alles haucht den Geist der Liebe. Jeder Vogel fiu- det seinen Gatten, jedes Thier paart und gattet sich, und lebt einträchtig in der Luft, auf der Erde, und im Meer -- nur ich bin ganz verlassen, allein in Gottes schöner Welt. Selbst das dunkle Epheu seh ich den Stamm der moosigten Eiche liebevoll um- schlingen, und da steh ich, Armer, blikke es an, und möchte mich eben so an ein Geschöpf schmiegen. Da pocht es dann in meiner Brust, als wollt es sie zersprengen, bis eine Flut von Thränen dem gepreß- ten Herzen Luft macht, und das Lied des frohen Hänflings mich erheitert.
O mein Freund! auch ich möchte mit dem seli- gen Hölty ausrufen, "würde mein heisser Seelen- wunsch Erfüllung, führte ein günstiges Geschik mich der entgegen, deren Bild des Tages vor mir schwebt, und des Nachts mir die Seele mit Entzükken füllt -- Seliger Augenblik! mir für nichts zu theuer, mit allem Gold von Peru nicht zu erkaufen! O dann wür- de ich den Früling noch schöner fühlen, besser meinen Schöpfer in jedem Halm, in jeder Knospe schauen und lieben". Sollte die Vorsicht dieses Sehnen mei- nes Herzens nicht einst stillen? ja sie wird's, aber ob frühe oder spät, ist mir ein geheimnisvolles Dunkel.
Natur! allgütige Mutter! sei mir alles, be- ruhige, tröste mich; wenn meine Sonne erlischt,
alles haucht den Geiſt der Liebe. Jeder Vogel fiu- det ſeinen Gatten, jedes Thier paart und gattet ſich, und lebt eintraͤchtig in der Luft, auf der Erde, und im Meer — nur ich bin ganz verlaſſen, allein in Gottes ſchoͤner Welt. Selbſt das dunkle Epheu ſeh ich den Stamm der mooſigten Eiche liebevoll um- ſchlingen, und da ſteh ich, Armer, blikke es an, und moͤchte mich eben ſo an ein Geſchoͤpf ſchmiegen. Da pocht es dann in meiner Bruſt, als wollt es ſie zerſprengen, bis eine Flut von Thraͤnen dem gepreß- ten Herzen Luft macht, und das Lied des frohen Haͤnflings mich erheitert.
O mein Freund! auch ich moͤchte mit dem ſeli- gen Hoͤlty ausrufen, „wuͤrde mein heiſſer Seelen- wunſch Erfuͤllung, fuͤhrte ein guͤnſtiges Geſchik mich der entgegen, deren Bild des Tages vor mir ſchwebt, und des Nachts mir die Seele mit Entzuͤkken fuͤllt — Seliger Augenblik! mir fuͤr nichts zu theuer, mit allem Gold von Peru nicht zu erkaufen! O dann wuͤr- de ich den Fruͤling noch ſchoͤner fuͤhlen, beſſer meinen Schoͤpfer in jedem Halm, in jeder Knoſpe ſchauen und lieben‟. Sollte die Vorſicht dieſes Sehnen mei- nes Herzens nicht einſt ſtillen? ja ſie wird’s, aber ob fruͤhe oder ſpaͤt, iſt mir ein geheimnisvolles Dunkel.
Natur! allguͤtige Mutter! ſei mir alles, be- ruhige, troͤſte mich; wenn meine Sonne erliſcht,
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0245"n="237"/>
alles haucht den <hirendition="#fr">Geiſt der Liebe.</hi> Jeder Vogel fiu-<lb/>
det ſeinen Gatten, jedes Thier paart und gattet<lb/>ſich, und lebt eintraͤchtig in der Luft, auf der Erde,<lb/>
und im Meer — nur ich bin ganz verlaſſen, allein<lb/>
in Gottes ſchoͤner Welt. Selbſt das dunkle Epheu<lb/>ſeh ich den Stamm der mooſigten Eiche liebevoll um-<lb/>ſchlingen, und da ſteh ich, Armer, blikke es an, und<lb/>
moͤchte mich eben ſo an ein Geſchoͤpf ſchmiegen.<lb/>
Da pocht es dann in meiner Bruſt, als wollt es ſie<lb/>
zerſprengen, bis eine Flut von Thraͤnen dem gepreß-<lb/>
ten Herzen Luft macht, und das Lied des frohen<lb/>
Haͤnflings mich erheitert.</p><lb/><p>O <hirendition="#fr">mein Freund!</hi> auch ich moͤchte mit dem <hirendition="#fr">ſeli-<lb/>
gen Hoͤlty</hi> ausrufen, „wuͤrde mein heiſſer Seelen-<lb/>
wunſch Erfuͤllung, fuͤhrte ein guͤnſtiges Geſchik mich<lb/>
der entgegen, deren Bild des Tages vor mir ſchwebt,<lb/>
und des Nachts mir die Seele mit Entzuͤkken fuͤllt —<lb/><hirendition="#fr">Seliger Augenblik!</hi> mir fuͤr nichts zu theuer, mit<lb/>
allem Gold von Peru nicht zu erkaufen! O dann wuͤr-<lb/>
de ich den Fruͤling noch ſchoͤner fuͤhlen, beſſer meinen<lb/>
Schoͤpfer in jedem Halm, in jeder Knoſpe ſchauen<lb/>
und lieben‟. Sollte die Vorſicht dieſes Sehnen mei-<lb/>
nes Herzens nicht einſt ſtillen? ja ſie wird’s, aber<lb/>
ob fruͤhe oder ſpaͤt, iſt mir ein geheimnisvolles<lb/>
Dunkel.</p><lb/><p><hirendition="#fr">Natur! allguͤtige Mutter!</hi>ſei mir alles, be-<lb/>
ruhige, troͤſte mich; wenn meine Sonne erliſcht,<lb/></p></div></body></text></TEI>
[237/0245]
alles haucht den Geiſt der Liebe. Jeder Vogel fiu-
det ſeinen Gatten, jedes Thier paart und gattet
ſich, und lebt eintraͤchtig in der Luft, auf der Erde,
und im Meer — nur ich bin ganz verlaſſen, allein
in Gottes ſchoͤner Welt. Selbſt das dunkle Epheu
ſeh ich den Stamm der mooſigten Eiche liebevoll um-
ſchlingen, und da ſteh ich, Armer, blikke es an, und
moͤchte mich eben ſo an ein Geſchoͤpf ſchmiegen.
Da pocht es dann in meiner Bruſt, als wollt es ſie
zerſprengen, bis eine Flut von Thraͤnen dem gepreß-
ten Herzen Luft macht, und das Lied des frohen
Haͤnflings mich erheitert.
O mein Freund! auch ich moͤchte mit dem ſeli-
gen Hoͤlty ausrufen, „wuͤrde mein heiſſer Seelen-
wunſch Erfuͤllung, fuͤhrte ein guͤnſtiges Geſchik mich
der entgegen, deren Bild des Tages vor mir ſchwebt,
und des Nachts mir die Seele mit Entzuͤkken fuͤllt —
Seliger Augenblik! mir fuͤr nichts zu theuer, mit
allem Gold von Peru nicht zu erkaufen! O dann wuͤr-
de ich den Fruͤling noch ſchoͤner fuͤhlen, beſſer meinen
Schoͤpfer in jedem Halm, in jeder Knoſpe ſchauen
und lieben‟. Sollte die Vorſicht dieſes Sehnen mei-
nes Herzens nicht einſt ſtillen? ja ſie wird’s, aber
ob fruͤhe oder ſpaͤt, iſt mir ein geheimnisvolles
Dunkel.
Natur! allguͤtige Mutter! ſei mir alles, be-
ruhige, troͤſte mich; wenn meine Sonne erliſcht,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Knüppeln, Julius Friedrich: Die Rechte der Natur und Menschheit, entweiht durch Menschen. Berlin, 1784, S. 237. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/knueppeln_rechte_1784/245>, abgerufen am 05.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.