Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Körner, Josef: Einführung in die Poetik. Frankfurt (Main), 1949.

Bild:
<< vorherige Seite

pko_031.001
zusammen ein "Metrum" ergeben, so erachtete pko_031.002
man den Vers gleich einem um ein Metrum subtrahierten pko_031.003
Hexameter, woraus sich der irreführende Name pko_031.004
erklärt. Verwendbar und verwendet worden ist der pko_031.005
Pentameter nur in Verbindung mit dem Hexameter, pko_031.006
dessen beschwingten Gang er nachdenklich unterbricht; pko_031.007
diese, in der antiken Dichtung für Epigramm und Elegie pko_031.008
verwendete zweizeilige Strophe nannten die Alten pko_031.009
elegisches Distichon (griech. "Doppelreihe"). Berühmte pko_031.010
deutsche Werke in diesem Maße sind Goethes "Römische pko_031.011
Elegien", Goethes und Schillers "Xenien", elegische pko_031.012
Dichtungen von Hölderlin, Platen, Mörike und Ferd. pko_031.013
v. Saars "Wiener Elegien".

pko_031.014
Im Hexameter steigt des Springquells flüssige Säule, pko_031.015
x x x x x x x x x x x x x x

pko_031.016
Im Pentameter drauf fällt sie melodisch herab pko_031.017
x x x x x x x x x x x x x

pko_031.018

(Schiller).

pko_031.019
Jede dieser mannigfaltigen Versarten hat ihren eigenen Klang- und pko_031.020
Formcharakter, eine besondere innere Haltung ("Ethos"), auf die der pko_031.021
Dichter Bedacht nehmen muß; keineswegs läßt sich in diese Formen jeder pko_031.022
beliebige Inhalt einfüllen. In den metrischen Typen haben sich unterschiedliche pko_031.023
Grundstimmungen des Gemüts entfaltet: energisches Vorwärtsstreben pko_031.024
hier, ruhevolles Beharren dort; so hebt sich der beflügelte pko_031.025
Jambenschritt ab von der schweren Gehaltenheit der Trochäen, der pko_031.026
feierliche Schwung des Hexameters vom ungestümen Anprall des Anapästs. pko_031.027
Doch bleibt das meßbare (abzählbare) Metrum immer etwas pko_031.028
Mechanisches, Äußerliches, wird übermächtigt vom individuellen dynamischen pko_031.029
Rhythmus, in dem das besondere Wesen des einzelnen Poeten pko_031.030
sich zum Klang gestaltet; daher gleiche Metren verschiedener Dichter pko_031.031
bisweilen sehr ungleich, verschiedene Metren gleicher Urheber erstaunlich pko_031.032
verwandt tönen

1) pko_031.033
pko_031.034
Diese Tatsache, erst in jüngster Zeit von der Verswissenschaft beachtet, drängte pko_031.035
sich schon Herders feinem Ohre auf (Werke ed. Suphan V, S. 356).
.

pko_031.036
2. Versgruppen.

pko_031.037
Wir sind von der Silbe zum Takt, vom Takt zum Verse vorgeschritten; pko_031.038
die nächst höhere metrische Einheit ist die Versgruppe oder Strophe.

pko_031.001
zusammen ein „Metrum“ ergeben, so erachtete pko_031.002
man den Vers gleich einem um ein Metrum subtrahierten pko_031.003
Hexameter, woraus sich der irreführende Name pko_031.004
erklärt. Verwendbar und verwendet worden ist der pko_031.005
Pentameter nur in Verbindung mit dem Hexameter, pko_031.006
dessen beschwingten Gang er nachdenklich unterbricht; pko_031.007
diese, in der antiken Dichtung für Epigramm und Elegie pko_031.008
verwendete zweizeilige Strophe nannten die Alten pko_031.009
elegisches Dístichon (griech. „Doppelreihe“). Berühmte pko_031.010
deutsche Werke in diesem Maße sind Goethes „Römische pko_031.011
Elegien“, Goethes und Schillers „Xenien“, elegische pko_031.012
Dichtungen von Hölderlin, Platen, Mörike und Ferd. pko_031.013
v. Saars „Wiener Elegien“.

pko_031.014
Im Hexameter steigt des Springquells flüssige Säule, pko_031.015
x́ x x́ x x x́ x x́ x x́ x x x́ x

pko_031.016
Im Pentameter drauf fällt sie melodisch herab pko_031.017
x́ x x́ x x x́ x́ x x x́ x x x́

pko_031.018

(Schiller).

pko_031.019
Jede dieser mannigfaltigen Versarten hat ihren eigenen Klang- und pko_031.020
Formcharakter, eine besondere innere Haltung („Ethos“), auf die der pko_031.021
Dichter Bedacht nehmen muß; keineswegs läßt sich in diese Formen jeder pko_031.022
beliebige Inhalt einfüllen. In den metrischen Typen haben sich unterschiedliche pko_031.023
Grundstimmungen des Gemüts entfaltet: energisches Vorwärtsstreben pko_031.024
hier, ruhevolles Beharren dort; so hebt sich der beflügelte pko_031.025
Jambenschritt ab von der schweren Gehaltenheit der Trochäen, der pko_031.026
feierliche Schwung des Hexameters vom ungestümen Anprall des Anapästs. pko_031.027
Doch bleibt das meßbare (abzählbare) Metrum immer etwas pko_031.028
Mechanisches, Äußerliches, wird übermächtigt vom individuellen dynamischen pko_031.029
Rhythmus, in dem das besondere Wesen des einzelnen Poeten pko_031.030
sich zum Klang gestaltet; daher gleiche Metren verschiedener Dichter pko_031.031
bisweilen sehr ungleich, verschiedene Metren gleicher Urheber erstaunlich pko_031.032
verwandt tönen

1) pko_031.033
pko_031.034
Diese Tatsache, erst in jüngster Zeit von der Verswissenschaft beachtet, drängte pko_031.035
sich schon Herders feinem Ohre auf (Werke ed. Suphan V, S. 356).
.

pko_031.036
2. Versgruppen.

pko_031.037
Wir sind von der Silbe zum Takt, vom Takt zum Verse vorgeschritten; pko_031.038
die nächst höhere metrische Einheit ist die Versgruppe oder Strophe.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <p> <hi rendition="#et"><pb facs="#f0035" n="31"/><lb n="pko_031.001"/>
zusammen ein &#x201E;Metrum&#x201C; ergeben, so erachtete <lb n="pko_031.002"/>
man den Vers gleich einem um ein Metrum subtrahierten <lb n="pko_031.003"/>
Hexameter, woraus sich der irreführende Name <lb n="pko_031.004"/>
erklärt. Verwendbar und verwendet worden ist der <lb n="pko_031.005"/>
Pentameter nur in Verbindung mit dem Hexameter, <lb n="pko_031.006"/>
dessen beschwingten Gang er nachdenklich unterbricht; <lb n="pko_031.007"/>
diese, in der antiken Dichtung für Epigramm und Elegie <lb n="pko_031.008"/>
verwendete zweizeilige Strophe nannten die Alten <lb n="pko_031.009"/>
elegisches <hi rendition="#i">Dístichon</hi> (griech. &#x201E;Doppelreihe&#x201C;). Berühmte <lb n="pko_031.010"/>
deutsche Werke in diesem Maße sind Goethes &#x201E;Römische <lb n="pko_031.011"/>
Elegien&#x201C;, Goethes und Schillers &#x201E;Xenien&#x201C;, elegische <lb n="pko_031.012"/>
Dichtungen von Hölderlin, Platen, Mörike und Ferd. <lb n="pko_031.013"/>
v. Saars &#x201E;Wiener Elegien&#x201C;.</hi> </p>
                <p>
                  <lb n="pko_031.014"/> <hi rendition="#et">Im Hexameter steigt des Springquells flüssige Säule, <lb n="pko_031.015"/>
x&#x0301; x x&#x0301; x x x&#x0301; x x&#x0301; x x&#x0301; x x x&#x0301; x</hi> </p>
                <p>
                  <lb n="pko_031.016"/> <hi rendition="#et">Im Pentameter drauf fällt sie melodisch herab <lb n="pko_031.017"/>
x&#x0301; x x&#x0301; x x x&#x0301; x&#x0301; x x x&#x0301; x x x&#x0301;</hi> </p>
                <lb n="pko_031.018"/>
                <p> <hi rendition="#right">(Schiller).</hi> </p>
                <p><lb n="pko_031.019"/>
Jede dieser mannigfaltigen Versarten hat ihren eigenen Klang- und <lb n="pko_031.020"/>
Formcharakter, eine besondere innere Haltung (&#x201E;Ethos&#x201C;), auf die der <lb n="pko_031.021"/>
Dichter Bedacht nehmen muß; keineswegs läßt sich in diese Formen jeder <lb n="pko_031.022"/>
beliebige Inhalt einfüllen. In den metrischen Typen haben sich unterschiedliche <lb n="pko_031.023"/>
Grundstimmungen des Gemüts entfaltet: energisches Vorwärtsstreben <lb n="pko_031.024"/>
hier, ruhevolles Beharren dort; so hebt sich der beflügelte <lb n="pko_031.025"/>
Jambenschritt ab von der schweren Gehaltenheit der Trochäen, der <lb n="pko_031.026"/>
feierliche Schwung des Hexameters vom ungestümen Anprall des Anapästs. <lb n="pko_031.027"/>
Doch bleibt das meßbare (abzählbare) Metrum immer etwas <lb n="pko_031.028"/>
Mechanisches, Äußerliches, wird übermächtigt vom individuellen dynamischen <lb n="pko_031.029"/>
Rhythmus, in dem das besondere Wesen des einzelnen Poeten <lb n="pko_031.030"/>
sich zum Klang gestaltet; daher gleiche Metren verschiedener Dichter <lb n="pko_031.031"/>
bisweilen sehr ungleich, verschiedene Metren gleicher Urheber erstaunlich <lb n="pko_031.032"/>
verwandt tönen <note xml:id="PKO_031_1" place="end" n="1)"><lb n="pko_031.033"/><lb n="pko_031.034"/><hi rendition="#aq">Diese Tatsache, erst in jüngster Zeit von der Verswissenschaft beachtet, drängte <lb n="pko_031.035"/>
sich schon Herders feinem Ohre auf (Werke ed. Suphan V, S. 356).</hi></note>.</p>
              </div>
              <div n="5">
                <head> <hi rendition="#c"><lb n="pko_031.036"/>
2. <hi rendition="#i">Versgruppen.</hi></hi> </head>
                <p><lb n="pko_031.037"/>
Wir sind von der Silbe zum Takt, vom Takt zum Verse vorgeschritten; <lb n="pko_031.038"/>
die nächst höhere metrische Einheit ist die Versgruppe oder <hi rendition="#i">Strophe.</hi> </p>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[31/0035] pko_031.001 zusammen ein „Metrum“ ergeben, so erachtete pko_031.002 man den Vers gleich einem um ein Metrum subtrahierten pko_031.003 Hexameter, woraus sich der irreführende Name pko_031.004 erklärt. Verwendbar und verwendet worden ist der pko_031.005 Pentameter nur in Verbindung mit dem Hexameter, pko_031.006 dessen beschwingten Gang er nachdenklich unterbricht; pko_031.007 diese, in der antiken Dichtung für Epigramm und Elegie pko_031.008 verwendete zweizeilige Strophe nannten die Alten pko_031.009 elegisches Dístichon (griech. „Doppelreihe“). Berühmte pko_031.010 deutsche Werke in diesem Maße sind Goethes „Römische pko_031.011 Elegien“, Goethes und Schillers „Xenien“, elegische pko_031.012 Dichtungen von Hölderlin, Platen, Mörike und Ferd. pko_031.013 v. Saars „Wiener Elegien“. pko_031.014 Im Hexameter steigt des Springquells flüssige Säule, pko_031.015 x́ x x́ x x x́ x x́ x x́ x x x́ x pko_031.016 Im Pentameter drauf fällt sie melodisch herab pko_031.017 x́ x x́ x x x́ x́ x x x́ x x x́ pko_031.018 (Schiller). pko_031.019 Jede dieser mannigfaltigen Versarten hat ihren eigenen Klang- und pko_031.020 Formcharakter, eine besondere innere Haltung („Ethos“), auf die der pko_031.021 Dichter Bedacht nehmen muß; keineswegs läßt sich in diese Formen jeder pko_031.022 beliebige Inhalt einfüllen. In den metrischen Typen haben sich unterschiedliche pko_031.023 Grundstimmungen des Gemüts entfaltet: energisches Vorwärtsstreben pko_031.024 hier, ruhevolles Beharren dort; so hebt sich der beflügelte pko_031.025 Jambenschritt ab von der schweren Gehaltenheit der Trochäen, der pko_031.026 feierliche Schwung des Hexameters vom ungestümen Anprall des Anapästs. pko_031.027 Doch bleibt das meßbare (abzählbare) Metrum immer etwas pko_031.028 Mechanisches, Äußerliches, wird übermächtigt vom individuellen dynamischen pko_031.029 Rhythmus, in dem das besondere Wesen des einzelnen Poeten pko_031.030 sich zum Klang gestaltet; daher gleiche Metren verschiedener Dichter pko_031.031 bisweilen sehr ungleich, verschiedene Metren gleicher Urheber erstaunlich pko_031.032 verwandt tönen ¹⁾ pko_031.033 pko_031.034 Diese Tatsache, erst in jüngster Zeit von der Verswissenschaft beachtet, drängte pko_031.035 sich schon Herders feinem Ohre auf (Werke ed. Suphan V, S. 356). . pko_031.036 2. Versgruppen. pko_031.037 Wir sind von der Silbe zum Takt, vom Takt zum Verse vorgeschritten; pko_031.038 die nächst höhere metrische Einheit ist die Versgruppe oder Strophe.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription. (2015-09-30T09:54:39Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination
Sandra Richter: ePoetics-Projekt-Koordination

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: nicht übernommen; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): wie Vorlage; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: nicht übernommen; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/koerner_poetik_1949
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/koerner_poetik_1949/35
Zitationshilfe: Körner, Josef: Einführung in die Poetik. Frankfurt (Main), 1949, S. 31. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/koerner_poetik_1949/35>, abgerufen am 21.11.2024.