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Kompert, Leopold: Eine Verlorene. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 95–309. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Gott, großer Gott, wo hast du mich hingebracht! sprach er leise vor sich hin. Und ich hab' doch geglaubt, ich thu' recht, und daß ich eine Sünde begeh', ist mir ja nicht eingefallen. Anezka, sagte er laut, hat dir der Pfarrer weiter nichts gesagt?

Er hat noch gesagt: Viele giebt es auf der Welt, und die wissen nicht, daß sie selbst der Ahasverus sind. Sie lassen Menschen umkommen an ihrer Seite, wenn sie nur den Finger auszustrecken brauchten. Das sind besonders die Juden, wenn Einer von ihnen aus ihrer Mitte geht und sich als Christen bekennt! Möchten sie dem nicht gerne die Augen aushacken, ihn tausend Mal ans Kreuz schlagen, seine Glieder in siedendes Blei werfen und die Asche ins Meer streuen, daß keine Spur davon bleibt? Aber von ihnen gilt, was der Herr und Heiland gesagt hat: was ihr Einem von den Meinigen gethan habt, das habt ihr mir gethan, und darum werden die Juden noch lange keine Ruhe haben.

Anezka, rief Josseph mit flammenden Wangen und mit geballter Faust, denn die letzten Worte der Magd hatten wieder alle seine Lebensgeister zum Aufruhr gebracht; Anezka, wie hat dich der Pfarrer gefoppt, was hat er dir da nicht eingeredet, und du hast ihm geglaubt, als ob's ein Heiliger oder Gott selbst dir gesagt hätte! Tret' Einer auf und beweise mir das, ich könnt' meiner Schwester nur einen Finger anrühren, oder ich könnt' zusehen, wie man sich an ihr

Gott, großer Gott, wo hast du mich hingebracht! sprach er leise vor sich hin. Und ich hab' doch geglaubt, ich thu' recht, und daß ich eine Sünde begeh', ist mir ja nicht eingefallen. Anezka, sagte er laut, hat dir der Pfarrer weiter nichts gesagt?

Er hat noch gesagt: Viele giebt es auf der Welt, und die wissen nicht, daß sie selbst der Ahasverus sind. Sie lassen Menschen umkommen an ihrer Seite, wenn sie nur den Finger auszustrecken brauchten. Das sind besonders die Juden, wenn Einer von ihnen aus ihrer Mitte geht und sich als Christen bekennt! Möchten sie dem nicht gerne die Augen aushacken, ihn tausend Mal ans Kreuz schlagen, seine Glieder in siedendes Blei werfen und die Asche ins Meer streuen, daß keine Spur davon bleibt? Aber von ihnen gilt, was der Herr und Heiland gesagt hat: was ihr Einem von den Meinigen gethan habt, das habt ihr mir gethan, und darum werden die Juden noch lange keine Ruhe haben.

Anezka, rief Josseph mit flammenden Wangen und mit geballter Faust, denn die letzten Worte der Magd hatten wieder alle seine Lebensgeister zum Aufruhr gebracht; Anezka, wie hat dich der Pfarrer gefoppt, was hat er dir da nicht eingeredet, und du hast ihm geglaubt, als ob's ein Heiliger oder Gott selbst dir gesagt hätte! Tret' Einer auf und beweise mir das, ich könnt' meiner Schwester nur einen Finger anrühren, oder ich könnt' zusehen, wie man sich an ihr

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[0162] Gott, großer Gott, wo hast du mich hingebracht! sprach er leise vor sich hin. Und ich hab' doch geglaubt, ich thu' recht, und daß ich eine Sünde begeh', ist mir ja nicht eingefallen. Anezka, sagte er laut, hat dir der Pfarrer weiter nichts gesagt? Er hat noch gesagt: Viele giebt es auf der Welt, und die wissen nicht, daß sie selbst der Ahasverus sind. Sie lassen Menschen umkommen an ihrer Seite, wenn sie nur den Finger auszustrecken brauchten. Das sind besonders die Juden, wenn Einer von ihnen aus ihrer Mitte geht und sich als Christen bekennt! Möchten sie dem nicht gerne die Augen aushacken, ihn tausend Mal ans Kreuz schlagen, seine Glieder in siedendes Blei werfen und die Asche ins Meer streuen, daß keine Spur davon bleibt? Aber von ihnen gilt, was der Herr und Heiland gesagt hat: was ihr Einem von den Meinigen gethan habt, das habt ihr mir gethan, und darum werden die Juden noch lange keine Ruhe haben. Anezka, rief Josseph mit flammenden Wangen und mit geballter Faust, denn die letzten Worte der Magd hatten wieder alle seine Lebensgeister zum Aufruhr gebracht; Anezka, wie hat dich der Pfarrer gefoppt, was hat er dir da nicht eingeredet, und du hast ihm geglaubt, als ob's ein Heiliger oder Gott selbst dir gesagt hätte! Tret' Einer auf und beweise mir das, ich könnt' meiner Schwester nur einen Finger anrühren, oder ich könnt' zusehen, wie man sich an ihr

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Thomas Weitin: Herausgeber
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Zitationshilfe: Kompert, Leopold: Eine Verlorene. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 95–309. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kompert_verlorene_1910/162>, abgerufen am 27.11.2024.