Kompert, Leopold: Eine Verlorene. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 95–309. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.sogar ein Geschäft angetragen, aber ich bin ihm nicht nachgegangen. Ich will von Keinem wissen, der nur an ihr anrührt. Ich hab' ihn auch stehen lassen. -- Arme Marjim! Sie hatte so viel erwartet. Sabbatnacht, wenn die Hawdala oder die sinnbildliche Scheidung der Woche von dem Ruhetag des Herrn durch Anzünden und Verlöschen der geweihten Kerze vorüber war, begab sich Josseph gewöhnlich ans Rechnungsgeschäft der Woche; er schrieb und zählte da eingenommenes und wegzugebendes Geld, zeichnete sich die Bauern auf, die in dieser Woche gemahnt werden mußten, wie überhaupt Alles, was das Geschäft anging. Fischele hatte dabei die Verrichtung, daß er die Geldrollen nach ihren verschiedenen Klassen aufstapelte, so daß der Tisch bei solchen Gelegenheiten fast zu klein ward für den Leuchter, der seine Flammen dazu herlieh. Der Knabe sollte, wie dies Josseph fast allwöchentlich wiederholte, lernen, was Geld sei, und damit er nie in die Lage komme, wenn er einen Gulden zum Wechseln auf fünf Groschen erhielte, nicht zu wissen, wie viel er heraus zu geben habe. Diesmal verbat er sich jedoch die Dienste Fischele's. Er befahl ihm, sich heut Abend nicht zu muxen, denn er habe da eine Rechnung zu machen und Zinsen von Zinsen eines Capitals auszudenken, daß ihm der Kopf groß wie ein Haus würde. Aus dem letzten Fache eines Schreibtisches holte er dann alte und vergilbte Papiere hervor, die er, um sie genauer zu lesen, mit der Brille sogar ein Geschäft angetragen, aber ich bin ihm nicht nachgegangen. Ich will von Keinem wissen, der nur an ihr anrührt. Ich hab' ihn auch stehen lassen. — Arme Marjim! Sie hatte so viel erwartet. Sabbatnacht, wenn die Hawdala oder die sinnbildliche Scheidung der Woche von dem Ruhetag des Herrn durch Anzünden und Verlöschen der geweihten Kerze vorüber war, begab sich Josseph gewöhnlich ans Rechnungsgeschäft der Woche; er schrieb und zählte da eingenommenes und wegzugebendes Geld, zeichnete sich die Bauern auf, die in dieser Woche gemahnt werden mußten, wie überhaupt Alles, was das Geschäft anging. Fischele hatte dabei die Verrichtung, daß er die Geldrollen nach ihren verschiedenen Klassen aufstapelte, so daß der Tisch bei solchen Gelegenheiten fast zu klein ward für den Leuchter, der seine Flammen dazu herlieh. Der Knabe sollte, wie dies Josseph fast allwöchentlich wiederholte, lernen, was Geld sei, und damit er nie in die Lage komme, wenn er einen Gulden zum Wechseln auf fünf Groschen erhielte, nicht zu wissen, wie viel er heraus zu geben habe. Diesmal verbat er sich jedoch die Dienste Fischele's. Er befahl ihm, sich heut Abend nicht zu muxen, denn er habe da eine Rechnung zu machen und Zinsen von Zinsen eines Capitals auszudenken, daß ihm der Kopf groß wie ein Haus würde. Aus dem letzten Fache eines Schreibtisches holte er dann alte und vergilbte Papiere hervor, die er, um sie genauer zu lesen, mit der Brille <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="9"> <p><pb facs="#f0129"/> sogar ein Geschäft angetragen, aber ich bin ihm nicht nachgegangen. Ich will von Keinem wissen, der nur an ihr anrührt. Ich hab' ihn auch stehen lassen. —</p><lb/> <p>Arme Marjim! Sie hatte so viel erwartet.</p><lb/> <p>Sabbatnacht, wenn die Hawdala oder die sinnbildliche Scheidung der Woche von dem Ruhetag des Herrn durch Anzünden und Verlöschen der geweihten Kerze vorüber war, begab sich Josseph gewöhnlich ans Rechnungsgeschäft der Woche; er schrieb und zählte da eingenommenes und wegzugebendes Geld, zeichnete sich die Bauern auf, die in dieser Woche gemahnt werden mußten, wie überhaupt Alles, was das Geschäft anging. Fischele hatte dabei die Verrichtung, daß er die Geldrollen nach ihren verschiedenen Klassen aufstapelte, so daß der Tisch bei solchen Gelegenheiten fast zu klein ward für den Leuchter, der seine Flammen dazu herlieh. Der Knabe sollte, wie dies Josseph fast allwöchentlich wiederholte, lernen, was Geld sei, und damit er nie in die Lage komme, wenn er einen Gulden zum Wechseln auf fünf Groschen erhielte, nicht zu wissen, wie viel er heraus zu geben habe. Diesmal verbat er sich jedoch die Dienste Fischele's. Er befahl ihm, sich heut Abend nicht zu muxen, denn er habe da eine Rechnung zu machen und Zinsen von Zinsen eines Capitals auszudenken, daß ihm der Kopf groß wie ein Haus würde. Aus dem letzten Fache eines Schreibtisches holte er dann alte und vergilbte Papiere hervor, die er, um sie genauer zu lesen, mit der Brille<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0129]
sogar ein Geschäft angetragen, aber ich bin ihm nicht nachgegangen. Ich will von Keinem wissen, der nur an ihr anrührt. Ich hab' ihn auch stehen lassen. —
Arme Marjim! Sie hatte so viel erwartet.
Sabbatnacht, wenn die Hawdala oder die sinnbildliche Scheidung der Woche von dem Ruhetag des Herrn durch Anzünden und Verlöschen der geweihten Kerze vorüber war, begab sich Josseph gewöhnlich ans Rechnungsgeschäft der Woche; er schrieb und zählte da eingenommenes und wegzugebendes Geld, zeichnete sich die Bauern auf, die in dieser Woche gemahnt werden mußten, wie überhaupt Alles, was das Geschäft anging. Fischele hatte dabei die Verrichtung, daß er die Geldrollen nach ihren verschiedenen Klassen aufstapelte, so daß der Tisch bei solchen Gelegenheiten fast zu klein ward für den Leuchter, der seine Flammen dazu herlieh. Der Knabe sollte, wie dies Josseph fast allwöchentlich wiederholte, lernen, was Geld sei, und damit er nie in die Lage komme, wenn er einen Gulden zum Wechseln auf fünf Groschen erhielte, nicht zu wissen, wie viel er heraus zu geben habe. Diesmal verbat er sich jedoch die Dienste Fischele's. Er befahl ihm, sich heut Abend nicht zu muxen, denn er habe da eine Rechnung zu machen und Zinsen von Zinsen eines Capitals auszudenken, daß ihm der Kopf groß wie ein Haus würde. Aus dem letzten Fache eines Schreibtisches holte er dann alte und vergilbte Papiere hervor, die er, um sie genauer zu lesen, mit der Brille
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Zitationshilfe: | Kompert, Leopold: Eine Verlorene. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 95–309. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kompert_verlorene_1910/129>, abgerufen am 25.06.2024. |