Verfalles der Nation hinabgeführt werden konnte, ist klar. Die localen Anschauungen, welche er gewonnen hatte, lieferten ihm den festen Hinter- grund für die Geschichtserzählung, liessen ihn aber auch Manches richtiger sehen als seine Vorgänger. Dass zwischen den westlichen und östlichen Gestaden des ägeischen Meeres seit den ältesten Zeiten ein Völkerverkehr stattgefunden haben müsse, hatte ihm der Blick auf die Inselwelt gelehrt. In bestimmtem Gegensatz zu Otfr. Müller, dem er so gern folgte und dessen Anschauungen auf seine Auffassung der älteren Zeit wesentlich ein- gewirkt haben, trat er energisch dafür ein, dass die griechische Cultur in ihren Anfängen von der älteren orientalischen abhängig gewesen sei. Die monumentalen Entdeckungen in der Argolis und in anderen Theilen Grie- chenlands haben Curtius in der Hauptsache Recht gegeben. Man sollte meinen, die Entdeckung der prähistorischen Fürstengräber auf dem Burg- hügel von Mykene wäre von Curtius mit Genugthuung begrüsst worden, das war jedoch nicht der Fall. Von einem Ausfluge nach Mykene, den er im Spätherbst 1877 am Schlusse der Ausgrabung gemeinschaftlich mit seinem Freunde Charles Newton von Athen aus machte, kehrte er ver- stimmt zurück; das Prunken mit Gold, welches sich ihm in der Ausstattung der Gräber kund gab, schien ihm so gar unhellenisch zu sein; der Eindruck des Barbarischen, den er erhalten hatte, war so stark, dass ihm Zweifel an dem Alter und dem Ursprung der ans Licht gezogenen kostbaren Gefässe, Waffen und Sehmucksachen entstanden waren. Bestand haben konnte diese Skepsis nicht. Aber in der Darstellung der Vorzeit im ersten Bande der griechischen Geschichte hat Curtius auch in der letzten Auflage seines Werkes nichts geändert, sei es nun, dass es seinem ästhetischen Gefühl widerstrebte, an dem fertigen Bau zu flicken oder dass er andere Gründe gehabt hat, den ursprünglichen Text unverändert zu lassen; lieber hat er die geschichtliche Bedeutung der monumentalen Entdeckungen in einem An- hang am Schlusse des Bandes gewürdigt. Die grossen Vorzüge des Curtius- schen Geschichtswerkes haben dasselbe in weiten Kreisen im In- und Ausland wirken lassen, wie allein schon die Zahl der Auflagen und die Übersetzung in alle Cultursprachen Europas beweist; dass man in engeren fachmännischen Kreisen fand, Curtius habe, besonders in der Darstellung der älteren Zeit, der Phantasie einen zu grossen Spielraum gelassen und zwischen beglaubigter Geschichte und sagenhaft-mythischer Tradition zu wenig geschieden, konnte daran nichts ändern. In Frankreich und England hat Curtius' Griechische
U. Köhler:
Verfalles der Nation hinabgeführt werden konnte, ist klar. Die localen Anschauungen, welche er gewonnen hatte, lieferten ihm den festen Hinter- grund für die Geschichtserzählung, lieſsen ihn aber auch Manches richtiger sehen als seine Vorgänger. Daſs zwischen den westlichen und östlichen Gestaden des ägeischen Meeres seit den ältesten Zeiten ein Völkerverkehr stattgefunden haben müsse, hatte ihm der Blick auf die Inselwelt gelehrt. In bestimmtem Gegensatz zu Otfr. Müller, dem er so gern folgte und dessen Anschauungen auf seine Auffassung der älteren Zeit wesentlich ein- gewirkt haben, trat er energisch dafür ein, daſs die griechische Cultur in ihren Anfängen von der älteren orientalischen abhängig gewesen sei. Die monumentalen Entdeckungen in der Argolis und in anderen Theilen Grie- chenlands haben Curtius in der Hauptsache Recht gegeben. Man sollte meinen, die Entdeckung der prähistorischen Fürstengräber auf dem Burg- hügel von Mykene wäre von Curtius mit Genugthuung begrüſst worden, das war jedoch nicht der Fall. Von einem Ausfluge nach Mykene, den er im Spätherbst 1877 am Schlusse der Ausgrabung gemeinschaftlich mit seinem Freunde Charles Newton von Athen aus machte, kehrte er ver- stimmt zurück; das Prunken mit Gold, welches sich ihm in der Ausstattung der Gräber kund gab, schien ihm so gar unhellenisch zu sein; der Eindruck des Barbarischen, den er erhalten hatte, war so stark, daſs ihm Zweifel an dem Alter und dem Ursprung der ans Licht gezogenen kostbaren Gefäſse, Waffen und Sehmucksachen entstanden waren. Bestand haben konnte diese Skepsis nicht. Aber in der Darstellung der Vorzeit im ersten Bande der griechischen Geschichte hat Curtius auch in der letzten Auflage seines Werkes nichts geändert, sei es nun, daſs es seinem ästhetischen Gefühl widerstrebte, an dem fertigen Bau zu flicken oder daſs er andere Gründe gehabt hat, den ursprünglichen Text unverändert zu lassen; lieber hat er die geschichtliche Bedeutung der monumentalen Entdeckungen in einem An- hang am Schlusse des Bandes gewürdigt. Die groſsen Vorzüge des Curtius- schen Geschichtswerkes haben dasselbe in weiten Kreisen im In- und Ausland wirken lassen, wie allein schon die Zahl der Auflagen und die Übersetzung in alle Cultursprachen Europas beweist; daſs man in engeren fachmännischen Kreisen fand, Curtius habe, besonders in der Darstellung der älteren Zeit, der Phantasie einen zu groſsen Spielraum gelassen und zwischen beglaubigter Geschichte und sagenhaft-mythischer Tradition zu wenig geschieden, konnte daran nichts ändern. In Frankreich und England hat Curtius’ Griechische
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Verfalles der Nation hinabgeführt werden konnte, ist klar. Die localen
Anschauungen, welche er gewonnen hatte, lieferten ihm den festen Hinter-
grund für die Geschichtserzählung, lieſsen ihn aber auch Manches richtiger
sehen als seine Vorgänger. Daſs zwischen den westlichen und östlichen
Gestaden des ägeischen Meeres seit den ältesten Zeiten ein Völkerverkehr
stattgefunden haben müsse, hatte ihm der Blick auf die Inselwelt gelehrt.
In bestimmtem Gegensatz zu Otfr. Müller, dem er so gern folgte und
dessen Anschauungen auf seine Auffassung der älteren Zeit wesentlich ein-
gewirkt haben, trat er energisch dafür ein, daſs die griechische Cultur in
ihren Anfängen von der älteren orientalischen abhängig gewesen sei. Die
monumentalen Entdeckungen in der Argolis und in anderen Theilen Grie-
chenlands haben Curtius in der Hauptsache Recht gegeben. Man sollte
meinen, die Entdeckung der prähistorischen Fürstengräber auf dem Burg-
hügel von Mykene wäre von Curtius mit Genugthuung begrüſst worden,
das war jedoch nicht der Fall. Von einem Ausfluge nach Mykene, den
er im Spätherbst 1877 am Schlusse der Ausgrabung gemeinschaftlich mit
seinem Freunde Charles Newton von Athen aus machte, kehrte er ver-
stimmt zurück; das Prunken mit Gold, welches sich ihm in der Ausstattung
der Gräber kund gab, schien ihm so gar unhellenisch zu sein; der Eindruck
des Barbarischen, den er erhalten hatte, war so stark, daſs ihm Zweifel
an dem Alter und dem Ursprung der ans Licht gezogenen kostbaren Gefäſse,
Waffen und Sehmucksachen entstanden waren. Bestand haben konnte diese
Skepsis nicht. Aber in der Darstellung der Vorzeit im ersten Bande der
griechischen Geschichte hat Curtius auch in der letzten Auflage seines
Werkes nichts geändert, sei es nun, daſs es seinem ästhetischen Gefühl
widerstrebte, an dem fertigen Bau zu flicken oder daſs er andere Gründe
gehabt hat, den ursprünglichen Text unverändert zu lassen; lieber hat er
die geschichtliche Bedeutung der monumentalen Entdeckungen in einem An-
hang am Schlusse des Bandes gewürdigt. Die groſsen Vorzüge des Curtius-
schen Geschichtswerkes haben dasselbe in weiten Kreisen im In- und Ausland
wirken lassen, wie allein schon die Zahl der Auflagen und die Übersetzung
in alle Cultursprachen Europas beweist; daſs man in engeren fachmännischen
Kreisen fand, Curtius habe, besonders in der Darstellung der älteren Zeit,
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Köhler, Ulrich: Gedächtnissrede auf Ernst Curtius. Berlin, 1897, S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/koehler_curtius_1897/10>, abgerufen am 16.02.2025.
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