Kompert, Leopold: Eine Verlorene. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 95–309. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Was Josseph in diesem Augenblicke dachte, war ein wirres Durcheinanderjagen sich widersprechender Empfindungen. Er fühlte sich mehr körperlich als geistig abgespannt, seine Augen schmerzten ihn, sein Herz pochte gegen die Brustwand. Er war wie einer, der sich unter der Hand eines Gewaltigen fühlt, unfähig, seinen Blick zu ihm aufzurichten. Genug, genug, Mamme, rief er mit gepreßter Stimme, ich mein' schier, daß ich sterben muß, wenn du noch ein Wort sprichst. Du Narr, sagte sie lächelnd, ich werd' sterben und du wirst leben und wirst denken all die Tag' deines Lebens an den Urdede und die alte Mamme, wenn schon lang nichts mehr da ist von ihr. Sei du kein Narr, und leg dich lieber schlafen. Ich werd' ja morgen noch nicht sterben. -- Und so schnellem Wechsel ist das Menschengemüth unterordnet, daß Josseph keine halbe Stunde darauf im tiefsten Schlafe lag. Marjim aber wälzte sich schlummerlos in ihrem Bette; sie mußte ja daran denken, was sie ihrem Urdede am Freitage, wenn sie zu ihm kommen werde, für eine Antwort geben solle! Was Josseph in diesem Augenblicke dachte, war ein wirres Durcheinanderjagen sich widersprechender Empfindungen. Er fühlte sich mehr körperlich als geistig abgespannt, seine Augen schmerzten ihn, sein Herz pochte gegen die Brustwand. Er war wie einer, der sich unter der Hand eines Gewaltigen fühlt, unfähig, seinen Blick zu ihm aufzurichten. Genug, genug, Mamme, rief er mit gepreßter Stimme, ich mein' schier, daß ich sterben muß, wenn du noch ein Wort sprichst. Du Narr, sagte sie lächelnd, ich werd' sterben und du wirst leben und wirst denken all die Tag' deines Lebens an den Urdede und die alte Mamme, wenn schon lang nichts mehr da ist von ihr. Sei du kein Narr, und leg dich lieber schlafen. Ich werd' ja morgen noch nicht sterben. — Und so schnellem Wechsel ist das Menschengemüth unterordnet, daß Josseph keine halbe Stunde darauf im tiefsten Schlafe lag. Marjim aber wälzte sich schlummerlos in ihrem Bette; sie mußte ja daran denken, was sie ihrem Urdede am Freitage, wenn sie zu ihm kommen werde, für eine Antwort geben solle! <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="12"> <pb facs="#f0187"/> <p>Was Josseph in diesem Augenblicke dachte, war ein wirres Durcheinanderjagen sich widersprechender Empfindungen. Er fühlte sich mehr körperlich als geistig abgespannt, seine Augen schmerzten ihn, sein Herz pochte gegen die Brustwand. Er war wie einer, der sich unter der Hand eines Gewaltigen fühlt, unfähig, seinen Blick zu ihm aufzurichten.</p><lb/> <p>Genug, genug, Mamme, rief er mit gepreßter Stimme, ich mein' schier, daß ich sterben muß, wenn du noch ein Wort sprichst.</p><lb/> <p>Du Narr, sagte sie lächelnd, ich werd' sterben und du wirst leben und wirst denken all die Tag' deines Lebens an den Urdede und die alte Mamme, wenn schon lang nichts mehr da ist von ihr. Sei du kein Narr, und leg dich lieber schlafen. Ich werd' ja morgen noch nicht sterben. —</p><lb/> <p>Und so schnellem Wechsel ist das Menschengemüth unterordnet, daß Josseph keine halbe Stunde darauf im tiefsten Schlafe lag. Marjim aber wälzte sich schlummerlos in ihrem Bette; sie mußte ja daran denken, was sie ihrem Urdede am Freitage, wenn sie zu ihm kommen werde, für eine Antwort geben solle!</p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [0187]
Was Josseph in diesem Augenblicke dachte, war ein wirres Durcheinanderjagen sich widersprechender Empfindungen. Er fühlte sich mehr körperlich als geistig abgespannt, seine Augen schmerzten ihn, sein Herz pochte gegen die Brustwand. Er war wie einer, der sich unter der Hand eines Gewaltigen fühlt, unfähig, seinen Blick zu ihm aufzurichten.
Genug, genug, Mamme, rief er mit gepreßter Stimme, ich mein' schier, daß ich sterben muß, wenn du noch ein Wort sprichst.
Du Narr, sagte sie lächelnd, ich werd' sterben und du wirst leben und wirst denken all die Tag' deines Lebens an den Urdede und die alte Mamme, wenn schon lang nichts mehr da ist von ihr. Sei du kein Narr, und leg dich lieber schlafen. Ich werd' ja morgen noch nicht sterben. —
Und so schnellem Wechsel ist das Menschengemüth unterordnet, daß Josseph keine halbe Stunde darauf im tiefsten Schlafe lag. Marjim aber wälzte sich schlummerlos in ihrem Bette; sie mußte ja daran denken, was sie ihrem Urdede am Freitage, wenn sie zu ihm kommen werde, für eine Antwort geben solle!
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Zitationshilfe: | Kompert, Leopold: Eine Verlorene. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 95–309. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kompert_verlorene_1910/187>, abgerufen am 23.06.2024. |