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Kompert, Leopold: Eine Verlorene. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 95–309. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Ich geh' in die Stadt, sagte sie, und da will ich die ganze Nacht durchgehen, dort will ich mich in Dienst verdingen. Es ist doch Alles, Alles aus, und wenn man einen Menschen verrathen hat, da ist kein Baum so klein, an den man sich nicht hängen soll.

Willst du denn die Babe nicht mehr sehen?

Tiefathmend sagte die Magd nach einer Weile: Nein, ich komm' nicht eher, als bis zu ihrem Begräbnisse, da will ich aber kommen.

So geh! -- -- --

Als Josseph von seinem nächtlichen Gange wieder an Madlena's Haus vorüberkam, brannte noch immer das Licht darin. Sie schlief also noch nicht? Mußte sie noch immer an der Wiege ihres Kindes wachen?

12. In der elften Stunde.

Die alte Marjim ahnte nichts von den Erlebnissen dieser furchtbaren Nacht; seit langen Jahren war sie nicht in einem so tiefen Schlafe gelegen, als gerade diesmal. Als sie spät am Morgen die Augen aufschlug, sah sie Josseph in dem Winkel der Stube, der gegen Sonnenaufgang liegt, im andächtigen Gebete stehen. Er war gerade bei jener Stelle in den achtzehn Segnungen, deren eine Gott, den König der Welt,

Ich geh' in die Stadt, sagte sie, und da will ich die ganze Nacht durchgehen, dort will ich mich in Dienst verdingen. Es ist doch Alles, Alles aus, und wenn man einen Menschen verrathen hat, da ist kein Baum so klein, an den man sich nicht hängen soll.

Willst du denn die Babe nicht mehr sehen?

Tiefathmend sagte die Magd nach einer Weile: Nein, ich komm' nicht eher, als bis zu ihrem Begräbnisse, da will ich aber kommen.

So geh! — — —

Als Josseph von seinem nächtlichen Gange wieder an Madlena's Haus vorüberkam, brannte noch immer das Licht darin. Sie schlief also noch nicht? Mußte sie noch immer an der Wiege ihres Kindes wachen?

12. In der elften Stunde.

Die alte Marjim ahnte nichts von den Erlebnissen dieser furchtbaren Nacht; seit langen Jahren war sie nicht in einem so tiefen Schlafe gelegen, als gerade diesmal. Als sie spät am Morgen die Augen aufschlug, sah sie Josseph in dem Winkel der Stube, der gegen Sonnenaufgang liegt, im andächtigen Gebete stehen. Er war gerade bei jener Stelle in den achtzehn Segnungen, deren eine Gott, den König der Welt,

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[0165] Ich geh' in die Stadt, sagte sie, und da will ich die ganze Nacht durchgehen, dort will ich mich in Dienst verdingen. Es ist doch Alles, Alles aus, und wenn man einen Menschen verrathen hat, da ist kein Baum so klein, an den man sich nicht hängen soll. Willst du denn die Babe nicht mehr sehen? Tiefathmend sagte die Magd nach einer Weile: Nein, ich komm' nicht eher, als bis zu ihrem Begräbnisse, da will ich aber kommen. So geh! — — — Als Josseph von seinem nächtlichen Gange wieder an Madlena's Haus vorüberkam, brannte noch immer das Licht darin. Sie schlief also noch nicht? Mußte sie noch immer an der Wiege ihres Kindes wachen? 12. In der elften Stunde. Die alte Marjim ahnte nichts von den Erlebnissen dieser furchtbaren Nacht; seit langen Jahren war sie nicht in einem so tiefen Schlafe gelegen, als gerade diesmal. Als sie spät am Morgen die Augen aufschlug, sah sie Josseph in dem Winkel der Stube, der gegen Sonnenaufgang liegt, im andächtigen Gebete stehen. Er war gerade bei jener Stelle in den achtzehn Segnungen, deren eine Gott, den König der Welt,

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T13:25:39Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T13:25:39Z)

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Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




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Zitationshilfe: Kompert, Leopold: Eine Verlorene. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 95–309. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kompert_verlorene_1910/165>, abgerufen am 23.11.2024.