verliehen hatte, und strekte den einen so zu Bo- den, daß er eine Zeitlang zur Gegenwehr un- tüchtig war, der andere nahm die Flucht, und so nahm ich das erschöpfte Mädchen, und brachte sie in die nicht weit entfernte väterliche Hütte zurük. Sie war die Tochter eines braven Land- manns, die bei einem Besuch zu ihrer Verwand- tinn im nächsten Dorf von diesen Räubern, die ihrer Tugend schon lange nachgestellt hatte, war überfallen worden. Jch bin zu schwach, die Fülle des Danks zu entziffern, die aus dem Munde der Aeltern und Tochter wechselsweise auf mich herab strömte, und nie hab ich die Freude, nach einer vollbrachten guten Handlung so lebhaft empfunden, als damals. Jch weiß nicht, es war ein Vorschmak von überirdischer Freude, so mich berauschte, und all' meine Sinne gefangen nahm, so ich mir nie selbst erklären konnte, die mir aber oft wieder gegenwärtig wurde, und mich hernach auch in trüben Stun- den meines Lebens beschlich.
Jch. Ja, es muß der wonnevollste seligste Augenblik sein, den je ein Menschenauge er- blikken kann, eine Unschuld gerettet zu haben! --
Greis. O, sie hätten das Auge des Mäd-
verliehen hatte, und ſtrekte den einen ſo zu Bo- den, daß er eine Zeitlang zur Gegenwehr un- tuͤchtig war, der andere nahm die Flucht, und ſo nahm ich das erſchoͤpfte Maͤdchen, und brachte ſie in die nicht weit entfernte vaͤterliche Huͤtte zuruͤk. Sie war die Tochter eines braven Land- manns, die bei einem Beſuch zu ihrer Verwand- tinn im naͤchſten Dorf von dieſen Raͤubern, die ihrer Tugend ſchon lange nachgeſtellt hatte, war uͤberfallen worden. Jch bin zu ſchwach, die Fuͤlle des Danks zu entziffern, die aus dem Munde der Aeltern und Tochter wechſelsweiſe auf mich herab ſtroͤmte, und nie hab ich die Freude, nach einer vollbrachten guten Handlung ſo lebhaft empfunden, als damals. Jch weiß nicht, es war ein Vorſchmak von uͤberirdiſcher Freude, ſo mich berauſchte, und all’ meine Sinne gefangen nahm, ſo ich mir nie ſelbſt erklaͤren konnte, die mir aber oft wieder gegenwaͤrtig wurde, und mich hernach auch in truͤben Stun- den meines Lebens beſchlich.
Jch. Ja, es muß der wonnevollſte ſeligſte Augenblik ſein, den je ein Menſchenauge er- blikken kann, eine Unſchuld gerettet zu haben! —
Greis. O, ſie haͤtten das Auge des Maͤd-
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verliehen hatte, und ſtrekte den einen ſo zu Bo-
den, daß er eine Zeitlang zur Gegenwehr un-
tuͤchtig war, der andere nahm die Flucht, und
ſo nahm ich das erſchoͤpfte Maͤdchen, und brachte
ſie in die nicht weit entfernte vaͤterliche Huͤtte
zuruͤk. Sie war die Tochter eines braven Land-
manns, die bei einem Beſuch zu ihrer Verwand-
tinn im naͤchſten Dorf von dieſen Raͤubern, die
ihrer Tugend ſchon lange nachgeſtellt hatte, war
uͤberfallen worden. Jch bin zu ſchwach, die
Fuͤlle des Danks zu entziffern, die aus dem
Munde der Aeltern und Tochter wechſelsweiſe
auf mich herab ſtroͤmte, und nie hab ich die
Freude, nach einer vollbrachten guten Handlung
ſo lebhaft empfunden, als damals. Jch weiß
nicht, es war ein Vorſchmak von uͤberirdiſcher
Freude, ſo mich berauſchte, und all’ meine Sinne
gefangen nahm, ſo ich mir nie ſelbſt erklaͤren
konnte, die mir aber oft wieder gegenwaͤrtig
wurde, und mich hernach auch in truͤben Stun-
den meines Lebens beſchlich.
Jch. Ja, es muß der wonnevollſte ſeligſte
Augenblik ſein, den je ein Menſchenauge er-
blikken kann, eine Unſchuld gerettet zu haben! —
Greis. O, ſie haͤtten das Auge des Maͤd-
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Knüppeln, Julius Friedrich: Die Rechte der Natur und Menschheit, entweiht durch Menschen. Berlin, 1784, S. 278. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/knueppeln_rechte_1784/286>, abgerufen am 21.05.2024.
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