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Kölliker, Albert von: Entwicklungsgeschichte des Menschen und der höheren Thiere. Leipzig, 1861.

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Entwicklung des Nervensystems.
Pia mater verschlossen war. Ich glaubte anfangs, dass die Pia mater
durch dieses Loch in den vierten Ventrikel eindringt, um den Plexus
[Abbildung] Fig. 118.
chorioideus zu bilden, überzeugte mich dann
aber, dass dem nicht so ist. Es zeigte sich
nämlich bei einer sorgfältigen Zergliederung,
dass das obere Blatt der Membrana obturato-
ria mo
keine einfache Lamelle ist, sondern
aus zwei Abtheilungen besteht, die durch
den Plexus chorioideus geschieden sind. Es
dringt nämlich in der Querfurche, wo der
Buchstabe mo steht, die Pia mater horizontal ins Innere und schwillt
dann zu den hier noch einfach querstehenden Plexus an, die wie die
Aushöhlung der Membrana obturatoria einnehmen und ihr bauchiges
Vortreten bewirken. Beide Theile des oberen Blattes der Membrana
obturatoria
haften übrigens innig an der oberen und unteren Fläche
des Plexus an und hängt wohl sicherlich das Epithel beider Theile
unmittelbar zusammen.

Ueber die Bedeutung und Entwicklung der eben beschriebenenBedeutung und
Entwicklung
der Membrana
obturatoria
.

Membrana obturatoria sind bis jetzt nur Vermuthungen möglich, da-
gegen liegen ihre späteren Schicksale zum Theil klar vor. Ersteres
anlangend, so würde die ganze Bildung leicht verständlich, wenn
man annehmen dürfte, dass die Höhle der dritten embryonalen Hirn-
blase von Anfang an auch oben ganz oder wenigstens grösstentheils
geschlossen ist. In diesem Falle wäre dann die fragliche Membran
nur eine Umbildung der Decke der Höhle, in welche an zwei be-
stimmten Stellen die Pia mater zur Bildung der Plexus sich einstülpt
und die zwei oben beschriebenen Lappen, aus denen das Cerebellum
sich bildet, einfach Verdickungen der Decke. Es sprechen nun in der
That einige Erfahrungen in diesem Sinne. Schönlein (Von der Hirn-
metamorphose, Würzburg 1816) hat schon vor Jahren angegeben,

[Abbildung]

Fig. 118. Ansicht des hinteren Theiles des Gehirns eines vier Monate alten,
4" 41/2''' langen menschlichen Embryo in natürlicher Grösse. h Hemisphäre des
grossen Hirns, q noch einfacher Vierhügel, vor dem das abgeschnittene Tento-
rium cerebelli
sichtbar ist, e kleines Hirn, l Fasciculus lateralis, c Fasc. cunea-
tus, g Fasc. gracilis, mo Membrana obturatoria ventriculi IV
, wie einen beson-
deren zweibäuchigen Lappen des kleinen Hirns darstellend. Die quere Linie
zwischen den beiden scheinbaren Lappen ist eine enge Spalte, durch welche
die Pia mater eindringt und in den Plexus chorioideus übergeht, mo' mittlerer
brückenartiger Theil der Deckmembran, t hinteres Ende derselben, das später
zur Ligula sinus rhomboidei wird.

Entwicklung des Nervensystems.
Pia mater verschlossen war. Ich glaubte anfangs, dass die Pia mater
durch dieses Loch in den vierten Ventrikel eindringt, um den Plexus
[Abbildung] Fig. 118.
chorioideus zu bilden, überzeugte mich dann
aber, dass dem nicht so ist. Es zeigte sich
nämlich bei einer sorgfältigen Zergliederung,
dass das obere Blatt der Membrana obturato-
ria mo
keine einfache Lamelle ist, sondern
aus zwei Abtheilungen besteht, die durch
den Plexus chorioideus geschieden sind. Es
dringt nämlich in der Querfurche, wo der
Buchstabe mo steht, die Pia mater horizontal ins Innere und schwillt
dann zu den hier noch einfach querstehenden Plexus an, die wie die
Aushöhlung der Membrana obturatoria einnehmen und ihr bauchiges
Vortreten bewirken. Beide Theile des oberen Blattes der Membrana
obturatoria
haften übrigens innig an der oberen und unteren Fläche
des Plexus an und hängt wohl sicherlich das Epithel beider Theile
unmittelbar zusammen.

Ueber die Bedeutung und Entwicklung der eben beschriebenenBedeutung und
Entwicklung
der Membrana
obturatoria
.

Membrana obturatoria sind bis jetzt nur Vermuthungen möglich, da-
gegen liegen ihre späteren Schicksale zum Theil klar vor. Ersteres
anlangend, so würde die ganze Bildung leicht verständlich, wenn
man annehmen dürfte, dass die Höhle der dritten embryonalen Hirn-
blase von Anfang an auch oben ganz oder wenigstens grösstentheils
geschlossen ist. In diesem Falle wäre dann die fragliche Membran
nur eine Umbildung der Decke der Höhle, in welche an zwei be-
stimmten Stellen die Pia mater zur Bildung der Plexus sich einstülpt
und die zwei oben beschriebenen Lappen, aus denen das Cerebellum
sich bildet, einfach Verdickungen der Decke. Es sprechen nun in der
That einige Erfahrungen in diesem Sinne. Schönlein (Von der Hirn-
metamorphose, Würzburg 1816) hat schon vor Jahren angegeben,

[Abbildung]

Fig. 118. Ansicht des hinteren Theiles des Gehirns eines vier Monate alten,
4″ 4½‴ langen menschlichen Embryo in natürlicher Grösse. h Hemisphäre des
grossen Hirns, q noch einfacher Vierhügel, vor dem das abgeschnittene Tento-
rium cerebelli
sichtbar ist, e kleines Hirn, l Fasciculus lateralis, c Fasc. cunea-
tus, g Fasc. gracilis, mo Membrana obturatoria ventriculi IV
, wie einen beson-
deren zweibäuchigen Lappen des kleinen Hirns darstellend. Die quere Linie
zwischen den beiden scheinbaren Lappen ist eine enge Spalte, durch welche
die Pia mater eindringt und in den Plexus chorioideus übergeht, mo′ mittlerer
brückenartiger Theil der Deckmembran, t hinteres Ende derselben, das später
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[245/0261] Entwicklung des Nervensystems. Pia mater verschlossen war. Ich glaubte anfangs, dass die Pia mater durch dieses Loch in den vierten Ventrikel eindringt, um den Plexus [Abbildung Fig. 118.] chorioideus zu bilden, überzeugte mich dann aber, dass dem nicht so ist. Es zeigte sich nämlich bei einer sorgfältigen Zergliederung, dass das obere Blatt der Membrana obturato- ria mo keine einfache Lamelle ist, sondern aus zwei Abtheilungen besteht, die durch den Plexus chorioideus geschieden sind. Es dringt nämlich in der Querfurche, wo der Buchstabe mo steht, die Pia mater horizontal ins Innere und schwillt dann zu den hier noch einfach querstehenden Plexus an, die wie die Aushöhlung der Membrana obturatoria einnehmen und ihr bauchiges Vortreten bewirken. Beide Theile des oberen Blattes der Membrana obturatoria haften übrigens innig an der oberen und unteren Fläche des Plexus an und hängt wohl sicherlich das Epithel beider Theile unmittelbar zusammen. Ueber die Bedeutung und Entwicklung der eben beschriebenen Membrana obturatoria sind bis jetzt nur Vermuthungen möglich, da- gegen liegen ihre späteren Schicksale zum Theil klar vor. Ersteres anlangend, so würde die ganze Bildung leicht verständlich, wenn man annehmen dürfte, dass die Höhle der dritten embryonalen Hirn- blase von Anfang an auch oben ganz oder wenigstens grösstentheils geschlossen ist. In diesem Falle wäre dann die fragliche Membran nur eine Umbildung der Decke der Höhle, in welche an zwei be- stimmten Stellen die Pia mater zur Bildung der Plexus sich einstülpt und die zwei oben beschriebenen Lappen, aus denen das Cerebellum sich bildet, einfach Verdickungen der Decke. Es sprechen nun in der That einige Erfahrungen in diesem Sinne. Schönlein (Von der Hirn- metamorphose, Würzburg 1816) hat schon vor Jahren angegeben, [Abbildung Fig. 118. Ansicht des hinteren Theiles des Gehirns eines vier Monate alten, 4″ 4½‴ langen menschlichen Embryo in natürlicher Grösse. h Hemisphäre des grossen Hirns, q noch einfacher Vierhügel, vor dem das abgeschnittene Tento- rium cerebelli sichtbar ist, e kleines Hirn, l Fasciculus lateralis, c Fasc. cunea- tus, g Fasc. gracilis, mo Membrana obturatoria ventriculi IV, wie einen beson- deren zweibäuchigen Lappen des kleinen Hirns darstellend. Die quere Linie zwischen den beiden scheinbaren Lappen ist eine enge Spalte, durch welche die Pia mater eindringt und in den Plexus chorioideus übergeht, mo′ mittlerer brückenartiger Theil der Deckmembran, t hinteres Ende derselben, das später zur Ligula sinus rhomboidei wird.] Bedeutung und Entwicklung der Membrana obturatoria.

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Zitationshilfe: Kölliker, Albert von: Entwicklungsgeschichte des Menschen und der höheren Thiere. Leipzig, 1861, S. 245. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/koelliker_entwicklungs_1861/261>, abgerufen am 28.11.2024.