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Kompert, Leopold: Eine Verlorene. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 95–309. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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jetzt freilich in einer anderen Sprache das "Vater Unser" oder den "Engelsgruß" zum Himmel richten! Blut wird nicht zu Wasser, sagt man sonst, aber das eigene Fleisch und Blut, nur weil die Seele, die ihm innewohnende , nicht dieselben Wege geht, wie die unsere, sich zu versauern und zu vergällen, die Faust gegen es zu ballen, es als Todten einzuscharren -- das war eine leichte Erfindung jener schwarzen Stunden, wie sie die Geschichte des Menschensclaventhums so oft überschlich. -- --

Wir wissen aus dem Gespräche zwischen Mutter und Sohn, was ein solcher Todter für die Familie zu bedeuten hat, und doch waren die Ausbrüche bitterer Gereiztheit, wie wir sie so eben erlebt, nichts Seltenes in dem einzigen Judenhause des Dorfes. Diese "Todte" war seit zehn Jahren gestorben, aber noch streckten sich die Schatten des Zornes lang und breit über das Haus, und es bedurfte nur eines unbedeutenden Steinchens, das hinein geworfen ward in die sonst so stille Flut ihres Daseins, daß der zischende Gischt des Grolles hoch aufbraus'te!

Wer die Menschen kennt und ihre Eigenthümlichkeiten, besonders die der Juden, den wird es nicht in Verwunderung setzen, daß die Bewohner jenes Hauses, die wir unter so eigenthümlichen Umständen haben kennen gelernt, in der Bäuerin Madlena nicht so sehr die Katholikin und die vom Glauben ihrer Väter Abgefallene haßten; sie haßten sie, wie man einen Selbst-

jetzt freilich in einer anderen Sprache das „Vater Unser“ oder den „Engelsgruß“ zum Himmel richten! Blut wird nicht zu Wasser, sagt man sonst, aber das eigene Fleisch und Blut, nur weil die Seele, die ihm innewohnende , nicht dieselben Wege geht, wie die unsere, sich zu versauern und zu vergällen, die Faust gegen es zu ballen, es als Todten einzuscharren — das war eine leichte Erfindung jener schwarzen Stunden, wie sie die Geschichte des Menschensclaventhums so oft überschlich. — —

Wir wissen aus dem Gespräche zwischen Mutter und Sohn, was ein solcher Todter für die Familie zu bedeuten hat, und doch waren die Ausbrüche bitterer Gereiztheit, wie wir sie so eben erlebt, nichts Seltenes in dem einzigen Judenhause des Dorfes. Diese „Todte“ war seit zehn Jahren gestorben, aber noch streckten sich die Schatten des Zornes lang und breit über das Haus, und es bedurfte nur eines unbedeutenden Steinchens, das hinein geworfen ward in die sonst so stille Flut ihres Daseins, daß der zischende Gischt des Grolles hoch aufbraus'te!

Wer die Menschen kennt und ihre Eigenthümlichkeiten, besonders die der Juden, den wird es nicht in Verwunderung setzen, daß die Bewohner jenes Hauses, die wir unter so eigenthümlichen Umständen haben kennen gelernt, in der Bäuerin Madlena nicht so sehr die Katholikin und die vom Glauben ihrer Väter Abgefallene haßten; sie haßten sie, wie man einen Selbst-

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T13:25:39Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T13:25:39Z)

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Zitationshilfe: Kompert, Leopold: Eine Verlorene. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 95–309. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kompert_verlorene_1910/30>, abgerufen am 22.11.2024.