Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kompert, Leopold: Eine Verlorene. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 95–309. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

Dessentwegen hättest du dem Jüngel doch nicht wehren sollen, wie er ihr hat helfen wollen. Du hast ihn ja fortgejagt, und sie hat doch nicht fort können.

Mamme, sagte er darauf mit fürchterlicher Ruhe, mit der Hand, die ich da aufhebe, hätt' ich ihm das Genick gebrochen, wenn ihm eingefallen wär', ihr nur ein leicht Federl von der Erd' aufzuheben. Erlebt hätt' er's nicht.

Josseph, Josseph, schrie die alte Frau und sah ihm entsetzt in das wild aufgeregte Gesicht, versündig dich nicht an Gott.

Heißt das auch versündigen? gab er zur Antwort; wegen der werd' ich mich versündigen?

Warst du denn blind und hast nicht gesehen, daß sie ein schwanger Weib ist? kreischte die Mutter auf.

Es muß in diesen Worten eine geheimnißvolle Gewalt liegen, daß sie den Zorn Josseph's fast augenblicklich bändigen konnten. Er war sichtbar erschrocken; eine Weile lang blickte er der alten Frau, beinahe zweifelhaft über das Geständniß, das den gesegneten Zustand seiner Schwester betraf, in das noch immer aufgeregte Antlitz. Dann wandte er sich von ihr ab; er löschte die Kerze aus, als hätte er damit das Wehe seiner Mutter, vielleicht auch sein eigenes auslöschen können. Zu Bett ging er nicht; er stellte sich zum Fenster hin und starrte in die Nacht hinaus.

Es war mit einem Male in der Stube still geworden, die alte Frau klagte nicht mehr und schien

Dessentwegen hättest du dem Jüngel doch nicht wehren sollen, wie er ihr hat helfen wollen. Du hast ihn ja fortgejagt, und sie hat doch nicht fort können.

Mamme, sagte er darauf mit fürchterlicher Ruhe, mit der Hand, die ich da aufhebe, hätt' ich ihm das Genick gebrochen, wenn ihm eingefallen wär', ihr nur ein leicht Federl von der Erd' aufzuheben. Erlebt hätt' er's nicht.

Josseph, Josseph, schrie die alte Frau und sah ihm entsetzt in das wild aufgeregte Gesicht, versündig dich nicht an Gott.

Heißt das auch versündigen? gab er zur Antwort; wegen der werd' ich mich versündigen?

Warst du denn blind und hast nicht gesehen, daß sie ein schwanger Weib ist? kreischte die Mutter auf.

Es muß in diesen Worten eine geheimnißvolle Gewalt liegen, daß sie den Zorn Josseph's fast augenblicklich bändigen konnten. Er war sichtbar erschrocken; eine Weile lang blickte er der alten Frau, beinahe zweifelhaft über das Geständniß, das den gesegneten Zustand seiner Schwester betraf, in das noch immer aufgeregte Antlitz. Dann wandte er sich von ihr ab; er löschte die Kerze aus, als hätte er damit das Wehe seiner Mutter, vielleicht auch sein eigenes auslöschen können. Zu Bett ging er nicht; er stellte sich zum Fenster hin und starrte in die Nacht hinaus.

Es war mit einem Male in der Stube still geworden, die alte Frau klagte nicht mehr und schien

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="chapter" n="2">
        <pb facs="#f0027"/>
        <p>Dessentwegen hättest du dem Jüngel doch nicht wehren sollen, wie er ihr hat helfen                wollen. Du hast ihn ja fortgejagt, und sie hat doch nicht fort können.</p><lb/>
        <p>Mamme, sagte er darauf mit fürchterlicher Ruhe, mit der Hand, die ich da aufhebe,                hätt' ich ihm das Genick gebrochen, wenn ihm eingefallen wär', ihr nur ein leicht                Federl von der Erd' aufzuheben. Erlebt hätt' er's nicht.</p><lb/>
        <p>Josseph, Josseph, schrie die alte Frau und sah ihm entsetzt in das wild aufgeregte                Gesicht, versündig dich nicht an Gott.</p><lb/>
        <p>Heißt das auch versündigen? gab er zur Antwort; wegen der werd' ich mich                versündigen?</p><lb/>
        <p>Warst du denn blind und hast nicht gesehen, daß sie ein schwanger Weib ist? kreischte                die Mutter auf.</p><lb/>
        <p>Es muß in diesen Worten eine geheimnißvolle Gewalt liegen, daß sie den Zorn Josseph's                fast augenblicklich bändigen konnten. Er war sichtbar erschrocken; eine Weile lang                blickte er der alten Frau, beinahe zweifelhaft über das Geständniß, das den                gesegneten Zustand seiner Schwester betraf, in das noch immer aufgeregte Antlitz.                Dann wandte er sich von ihr ab; er löschte die Kerze aus, als hätte er damit das Wehe                seiner Mutter, vielleicht auch sein eigenes auslöschen können. Zu Bett ging er nicht;                er stellte sich zum Fenster hin und starrte in die Nacht hinaus.</p><lb/>
        <p>Es war mit einem Male in der Stube still geworden, die alte Frau klagte nicht mehr                und schien<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0027] Dessentwegen hättest du dem Jüngel doch nicht wehren sollen, wie er ihr hat helfen wollen. Du hast ihn ja fortgejagt, und sie hat doch nicht fort können. Mamme, sagte er darauf mit fürchterlicher Ruhe, mit der Hand, die ich da aufhebe, hätt' ich ihm das Genick gebrochen, wenn ihm eingefallen wär', ihr nur ein leicht Federl von der Erd' aufzuheben. Erlebt hätt' er's nicht. Josseph, Josseph, schrie die alte Frau und sah ihm entsetzt in das wild aufgeregte Gesicht, versündig dich nicht an Gott. Heißt das auch versündigen? gab er zur Antwort; wegen der werd' ich mich versündigen? Warst du denn blind und hast nicht gesehen, daß sie ein schwanger Weib ist? kreischte die Mutter auf. Es muß in diesen Worten eine geheimnißvolle Gewalt liegen, daß sie den Zorn Josseph's fast augenblicklich bändigen konnten. Er war sichtbar erschrocken; eine Weile lang blickte er der alten Frau, beinahe zweifelhaft über das Geständniß, das den gesegneten Zustand seiner Schwester betraf, in das noch immer aufgeregte Antlitz. Dann wandte er sich von ihr ab; er löschte die Kerze aus, als hätte er damit das Wehe seiner Mutter, vielleicht auch sein eigenes auslöschen können. Zu Bett ging er nicht; er stellte sich zum Fenster hin und starrte in die Nacht hinaus. Es war mit einem Male in der Stube still geworden, die alte Frau klagte nicht mehr und schien

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T13:25:39Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T13:25:39Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kompert_verlorene_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kompert_verlorene_1910/27
Zitationshilfe: Kompert, Leopold: Eine Verlorene. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 95–309. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kompert_verlorene_1910/27>, abgerufen am 23.11.2024.