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Kölliker, Albert von: Entwicklungsgeschichte des Menschen und der höheren Thiere. Leipzig, 1861.

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Vierte Vorlesung.
hervorgehen. Die Anlagen für den Embryo selbst bilden sich dann
der Reihe nach unter dieser, indem sie von dem sogenannten Keim-
hügel oder dem weissen Dotterkern (dem Kern des Hahnentritts von
Pander) sich ablösen und zwar 1) die Anlage des centralen Nerven-
systems, 2) das Stratum oder die Membrana intermedia für alle üb-
rigen gefässhaltigen Organe, welche zum grössten Theile früher für das
Gefässblatt erklärt wurde, und endlich 3) die Anlage des Cylinder-
epithels des Darmkanals. -- Diese Darstellung ist, obschon in mehr-
facher Beziehung verfehlt, wie Remak zuerst überzeugend dargethan
hat -- indem namentlich die Umhüllungshaut in ihrem den Embryo
bekleidenden Theile kein vergängliches Gebilde, sondern die Anlage des
centralen Nervensystems und der Epidermis ist und beim Hühnchen
der Keim des gelegten Eies einzig und allein die Anlage des Embryo
darstellt und keine Schichten vom Dotter zu demselben hinzukom-
men -- doch im Ganzen als ein sehr wesentlicher Fortschritt zu be-
trachten. Reichert hat zuerst die primitiven blattförmigen Anlagen
des Embryo vom histologischen Gesichtspuncte aus genau untersucht
und an der Hand dieser Methode die Schichten viel bestimmter fest-
gestellt als es v. Baer bei dem damaligen Standpuncte der feineren
Anatomie möglich war. Die Lagen, die er beim Frosch und besonders
beim Hühnchen findet, sind, wenn man von den Deutungen und An-
gaben über ihre Entstehung absieht, im Wesentlichen dieselben, die
auch der neueste Autor in diesem Gebiete annimmt, und wird man
immerhin sagen dürfen, dass Reichert, wenn auch nicht in der
Deutung und Herleitung, doch wenigstens mit Bezug auf die Lagerung
und Zahl der Blätter des Keimes, der Wahrheit sehr nahe gekommen
ist. Auf Reichert's Untersuchungen fussend, gelang es dann end-
Remak.lich Remak beim Hühnchen und z. Th. beim Frosch eine Darstellung
dieser Verhältnisse zu geben, welche, wie ich aus eigener Anschau-
ung sagen kann, als eine fast nach allen Seiten vollendete bezeich-
net werden darf, wie denn überhaupt die Arbeit dieses Autors (Un-
tersuchungen über die Entwickl. d. Wirbelthiere. 1. Heft. 1850.
2. Heft. 1854. 3. Heft. 1855.) als die gediegenste und vollkommenste
der neuesten Periode der Embryologie nach Schwann erscheint. Da
wir im Verlaufe dieser Vorträge die Anschauungen Remak's weitläufig
auseinanderzusetzen Gelegenheit haben werden, so bemerke ich hier
der Uebersicht wegen nur so viel, dass er zuerst zwei und dann drei
Keimblätter annimmt, 1) das äussere Keimblatt für die Epidermis und
das centrale Nervensystem, 2) das mittlere Keimblatt für alle übrigen

Vierte Vorlesung.
hervorgehen. Die Anlagen für den Embryo selbst bilden sich dann
der Reihe nach unter dieser, indem sie von dem sogenannten Keim-
hügel oder dem weissen Dotterkern (dem Kern des Hahnentritts von
Pander) sich ablösen und zwar 1) die Anlage des centralen Nerven-
systems, 2) das Stratum oder die Membrana intermedia für alle üb-
rigen gefässhaltigen Organe, welche zum grössten Theile früher für das
Gefässblatt erklärt wurde, und endlich 3) die Anlage des Cylinder-
epithels des Darmkanals. — Diese Darstellung ist, obschon in mehr-
facher Beziehung verfehlt, wie Remak zuerst überzeugend dargethan
hat — indem namentlich die Umhüllungshaut in ihrem den Embryo
bekleidenden Theile kein vergängliches Gebilde, sondern die Anlage des
centralen Nervensystems und der Epidermis ist und beim Hühnchen
der Keim des gelegten Eies einzig und allein die Anlage des Embryo
darstellt und keine Schichten vom Dotter zu demselben hinzukom-
men — doch im Ganzen als ein sehr wesentlicher Fortschritt zu be-
trachten. Reichert hat zuerst die primitiven blattförmigen Anlagen
des Embryo vom histologischen Gesichtspuncte aus genau untersucht
und an der Hand dieser Methode die Schichten viel bestimmter fest-
gestellt als es v. Baer bei dem damaligen Standpuncte der feineren
Anatomie möglich war. Die Lagen, die er beim Frosch und besonders
beim Hühnchen findet, sind, wenn man von den Deutungen und An-
gaben über ihre Entstehung absieht, im Wesentlichen dieselben, die
auch der neueste Autor in diesem Gebiete annimmt, und wird man
immerhin sagen dürfen, dass Reichert, wenn auch nicht in der
Deutung und Herleitung, doch wenigstens mit Bezug auf die Lagerung
und Zahl der Blätter des Keimes, der Wahrheit sehr nahe gekommen
ist. Auf Reichert’s Untersuchungen fussend, gelang es dann end-
Remak.lich Remak beim Hühnchen und z. Th. beim Frosch eine Darstellung
dieser Verhältnisse zu geben, welche, wie ich aus eigener Anschau-
ung sagen kann, als eine fast nach allen Seiten vollendete bezeich-
net werden darf, wie denn überhaupt die Arbeit dieses Autors (Un-
tersuchungen über die Entwickl. d. Wirbelthiere. 1. Heft. 1850.
2. Heft. 1854. 3. Heft. 1855.) als die gediegenste und vollkommenste
der neuesten Periode der Embryologie nach Schwann erscheint. Da
wir im Verlaufe dieser Vorträge die Anschauungen Remak’s weitläufig
auseinanderzusetzen Gelegenheit haben werden, so bemerke ich hier
der Uebersicht wegen nur so viel, dass er zuerst zwei und dann drei
Keimblätter annimmt, 1) das äussere Keimblatt für die Epidermis und
das centrale Nervensystem, 2) das mittlere Keimblatt für alle übrigen

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[18/0034] Vierte Vorlesung. hervorgehen. Die Anlagen für den Embryo selbst bilden sich dann der Reihe nach unter dieser, indem sie von dem sogenannten Keim- hügel oder dem weissen Dotterkern (dem Kern des Hahnentritts von Pander) sich ablösen und zwar 1) die Anlage des centralen Nerven- systems, 2) das Stratum oder die Membrana intermedia für alle üb- rigen gefässhaltigen Organe, welche zum grössten Theile früher für das Gefässblatt erklärt wurde, und endlich 3) die Anlage des Cylinder- epithels des Darmkanals. — Diese Darstellung ist, obschon in mehr- facher Beziehung verfehlt, wie Remak zuerst überzeugend dargethan hat — indem namentlich die Umhüllungshaut in ihrem den Embryo bekleidenden Theile kein vergängliches Gebilde, sondern die Anlage des centralen Nervensystems und der Epidermis ist und beim Hühnchen der Keim des gelegten Eies einzig und allein die Anlage des Embryo darstellt und keine Schichten vom Dotter zu demselben hinzukom- men — doch im Ganzen als ein sehr wesentlicher Fortschritt zu be- trachten. Reichert hat zuerst die primitiven blattförmigen Anlagen des Embryo vom histologischen Gesichtspuncte aus genau untersucht und an der Hand dieser Methode die Schichten viel bestimmter fest- gestellt als es v. Baer bei dem damaligen Standpuncte der feineren Anatomie möglich war. Die Lagen, die er beim Frosch und besonders beim Hühnchen findet, sind, wenn man von den Deutungen und An- gaben über ihre Entstehung absieht, im Wesentlichen dieselben, die auch der neueste Autor in diesem Gebiete annimmt, und wird man immerhin sagen dürfen, dass Reichert, wenn auch nicht in der Deutung und Herleitung, doch wenigstens mit Bezug auf die Lagerung und Zahl der Blätter des Keimes, der Wahrheit sehr nahe gekommen ist. Auf Reichert’s Untersuchungen fussend, gelang es dann end- lich Remak beim Hühnchen und z. Th. beim Frosch eine Darstellung dieser Verhältnisse zu geben, welche, wie ich aus eigener Anschau- ung sagen kann, als eine fast nach allen Seiten vollendete bezeich- net werden darf, wie denn überhaupt die Arbeit dieses Autors (Un- tersuchungen über die Entwickl. d. Wirbelthiere. 1. Heft. 1850. 2. Heft. 1854. 3. Heft. 1855.) als die gediegenste und vollkommenste der neuesten Periode der Embryologie nach Schwann erscheint. Da wir im Verlaufe dieser Vorträge die Anschauungen Remak’s weitläufig auseinanderzusetzen Gelegenheit haben werden, so bemerke ich hier der Uebersicht wegen nur so viel, dass er zuerst zwei und dann drei Keimblätter annimmt, 1) das äussere Keimblatt für die Epidermis und das centrale Nervensystem, 2) das mittlere Keimblatt für alle übrigen Remak.

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Zitationshilfe: Kölliker, Albert von: Entwicklungsgeschichte des Menschen und der höheren Thiere. Leipzig, 1861, S. 18. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/koelliker_entwicklungs_1861/34>, abgerufen am 28.03.2024.