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Kompert, Leopold: Eine Verlorene. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 95–309. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Müdigkeit die Seele aufgiebt. Der Schuster ist draußen gestanden, und wie der Herr und Heiland so im Staube liegt und zu vergehen meint, bittet er den Schuster, er möchte ihm doch helfen oder doch Wasser ihm reichen. Der aber, was meint Ihr? Der hat den Herrn und Heiland mit dem Fuße von sich gestoßen, den armen, todtmüden Herrn und Heiland! Mit einem Blicke, der ist dem Schuster bis in die innerste Seele gedrungen, hat ihn der Sohn Gottes angesehen und gesagt: Ahasverus, so hat der Schuster geheißen, du sollst nicht leben und nicht sterben können, und wirst herumwandern auf der Erde bis an das letzte Ende aller Tage. Und wie der Herr und Heiland gesagt hat, so ist's auch geschehen. Der Schuster hat seitdem keine Ruh' gehabt.

Schwer ließen sich die Worte zusammenfinden, um die Seelenlage eines Mannes zu schildern, über den die einfache Erzählung der Magd wie ein Feuerregen sich ergoß. Die Haare standen ihm zu Berge, es durchrieselte ihn etwas, wie der Schauer eines kommenden Gerichtes. Minutenlang stand oft der Schlag seines Herzens stille, dann mußte er es wieder mit den Händen halten, daß es die Hülle nicht zersprenge. So hätte er sich jene verhängnißvollen Worte, die vor drei Wochen auf der Gewölbthür geschrieben standen, nicht gedeutet! Und er ließ sie noch dort und wusch sie nicht sieben Mal hinter einander ab mit scharfer Lauge! Unendliche Seelenangst hatte ihn befallen.

Müdigkeit die Seele aufgiebt. Der Schuster ist draußen gestanden, und wie der Herr und Heiland so im Staube liegt und zu vergehen meint, bittet er den Schuster, er möchte ihm doch helfen oder doch Wasser ihm reichen. Der aber, was meint Ihr? Der hat den Herrn und Heiland mit dem Fuße von sich gestoßen, den armen, todtmüden Herrn und Heiland! Mit einem Blicke, der ist dem Schuster bis in die innerste Seele gedrungen, hat ihn der Sohn Gottes angesehen und gesagt: Ahasverus, so hat der Schuster geheißen, du sollst nicht leben und nicht sterben können, und wirst herumwandern auf der Erde bis an das letzte Ende aller Tage. Und wie der Herr und Heiland gesagt hat, so ist's auch geschehen. Der Schuster hat seitdem keine Ruh' gehabt.

Schwer ließen sich die Worte zusammenfinden, um die Seelenlage eines Mannes zu schildern, über den die einfache Erzählung der Magd wie ein Feuerregen sich ergoß. Die Haare standen ihm zu Berge, es durchrieselte ihn etwas, wie der Schauer eines kommenden Gerichtes. Minutenlang stand oft der Schlag seines Herzens stille, dann mußte er es wieder mit den Händen halten, daß es die Hülle nicht zersprenge. So hätte er sich jene verhängnißvollen Worte, die vor drei Wochen auf der Gewölbthür geschrieben standen, nicht gedeutet! Und er ließ sie noch dort und wusch sie nicht sieben Mal hinter einander ab mit scharfer Lauge! Unendliche Seelenangst hatte ihn befallen.

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[0161] Müdigkeit die Seele aufgiebt. Der Schuster ist draußen gestanden, und wie der Herr und Heiland so im Staube liegt und zu vergehen meint, bittet er den Schuster, er möchte ihm doch helfen oder doch Wasser ihm reichen. Der aber, was meint Ihr? Der hat den Herrn und Heiland mit dem Fuße von sich gestoßen, den armen, todtmüden Herrn und Heiland! Mit einem Blicke, der ist dem Schuster bis in die innerste Seele gedrungen, hat ihn der Sohn Gottes angesehen und gesagt: Ahasverus, so hat der Schuster geheißen, du sollst nicht leben und nicht sterben können, und wirst herumwandern auf der Erde bis an das letzte Ende aller Tage. Und wie der Herr und Heiland gesagt hat, so ist's auch geschehen. Der Schuster hat seitdem keine Ruh' gehabt. Schwer ließen sich die Worte zusammenfinden, um die Seelenlage eines Mannes zu schildern, über den die einfache Erzählung der Magd wie ein Feuerregen sich ergoß. Die Haare standen ihm zu Berge, es durchrieselte ihn etwas, wie der Schauer eines kommenden Gerichtes. Minutenlang stand oft der Schlag seines Herzens stille, dann mußte er es wieder mit den Händen halten, daß es die Hülle nicht zersprenge. So hätte er sich jene verhängnißvollen Worte, die vor drei Wochen auf der Gewölbthür geschrieben standen, nicht gedeutet! Und er ließ sie noch dort und wusch sie nicht sieben Mal hinter einander ab mit scharfer Lauge! Unendliche Seelenangst hatte ihn befallen.

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T13:25:39Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T13:25:39Z)

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Zitationshilfe: Kompert, Leopold: Eine Verlorene. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 95–309. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kompert_verlorene_1910/161>, abgerufen am 23.11.2024.