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Kölliker, Albert von: Entwicklungsgeschichte des Menschen und der höheren Thiere. Leipzig, 1861.

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Bildungsgesetz des Wirbelthieres.
auch diese Lage vielleicht blos zum Epithel des Kanales sich gestal-
ten, der auch beim Frosche zeitlebens im Rückenmark sich erhält,
so würde die Nervenmasse doch aus Einer Anlage mit dem Horn-
blatte entstehen, denn es ist ja auch die äussere helle Lage des Me-
dullarrohres eine unmittelbare Fortsetzung der tiefern Lage des
Hornblattes.

Wir kommen somit zur unzweifelhaften Erkenntniss, dass das
centrale Nervensystem und die Epidermis eine und dieselbe Uran-
lage haben und will ich Ihnen nur noch bemerken, dass nach dem
jetzigen Stande der feineren Anatomie diese Sachlage nicht mehr
das Befremdende hat, das sie noch zu der Zeit besass, als Remak sie
auffand, indem wir jetzt wissen, dass an gewissen Orten, wie in
der Geruchsschleimhaut und im Labyrinthe und vielleicht noch an-
derwärts, auch Bestandtheile von Epithelien wirklich nervöse Natur
besitzen und mit tieferen Nerven zusammenhängen.

Die morphologischen Vorgänge bei der Umbildung der dreiMorphologische
Vorgänge bei der
Umbildung der
drei Keimblätter.

Keimblätter in die aufgezälten Organe sind im Einzelnen sehr
verschieden; doch findet sich Ein Gedanke überall wieder, der der
Umbildung von Blättern oder hautförmigen Anlagen in Röhren.
Wenn Sie für einmal von den spätern Umgestaltungen des mittleren
Keimblattes absehen, so ist das Grundphänomen bei der Bildung des
Wirbelthiers das, dass aus der blattförmigen Anlage durch paarige
Wucherungen von einer Axe aus nach oben und nach unten (Evolu-
tio bigemina
v. Baer), genauer bezeichnet: durch Umbiegen der Sei-
tenränder nach unten und Bildung von Längswulsten neben der
obern Mittellinie, die dann zu einem Kanale schliessen, ein Leib
mit einer obern Nervenhöhle und einer untern Visceralhöhle ent-
steht. Das äussere Keimblatt erzeugt hierbei nothwendig eine
Doppelröhre, nämlich einmal die Umhüllung des Ganzen oder
das Hornblatt (Epidermis) und zweitens mit seinem mittlern Theile
das Nervenrohr, während das untere Blatt nur eine einfache Röhre
bildet, das Darmepithelialrohr. Das mittlere Keimblatt liefert die
Axe, die Chorda, und dann die Begrenzungen des Nerven- und
Eingeweiderohres oder die Urwirbel und die Seitenplatten, welche
die betreffenden Röhren freilich anfänglich nicht vollkommen um-
umgeben. Ist so die erste Anlage gegeben, so wird dieselbe einzig
und allein durch Leistungen des mittleren Keimblattes vervollstän-
digt. Statt der primitiven Axe entsteht eine bleibende dadurch,
dass die Urwirbel die Chorda umwachsen, und so die Wirbelkör-

Bildungsgesetz des Wirbelthieres.
auch diese Lage vielleicht blos zum Epithel des Kanales sich gestal-
ten, der auch beim Frosche zeitlebens im Rückenmark sich erhält,
so würde die Nervenmasse doch aus Einer Anlage mit dem Horn-
blatte entstehen, denn es ist ja auch die äussere helle Lage des Me-
dullarrohres eine unmittelbare Fortsetzung der tiefern Lage des
Hornblattes.

Wir kommen somit zur unzweifelhaften Erkenntniss, dass das
centrale Nervensystem und die Epidermis eine und dieselbe Uran-
lage haben und will ich Ihnen nur noch bemerken, dass nach dem
jetzigen Stande der feineren Anatomie diese Sachlage nicht mehr
das Befremdende hat, das sie noch zu der Zeit besass, als Remak sie
auffand, indem wir jetzt wissen, dass an gewissen Orten, wie in
der Geruchsschleimhaut und im Labyrinthe und vielleicht noch an-
derwärts, auch Bestandtheile von Epithelien wirklich nervöse Natur
besitzen und mit tieferen Nerven zusammenhängen.

Die morphologischen Vorgänge bei der Umbildung der dreiMorphologische
Vorgänge bei der
Umbildung der
drei Keimblätter.

Keimblätter in die aufgezälten Organe sind im Einzelnen sehr
verschieden; doch findet sich Ein Gedanke überall wieder, der der
Umbildung von Blättern oder hautförmigen Anlagen in Röhren.
Wenn Sie für einmal von den spätern Umgestaltungen des mittleren
Keimblattes absehen, so ist das Grundphänomen bei der Bildung des
Wirbelthiers das, dass aus der blattförmigen Anlage durch paarige
Wucherungen von einer Axe aus nach oben und nach unten (Evolu-
tio bigemina
v. Baer), genauer bezeichnet: durch Umbiegen der Sei-
tenränder nach unten und Bildung von Längswulsten neben der
obern Mittellinie, die dann zu einem Kanale schliessen, ein Leib
mit einer obern Nervenhöhle und einer untern Visceralhöhle ent-
steht. Das äussere Keimblatt erzeugt hierbei nothwendig eine
Doppelröhre, nämlich einmal die Umhüllung des Ganzen oder
das Hornblatt (Epidermis) und zweitens mit seinem mittlern Theile
das Nervenrohr, während das untere Blatt nur eine einfache Röhre
bildet, das Darmepithelialrohr. Das mittlere Keimblatt liefert die
Axe, die Chorda, und dann die Begrenzungen des Nerven- und
Eingeweiderohres oder die Urwirbel und die Seitenplatten, welche
die betreffenden Röhren freilich anfänglich nicht vollkommen um-
umgeben. Ist so die erste Anlage gegeben, so wird dieselbe einzig
und allein durch Leistungen des mittleren Keimblattes vervollstän-
digt. Statt der primitiven Axe entsteht eine bleibende dadurch,
dass die Urwirbel die Chorda umwachsen, und so die Wirbelkör-

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[73/0089] Bildungsgesetz des Wirbelthieres. auch diese Lage vielleicht blos zum Epithel des Kanales sich gestal- ten, der auch beim Frosche zeitlebens im Rückenmark sich erhält, so würde die Nervenmasse doch aus Einer Anlage mit dem Horn- blatte entstehen, denn es ist ja auch die äussere helle Lage des Me- dullarrohres eine unmittelbare Fortsetzung der tiefern Lage des Hornblattes. Wir kommen somit zur unzweifelhaften Erkenntniss, dass das centrale Nervensystem und die Epidermis eine und dieselbe Uran- lage haben und will ich Ihnen nur noch bemerken, dass nach dem jetzigen Stande der feineren Anatomie diese Sachlage nicht mehr das Befremdende hat, das sie noch zu der Zeit besass, als Remak sie auffand, indem wir jetzt wissen, dass an gewissen Orten, wie in der Geruchsschleimhaut und im Labyrinthe und vielleicht noch an- derwärts, auch Bestandtheile von Epithelien wirklich nervöse Natur besitzen und mit tieferen Nerven zusammenhängen. Die morphologischen Vorgänge bei der Umbildung der drei Keimblätter in die aufgezälten Organe sind im Einzelnen sehr verschieden; doch findet sich Ein Gedanke überall wieder, der der Umbildung von Blättern oder hautförmigen Anlagen in Röhren. Wenn Sie für einmal von den spätern Umgestaltungen des mittleren Keimblattes absehen, so ist das Grundphänomen bei der Bildung des Wirbelthiers das, dass aus der blattförmigen Anlage durch paarige Wucherungen von einer Axe aus nach oben und nach unten (Evolu- tio bigemina v. Baer), genauer bezeichnet: durch Umbiegen der Sei- tenränder nach unten und Bildung von Längswulsten neben der obern Mittellinie, die dann zu einem Kanale schliessen, ein Leib mit einer obern Nervenhöhle und einer untern Visceralhöhle ent- steht. Das äussere Keimblatt erzeugt hierbei nothwendig eine Doppelröhre, nämlich einmal die Umhüllung des Ganzen oder das Hornblatt (Epidermis) und zweitens mit seinem mittlern Theile das Nervenrohr, während das untere Blatt nur eine einfache Röhre bildet, das Darmepithelialrohr. Das mittlere Keimblatt liefert die Axe, die Chorda, und dann die Begrenzungen des Nerven- und Eingeweiderohres oder die Urwirbel und die Seitenplatten, welche die betreffenden Röhren freilich anfänglich nicht vollkommen um- umgeben. Ist so die erste Anlage gegeben, so wird dieselbe einzig und allein durch Leistungen des mittleren Keimblattes vervollstän- digt. Statt der primitiven Axe entsteht eine bleibende dadurch, dass die Urwirbel die Chorda umwachsen, und so die Wirbelkör- Morphologische Vorgänge bei der Umbildung der drei Keimblätter.

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Zitationshilfe: Kölliker, Albert von: Entwicklungsgeschichte des Menschen und der höheren Thiere. Leipzig, 1861, S. 73. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/koelliker_entwicklungs_1861/89>, abgerufen am 30.04.2024.