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Kölliker, Albert von: Entwicklungsgeschichte des Menschen und der höheren Thiere. Leipzig, 1861.

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Erste Vorlesung.
seren embryologischen Untersuchungen erst ein Jahrhundert später
und fällt die erste wissenschaftliche Bearbeitung dieses Gebietes in
eine noch viel jüngere Zeit. Will man in der Geschichte der Embryo-
logie Perioden unterscheiden, so kann man nur zwei annehmen, eine
erste von den Anfängen bis auf die erste wissenschaftliche Bearbei-
tung durch Caspar Friedrich Wolff in der zweiten Hälfte des
18. Jahrhunderts und eine zweite von Wolff bis auf unsere
Zeiten.

Erste Periode.
Aristoteles.
Die erste Periode anlangend, so ist von den Leistungen des Al-
terthumes nicht viel auf uns gekommen, immerhin wissen wir soviel,
dass schon bei den Griechen eine gewisse Summe von embryologi-
schen Kenntnissen sich fand, die bei Aristoteles ihren Höhepunct
erreichten. In seiner Schrift peri zoon geneseos, vor Allem aber
auch an andern Stellen hat dieser grösste Forscher des Alterthumes
eine Menge feiner Beobachtungen über die Zeugung und Entwick-
lung der Thiere mitgetheilt, unter denen manche, nachdem sie ganz
allgemein dem Unglauben und der Vergessenheit anheimgefallen
oder nicht verstanden worden waren, erst in unseren Tagen wieder
ans Licht gezogen und als richtig erkannt worden sind, wie die über
den glatten Hai mit einer Placenta, den Dottersack der Tintenfische,
die Erzeugung der Bienen, die Begattungsarme der Cephalopoden
u. a. mehr. Und wenn auch Aristoteles in seiner Erkenntniss des
bebrüteten Hühnchens nicht gerade weit gekommen zu sein scheint,
indem er das Herz (stigme kinoumene, punctum saliens der Ueber-
setzer) als den zuerst gebildeten Theil ansah, so unterliegt es doch
keinem Zweifel, dass er der Erste war, der mit Bewusstsein embryo-
logische Untersuchungen vornahm, und in diesem Gebiete das Beste
im Alterthume leistete.

16. und 17.
Jahrhundert.
Alle andern untergeordneteren Arbeiten übergehend wenden
wir uns gleich zum Mittelalter, in dem mit dem Wiederaufwachen
der Anatomie auch die Embryologie neu entstand. Immerhin schritt
die Anatomie derselben bedeutend voran und habe ich Ihnen, ohne
von den grossen Anatomen Vesal, Eustachi und Fallopia in dieser
Beziehung etwas melden zu können, Fabricius ab Aquapendente,
Professor in Pavia und Schüler von Fallopia, als den Ersten zu be-
zeichnen, der in seinen Schriften de formato foetu 1600 und de for-
matione foetus
1604 die ersten unvollkommenen Beschreibungen und
Abbildungen zur Entwicklungsgeschichte des Hühnchens, der Säuge-
thiere und des Menschen gab. Aus dem 17. Jahrhundert sind zu er-

Erste Vorlesung.
seren embryologischen Untersuchungen erst ein Jahrhundert später
und fällt die erste wissenschaftliche Bearbeitung dieses Gebietes in
eine noch viel jüngere Zeit. Will man in der Geschichte der Embryo-
logie Perioden unterscheiden, so kann man nur zwei annehmen, eine
erste von den Anfängen bis auf die erste wissenschaftliche Bearbei-
tung durch Caspar Friedrich Wolff in der zweiten Hälfte des
18. Jahrhunderts und eine zweite von Wolff bis auf unsere
Zeiten.

Erste Periode.
Aristoteles.
Die erste Periode anlangend, so ist von den Leistungen des Al-
terthumes nicht viel auf uns gekommen, immerhin wissen wir soviel,
dass schon bei den Griechen eine gewisse Summe von embryologi-
schen Kenntnissen sich fand, die bei Aristoteles ihren Höhepunct
erreichten. In seiner Schrift πεϱὶ ζῳῶν γενέσεος, vor Allem aber
auch an andern Stellen hat dieser grösste Forscher des Alterthumes
eine Menge feiner Beobachtungen über die Zeugung und Entwick-
lung der Thiere mitgetheilt, unter denen manche, nachdem sie ganz
allgemein dem Unglauben und der Vergessenheit anheimgefallen
oder nicht verstanden worden waren, erst in unseren Tagen wieder
ans Licht gezogen und als richtig erkannt worden sind, wie die über
den glatten Hai mit einer Placenta, den Dottersack der Tintenfische,
die Erzeugung der Bienen, die Begattungsarme der Cephalopoden
u. a. mehr. Und wenn auch Aristoteles in seiner Erkenntniss des
bebrüteten Hühnchens nicht gerade weit gekommen zu sein scheint,
indem er das Herz (στίγμη κινουμένη, punctum saliens der Ueber-
setzer) als den zuerst gebildeten Theil ansah, so unterliegt es doch
keinem Zweifel, dass er der Erste war, der mit Bewusstsein embryo-
logische Untersuchungen vornahm, und in diesem Gebiete das Beste
im Alterthume leistete.

16. und 17.
Jahrhundert.
Alle andern untergeordneteren Arbeiten übergehend wenden
wir uns gleich zum Mittelalter, in dem mit dem Wiederaufwachen
der Anatomie auch die Embryologie neu entstand. Immerhin schritt
die Anatomie derselben bedeutend voran und habe ich Ihnen, ohne
von den grossen Anatomen Vesal, Eustachi und Fallopia in dieser
Beziehung etwas melden zu können, Fabricius ab Aquapendente,
Professor in Pavia und Schüler von Fallopia, als den Ersten zu be-
zeichnen, der in seinen Schriften de formato foetu 1600 und de for-
matione foetus
1604 die ersten unvollkommenen Beschreibungen und
Abbildungen zur Entwicklungsgeschichte des Hühnchens, der Säuge-
thiere und des Menschen gab. Aus dem 17. Jahrhundert sind zu er-

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[2/0018] Erste Vorlesung. seren embryologischen Untersuchungen erst ein Jahrhundert später und fällt die erste wissenschaftliche Bearbeitung dieses Gebietes in eine noch viel jüngere Zeit. Will man in der Geschichte der Embryo- logie Perioden unterscheiden, so kann man nur zwei annehmen, eine erste von den Anfängen bis auf die erste wissenschaftliche Bearbei- tung durch Caspar Friedrich Wolff in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts und eine zweite von Wolff bis auf unsere Zeiten. Die erste Periode anlangend, so ist von den Leistungen des Al- terthumes nicht viel auf uns gekommen, immerhin wissen wir soviel, dass schon bei den Griechen eine gewisse Summe von embryologi- schen Kenntnissen sich fand, die bei Aristoteles ihren Höhepunct erreichten. In seiner Schrift πεϱὶ ζῳῶν γενέσεος, vor Allem aber auch an andern Stellen hat dieser grösste Forscher des Alterthumes eine Menge feiner Beobachtungen über die Zeugung und Entwick- lung der Thiere mitgetheilt, unter denen manche, nachdem sie ganz allgemein dem Unglauben und der Vergessenheit anheimgefallen oder nicht verstanden worden waren, erst in unseren Tagen wieder ans Licht gezogen und als richtig erkannt worden sind, wie die über den glatten Hai mit einer Placenta, den Dottersack der Tintenfische, die Erzeugung der Bienen, die Begattungsarme der Cephalopoden u. a. mehr. Und wenn auch Aristoteles in seiner Erkenntniss des bebrüteten Hühnchens nicht gerade weit gekommen zu sein scheint, indem er das Herz (στίγμη κινουμένη, punctum saliens der Ueber- setzer) als den zuerst gebildeten Theil ansah, so unterliegt es doch keinem Zweifel, dass er der Erste war, der mit Bewusstsein embryo- logische Untersuchungen vornahm, und in diesem Gebiete das Beste im Alterthume leistete. Erste Periode. Aristoteles. Alle andern untergeordneteren Arbeiten übergehend wenden wir uns gleich zum Mittelalter, in dem mit dem Wiederaufwachen der Anatomie auch die Embryologie neu entstand. Immerhin schritt die Anatomie derselben bedeutend voran und habe ich Ihnen, ohne von den grossen Anatomen Vesal, Eustachi und Fallopia in dieser Beziehung etwas melden zu können, Fabricius ab Aquapendente, Professor in Pavia und Schüler von Fallopia, als den Ersten zu be- zeichnen, der in seinen Schriften de formato foetu 1600 und de for- matione foetus 1604 die ersten unvollkommenen Beschreibungen und Abbildungen zur Entwicklungsgeschichte des Hühnchens, der Säuge- thiere und des Menschen gab. Aus dem 17. Jahrhundert sind zu er- 16. und 17. Jahrhundert.

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Zitationshilfe: Kölliker, Albert von: Entwicklungsgeschichte des Menschen und der höheren Thiere. Leipzig, 1861, S. 2. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/koelliker_entwicklungs_1861/18>, abgerufen am 24.04.2024.