Kompert, Leopold: Eine Verlorene. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 95–309. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.glaub's ja nicht, der Pfarrer hat dir nicht das Rechte verkündet. So ist der Jud nicht, so wirklich nicht, mir mußt du glauben. . . . So ist es nicht. Schluchzend, aus tiefinnerstem Herzen weinend, sprach die Magd: Ich hab's ja doch gesehen, Herr Josseph, wie Ihr meinen Vater zurückgehalten habt. Zur Hölle wär' er gefahren, wenn Ihr nicht dabei gewesen. Es ist jetzt Alles wie herausgewaschen aus mir, ich könnt' mich eher umbringen lassen, als Euch jetzt ein böses Wort nachsagen. Der Pfarrer hat gelogen, und wer ihm nicht hätt' glauben sollen, das war ich. Jetzt glaub' ich Euch mehr als ihm. Und doch, und doch! -- Josseph wollte noch sprechen; er wußte, daß er die Magd mit einer zweiten Lüge belastet habe, die nicht leichter wog, als die andere. Warum sprach er nicht, warum hielt er das Wort zurück? Fiel es ihm so schwer, sich noch einmal zu demüthigen, der Magd noch einmal zu sagen: Sieh, so ganz unwahr hat der Pfarrer doch nicht gesprochen? Vieles ist unwahr und trifft mich nicht, aber der Kern seiner Rede breitet sich in meiner Seele wie ein Giftbaum aus und droht sie mit seinen stämmigen Wurzeln zu zersprengen. Warum sprach er nicht? -- Anezka hatte sich aufgerichtet und wandte sich zum Fortgehen. Wohin gehst du jetzt, Anezka? rief er leise. glaub's ja nicht, der Pfarrer hat dir nicht das Rechte verkündet. So ist der Jud nicht, so wirklich nicht, mir mußt du glauben. . . . So ist es nicht. Schluchzend, aus tiefinnerstem Herzen weinend, sprach die Magd: Ich hab's ja doch gesehen, Herr Josseph, wie Ihr meinen Vater zurückgehalten habt. Zur Hölle wär' er gefahren, wenn Ihr nicht dabei gewesen. Es ist jetzt Alles wie herausgewaschen aus mir, ich könnt' mich eher umbringen lassen, als Euch jetzt ein böses Wort nachsagen. Der Pfarrer hat gelogen, und wer ihm nicht hätt' glauben sollen, das war ich. Jetzt glaub' ich Euch mehr als ihm. Und doch, und doch! — Josseph wollte noch sprechen; er wußte, daß er die Magd mit einer zweiten Lüge belastet habe, die nicht leichter wog, als die andere. Warum sprach er nicht, warum hielt er das Wort zurück? Fiel es ihm so schwer, sich noch einmal zu demüthigen, der Magd noch einmal zu sagen: Sieh, so ganz unwahr hat der Pfarrer doch nicht gesprochen? Vieles ist unwahr und trifft mich nicht, aber der Kern seiner Rede breitet sich in meiner Seele wie ein Giftbaum aus und droht sie mit seinen stämmigen Wurzeln zu zersprengen. Warum sprach er nicht? — Anezka hatte sich aufgerichtet und wandte sich zum Fortgehen. Wohin gehst du jetzt, Anezka? rief er leise. <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="11"> <p><pb facs="#f0164"/> glaub's ja nicht, der Pfarrer hat dir nicht das Rechte verkündet. So ist der Jud nicht, so wirklich nicht, mir mußt du glauben. . . . So ist es nicht.</p><lb/> <p>Schluchzend, aus tiefinnerstem Herzen weinend, sprach die Magd:</p><lb/> <p>Ich hab's ja doch gesehen, Herr Josseph, wie Ihr meinen Vater zurückgehalten habt. Zur Hölle wär' er gefahren, wenn Ihr nicht dabei gewesen. Es ist jetzt Alles wie herausgewaschen aus mir, ich könnt' mich eher umbringen lassen, als Euch jetzt ein böses Wort nachsagen. Der Pfarrer hat gelogen, und wer ihm nicht hätt' glauben sollen, das war ich. Jetzt glaub' ich Euch mehr als ihm.</p><lb/> <p>Und doch, und doch! —</p><lb/> <p>Josseph wollte noch sprechen; er wußte, daß er die Magd mit einer zweiten Lüge belastet habe, die nicht leichter wog, als die andere. Warum sprach er nicht, warum hielt er das Wort zurück? Fiel es ihm so schwer, sich noch einmal zu demüthigen, der Magd noch einmal zu sagen: Sieh, so ganz unwahr hat der Pfarrer doch nicht gesprochen? Vieles ist unwahr und trifft mich nicht, aber der Kern seiner Rede breitet sich in meiner Seele wie ein Giftbaum aus und droht sie mit seinen stämmigen Wurzeln zu zersprengen. Warum sprach er nicht? —</p><lb/> <p>Anezka hatte sich aufgerichtet und wandte sich zum Fortgehen.</p><lb/> <p>Wohin gehst du jetzt, Anezka? rief er leise.</p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [0164]
glaub's ja nicht, der Pfarrer hat dir nicht das Rechte verkündet. So ist der Jud nicht, so wirklich nicht, mir mußt du glauben. . . . So ist es nicht.
Schluchzend, aus tiefinnerstem Herzen weinend, sprach die Magd:
Ich hab's ja doch gesehen, Herr Josseph, wie Ihr meinen Vater zurückgehalten habt. Zur Hölle wär' er gefahren, wenn Ihr nicht dabei gewesen. Es ist jetzt Alles wie herausgewaschen aus mir, ich könnt' mich eher umbringen lassen, als Euch jetzt ein böses Wort nachsagen. Der Pfarrer hat gelogen, und wer ihm nicht hätt' glauben sollen, das war ich. Jetzt glaub' ich Euch mehr als ihm.
Und doch, und doch! —
Josseph wollte noch sprechen; er wußte, daß er die Magd mit einer zweiten Lüge belastet habe, die nicht leichter wog, als die andere. Warum sprach er nicht, warum hielt er das Wort zurück? Fiel es ihm so schwer, sich noch einmal zu demüthigen, der Magd noch einmal zu sagen: Sieh, so ganz unwahr hat der Pfarrer doch nicht gesprochen? Vieles ist unwahr und trifft mich nicht, aber der Kern seiner Rede breitet sich in meiner Seele wie ein Giftbaum aus und droht sie mit seinen stämmigen Wurzeln zu zersprengen. Warum sprach er nicht? —
Anezka hatte sich aufgerichtet und wandte sich zum Fortgehen.
Wohin gehst du jetzt, Anezka? rief er leise.
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Zitationshilfe: | Kompert, Leopold: Eine Verlorene. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 95–309. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kompert_verlorene_1910/164>, abgerufen am 26.06.2024. |