig geworden — da gab es einen ungeheuren Schmerz in dem einzigen Judenhause des Dorfes. Der Vater war vor Gram gestorben, aber die Mutter setzte sich hin auf einen niederen Fußschemel und weinte sieben Tage und sieben Nächte. Josseph zerriß seine Kleider von oben nach unten und that wie seine Mutter. Aber er weinte nicht; er trug sich mit Rachegedanken in der giftgeschwellten Seele, er sah funkelnde Messer vor seinen Augen auf und nieder gehen, er sah geschliffene Aexte in seiner Hand und andere Mordwerkzeuge; er dachte wirklich an Mord. Wollte er sich, wollte er sie, deren
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Zitationshilfe: | Kompert, Leopold: Eine Verlorene. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 95–309. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kompert_verlorene_1910/31>, abgerufen am 16.02.2025. |