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Köhler, Ulrich: Gedächtnissrede auf Ernst Curtius. Berlin, 1897.

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U. Köhler:


von einem bestimmten Monument, einem Kunstwerk, einer Inschrift oder
einer Münze ausgeht, weiss er sofort sich zu allgemeinen Gesichtspunkten zu
erheben, von denen aus das jedes Mal vorliegende Object betrachtet wird.
Das ist es, was seinen kleineren Arbeiten das Gepräge giebt und auch den
an sich weniger bedeutenden einen bleibenden Werth verleiht. Strenge
Untersuchung im Kleinen war nicht seine Sache. An den Ansichten, welche
sich Curtius mehr durch Intuition aus sich heraus als auf inductivem Wege
gebildet hatte, hielt er fest wie an Glaubenssätzen; so stark waren seine
Überzeugungen, dass sie ihn leicht auch begründete Einwendungen über-
hören liessen. In vertrautem Gespräch konnte er sich unmuthig darüber
äussern, dass man seine Arbeiten, statt sie als Ganzes, wie sie concipirt
seien, aufzufassen und zu widerlegen oder ihm zuzustimmen, in Einzelheiten
zerpflücke und diese bestreite.


Während Curtius, wenn immer es galt in Rede oder Schrift ideale
Interessen zu vertreten, einen feierlichen Ernst an den Tag legte, war ihm
sonst eine strahlende Heiterkeit, der unmittelbare Ausfluss eines harmonisch
gestimmten Seelenlebens, eigen, die in jedem Kreis, in welchen er eintrat,
Licht und Wärme um ihn verbreitete und ihn auch in schicksalschweren
Momenten seines Lebens nicht ganz verliess. Die liebenswürdigen Züge in
Curtius' Wesen, die ursprüngliche Frische, die ungetrübte Heiterkeit und
die freie Sicherheit traten vielleicht bei keiner anderen Gelegenheit erfreu-
licher zu Tage als auf seinen Reisen im Süden in dem ungebundenen Verkehr
besonders auch mit seinen jüngeren Reisegefährten. Unvergesslich ist mir
das Bild, wie eines Tages der fast Sechzigjährige Allen voran einen steilen
Hügel an der Bai von Salamis hinanstürmte und mitten im Klettern die
Wacht am Rhein anstimmte. Seiner persönlichen Liebenswürdigkeit haupt-
sächlich auch ist es zuzuschreiben, dass er für die wissenschaftlichen Unter-
nehmungen, die er zu verschiedenen Zeiten ins Leben rief, in nicht zur
gelehrten Welt gehörigen fachmännischen Kreisen stets zu jedem Opfer an
Kraft und Zeit bereite Gehülfen und Genossen fand.


Unter den kleineren Arbeiten von Curtius nehmen die Beiträge zur
griechischen Landeskunde, der sein Werk über den Peloponnes gewidmet
war, einen breiten Raum ein, nur dass sich in der späteren Zeit sein In-
teresse mehr und mehr auf Attika und die Topographie von Athen con-
centrirte. Nicht weniger als drei Mal hat Curtius es unternommen, die
Grazie der attischen Landschaft in Worten zu schildern, eine Aufgabe,


U. Köhler:


von einem bestimmten Monument, einem Kunstwerk, einer Inschrift oder
einer Münze ausgeht, weiſs er sofort sich zu allgemeinen Gesichtspunkten zu
erheben, von denen aus das jedes Mal vorliegende Object betrachtet wird.
Das ist es, was seinen kleineren Arbeiten das Gepräge giebt und auch den
an sich weniger bedeutenden einen bleibenden Werth verleiht. Strenge
Untersuchung im Kleinen war nicht seine Sache. An den Ansichten, welche
sich Curtius mehr durch Intuition aus sich heraus als auf inductivem Wege
gebildet hatte, hielt er fest wie an Glaubenssätzen; so stark waren seine
Überzeugungen, daſs sie ihn leicht auch begründete Einwendungen über-
hören lieſsen. In vertrautem Gespräch konnte er sich unmuthig darüber
äuſsern, daſs man seine Arbeiten, statt sie als Ganzes, wie sie concipirt
seien, aufzufassen und zu widerlegen oder ihm zuzustimmen, in Einzelheiten
zerpflücke und diese bestreite.


Während Curtius, wenn immer es galt in Rede oder Schrift ideale
Interessen zu vertreten, einen feierlichen Ernst an den Tag legte, war ihm
sonst eine strahlende Heiterkeit, der unmittelbare Ausfluſs eines harmonisch
gestimmten Seelenlebens, eigen, die in jedem Kreis, in welchen er eintrat,
Licht und Wärme um ihn verbreitete und ihn auch in schicksalschweren
Momenten seines Lebens nicht ganz verlieſs. Die liebenswürdigen Züge in
Curtius’ Wesen, die ursprüngliche Frische, die ungetrübte Heiterkeit und
die freie Sicherheit traten vielleicht bei keiner anderen Gelegenheit erfreu-
licher zu Tage als auf seinen Reisen im Süden in dem ungebundenen Verkehr
besonders auch mit seinen jüngeren Reisegefährten. Unvergeſslich ist mir
das Bild, wie eines Tages der fast Sechzigjährige Allen voran einen steilen
Hügel an der Bai von Salamis hinanstürmte und mitten im Klettern die
Wacht am Rhein anstimmte. Seiner persönlichen Liebenswürdigkeit haupt-
sächlich auch ist es zuzuschreiben, dass er für die wissenschaftlichen Unter-
nehmungen, die er zu verschiedenen Zeiten ins Leben rief, in nicht zur
gelehrten Welt gehörigen fachmännischen Kreisen stets zu jedem Opfer an
Kraft und Zeit bereite Gehülfen und Genossen fand.


Unter den kleineren Arbeiten von Curtius nehmen die Beiträge zur
griechischen Landeskunde, der sein Werk über den Peloponnes gewidmet
war, einen breiten Raum ein, nur daſs sich in der späteren Zeit sein In-
teresse mehr und mehr auf Attika und die Topographie von Athen con-
centrirte. Nicht weniger als drei Mal hat Curtius es unternommen, die
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[12/0012] U. Köhler: 10 von einem bestimmten Monument, einem Kunstwerk, einer Inschrift oder einer Münze ausgeht, weiſs er sofort sich zu allgemeinen Gesichtspunkten zu erheben, von denen aus das jedes Mal vorliegende Object betrachtet wird. Das ist es, was seinen kleineren Arbeiten das Gepräge giebt und auch den an sich weniger bedeutenden einen bleibenden Werth verleiht. Strenge Untersuchung im Kleinen war nicht seine Sache. An den Ansichten, welche sich Curtius mehr durch Intuition aus sich heraus als auf inductivem Wege gebildet hatte, hielt er fest wie an Glaubenssätzen; so stark waren seine Überzeugungen, daſs sie ihn leicht auch begründete Einwendungen über- hören lieſsen. In vertrautem Gespräch konnte er sich unmuthig darüber äuſsern, daſs man seine Arbeiten, statt sie als Ganzes, wie sie concipirt seien, aufzufassen und zu widerlegen oder ihm zuzustimmen, in Einzelheiten zerpflücke und diese bestreite. Während Curtius, wenn immer es galt in Rede oder Schrift ideale Interessen zu vertreten, einen feierlichen Ernst an den Tag legte, war ihm sonst eine strahlende Heiterkeit, der unmittelbare Ausfluſs eines harmonisch gestimmten Seelenlebens, eigen, die in jedem Kreis, in welchen er eintrat, Licht und Wärme um ihn verbreitete und ihn auch in schicksalschweren Momenten seines Lebens nicht ganz verlieſs. Die liebenswürdigen Züge in Curtius’ Wesen, die ursprüngliche Frische, die ungetrübte Heiterkeit und die freie Sicherheit traten vielleicht bei keiner anderen Gelegenheit erfreu- licher zu Tage als auf seinen Reisen im Süden in dem ungebundenen Verkehr besonders auch mit seinen jüngeren Reisegefährten. Unvergeſslich ist mir das Bild, wie eines Tages der fast Sechzigjährige Allen voran einen steilen Hügel an der Bai von Salamis hinanstürmte und mitten im Klettern die Wacht am Rhein anstimmte. Seiner persönlichen Liebenswürdigkeit haupt- sächlich auch ist es zuzuschreiben, dass er für die wissenschaftlichen Unter- nehmungen, die er zu verschiedenen Zeiten ins Leben rief, in nicht zur gelehrten Welt gehörigen fachmännischen Kreisen stets zu jedem Opfer an Kraft und Zeit bereite Gehülfen und Genossen fand. Unter den kleineren Arbeiten von Curtius nehmen die Beiträge zur griechischen Landeskunde, der sein Werk über den Peloponnes gewidmet war, einen breiten Raum ein, nur daſs sich in der späteren Zeit sein In- teresse mehr und mehr auf Attika und die Topographie von Athen con- centrirte. Nicht weniger als drei Mal hat Curtius es unternommen, die Grazie der attischen Landschaft in Worten zu schildern, eine Aufgabe,

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Zitationshilfe: Köhler, Ulrich: Gedächtnissrede auf Ernst Curtius. Berlin, 1897, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/koehler_curtius_1897/12>, abgerufen am 28.04.2024.