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Kölliker, Albert von: Entwicklungsgeschichte des Menschen und der höheren Thiere. Leipzig, 1861.

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Entwicklung des Gefässsystems.
zuleiten. Zur Verwirklichung dieser Bedingungen finden wir nun
beim Fötus 1) eine Oeffnung in der Scheidewand der Vorkammern,
das Foramen ovale, und eine solche Klappeneinrichtung an der
Cava inferior, dass dieselbe ihr Blut fast alles in den linken Vorhof
überführt, und 2) eine Verbindung der Arteria pulmonalis mit der
Aorta descendens durch den sogenannten Ductus Botalli, welcher den
Abfluss des Blutes der rechten Kammer mit Ausnahme des wenigen,
was zu den Lungen geht, in die Körperarterien und zwar der hin-
[Abbildung] Fig. 211.
teren Rumpftheile gestattet (Fig. 211). Aus
diesem Verhalten der Arterie des rechten
Herzens ergibt sich nun auch, dass die
Leistungen desselben für die Gesammt-
circulation eben so gross sind, wie die der
linken Kammer, und erklärt sich so die
gleiche Muskelstärke beider Kammern beim
Fötus.

Fernere Eigenthümlichkeiten der föta-
len Circulation liegen nun in dem Um-
stande, dass der Embryo im Mutterkuchen
ein ausserhalb seines Leibes befindliches
Organ besitzt, das, man mag nun die Function der Placenta ansehen
wie man will, auf jeden Fall die Rolle eines Ernährungsorganes im
weiteren Sinne spielt. Soll der Fötus wachsen und gedeihen, so ist
eine ununterbrochene freie Verbindung mit der Placenta, eine be-
ständige Wechselwirkung des fötalen und mütterlichen Blutes in
derselben nöthig. Diese Beziehungen nun werden unterhalten durch
die zwei mächtigen Arteriae umbilicales, die das Fötalblut in die
Placenta hineinsenden und durch die Vena umbilicalis, die von der-
selben wieder in den Embryo geht. Interessant, jedoch leider noch
nicht nach allen Seiten physiologisch aufgeklärt, ist nun das Verhal-
ten dieser Vene zur Leber, indem dieselbe ihr meistes Blut in die
Leber abgibt und so gewissermaassen eine fötale Pfortader dar-
stellt, während nur ein geringerer Theil desselben durch den Ductus
venosus
direct ins Herz abfliesst. Man vermuthet mit Recht, dass
diese Einrichtung das Zustandekommen besonderer chemischer Vor-

[Abbildung]

Fig. 211. Herz eines reifen Embryo etwa um die Hälfte verkleinert, von
vorn und etwas von links her. cs Cava superior, a Anonyma, c Carotis sinistra,
s Subclavia sinistra, ao
Ende des Arcus aortae, da Ductus arteriosus Botalli,
ad Aorta thoracica, ap
linke Pulmonalis, p linke Venae pulmonales.

Entwicklung des Gefässsystems.
zuleiten. Zur Verwirklichung dieser Bedingungen finden wir nun
beim Fötus 1) eine Oeffnung in der Scheidewand der Vorkammern,
das Foramen ovale, und eine solche Klappeneinrichtung an der
Cava inferior, dass dieselbe ihr Blut fast alles in den linken Vorhof
überführt, und 2) eine Verbindung der Arteria pulmonalis mit der
Aorta descendens durch den sogenannten Ductus Botalli, welcher den
Abfluss des Blutes der rechten Kammer mit Ausnahme des wenigen,
was zu den Lungen geht, in die Körperarterien und zwar der hin-
[Abbildung] Fig. 211.
teren Rumpftheile gestattet (Fig. 211). Aus
diesem Verhalten der Arterie des rechten
Herzens ergibt sich nun auch, dass die
Leistungen desselben für die Gesammt-
circulation eben so gross sind, wie die der
linken Kammer, und erklärt sich so die
gleiche Muskelstärke beider Kammern beim
Fötus.

Fernere Eigenthümlichkeiten der föta-
len Circulation liegen nun in dem Um-
stande, dass der Embryo im Mutterkuchen
ein ausserhalb seines Leibes befindliches
Organ besitzt, das, man mag nun die Function der Placenta ansehen
wie man will, auf jeden Fall die Rolle eines Ernährungsorganes im
weiteren Sinne spielt. Soll der Fötus wachsen und gedeihen, so ist
eine ununterbrochene freie Verbindung mit der Placenta, eine be-
ständige Wechselwirkung des fötalen und mütterlichen Blutes in
derselben nöthig. Diese Beziehungen nun werden unterhalten durch
die zwei mächtigen Arteriae umbilicales, die das Fötalblut in die
Placenta hineinsenden und durch die Vena umbilicalis, die von der-
selben wieder in den Embryo geht. Interessant, jedoch leider noch
nicht nach allen Seiten physiologisch aufgeklärt, ist nun das Verhal-
ten dieser Vene zur Leber, indem dieselbe ihr meistes Blut in die
Leber abgibt und so gewissermaassen eine fötale Pfortader dar-
stellt, während nur ein geringerer Theil desselben durch den Ductus
venosus
direct ins Herz abfliesst. Man vermuthet mit Recht, dass
diese Einrichtung das Zustandekommen besonderer chemischer Vor-

[Abbildung]

Fig. 211. Herz eines reifen Embryo etwa um die Hälfte verkleinert, von
vorn und etwas von links her. cs Cava superior, a Anonyma, c Carotis sinistra,
s Subclavia sinistra, ao
Ende des Arcus aortae, da Ductus arteriosus Botalli,
ad Aorta thoracica, ap
linke Pulmonalis, p linke Venae pulmonales.

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[427/0443] Entwicklung des Gefässsystems. zuleiten. Zur Verwirklichung dieser Bedingungen finden wir nun beim Fötus 1) eine Oeffnung in der Scheidewand der Vorkammern, das Foramen ovale, und eine solche Klappeneinrichtung an der Cava inferior, dass dieselbe ihr Blut fast alles in den linken Vorhof überführt, und 2) eine Verbindung der Arteria pulmonalis mit der Aorta descendens durch den sogenannten Ductus Botalli, welcher den Abfluss des Blutes der rechten Kammer mit Ausnahme des wenigen, was zu den Lungen geht, in die Körperarterien und zwar der hin- [Abbildung Fig. 211.] teren Rumpftheile gestattet (Fig. 211). Aus diesem Verhalten der Arterie des rechten Herzens ergibt sich nun auch, dass die Leistungen desselben für die Gesammt- circulation eben so gross sind, wie die der linken Kammer, und erklärt sich so die gleiche Muskelstärke beider Kammern beim Fötus. Fernere Eigenthümlichkeiten der föta- len Circulation liegen nun in dem Um- stande, dass der Embryo im Mutterkuchen ein ausserhalb seines Leibes befindliches Organ besitzt, das, man mag nun die Function der Placenta ansehen wie man will, auf jeden Fall die Rolle eines Ernährungsorganes im weiteren Sinne spielt. Soll der Fötus wachsen und gedeihen, so ist eine ununterbrochene freie Verbindung mit der Placenta, eine be- ständige Wechselwirkung des fötalen und mütterlichen Blutes in derselben nöthig. Diese Beziehungen nun werden unterhalten durch die zwei mächtigen Arteriae umbilicales, die das Fötalblut in die Placenta hineinsenden und durch die Vena umbilicalis, die von der- selben wieder in den Embryo geht. Interessant, jedoch leider noch nicht nach allen Seiten physiologisch aufgeklärt, ist nun das Verhal- ten dieser Vene zur Leber, indem dieselbe ihr meistes Blut in die Leber abgibt und so gewissermaassen eine fötale Pfortader dar- stellt, während nur ein geringerer Theil desselben durch den Ductus venosus direct ins Herz abfliesst. Man vermuthet mit Recht, dass diese Einrichtung das Zustandekommen besonderer chemischer Vor- [Abbildung Fig. 211. Herz eines reifen Embryo etwa um die Hälfte verkleinert, von vorn und etwas von links her. cs Cava superior, a Anonyma, c Carotis sinistra, s Subclavia sinistra, ao Ende des Arcus aortae, da Ductus arteriosus Botalli, ad Aorta thoracica, ap linke Pulmonalis, p linke Venae pulmonales.]

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Zitationshilfe: Kölliker, Albert von: Entwicklungsgeschichte des Menschen und der höheren Thiere. Leipzig, 1861, S. 427. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/koelliker_entwicklungs_1861/443>, abgerufen am 18.05.2024.