nieder schmetternd das Geheul und Gewinsel der Leidenden, durchschaudernd der Kampf eines elenden Lebens mit dem Tode, der alle seine Qualen verdoppelt ausgoß -- ausgesezt der grausamen Behandlung der Wundärzte -- der Verachtung und des Hohngelächters der Um- stehenden -- und dann im Jnnern der Gram, der nie stirbt -- ach! nur wenige Wochen kämpfte sie mit diesen Schreknissen; der Tod fand alles vertroknet, alles entmarkt, nur ein leichter Schwung seiner Sense, und sie lag leblos da. So durchschneidet der Pflugschaar das kaum ge- borne Veilchen, und niemand findet mehr die Stäte, wo es duftete. So lokket die Wollust die blühende Jugend in ihre Nezze, und würgt sie an ihren Altären. So ward Marie das un- glükliche Opfer einer feilen Mäklerinn, der es nicht genug ist, den Körper zu zerstören, sondern die auch die Seele würgt.
O Gerechter dort oben, der du recht rich- test über den Sternen, hast du keinen Donner für dieses elende Gesindel? das dein Meisterstük zerstöret, das selbst die Unschuld in deinen Tem- peln würget -- schwelgt vom Mahl des Lasters, und sich berauschet im Kelch der Sünde. Dein
nieder ſchmetternd das Geheul und Gewinſel der Leidenden, durchſchaudernd der Kampf eines elenden Lebens mit dem Tode, der alle ſeine Qualen verdoppelt ausgoß — ausgeſezt der grauſamen Behandlung der Wundaͤrzte — der Verachtung und des Hohngelaͤchters der Um- ſtehenden — und dann im Jnnern der Gram, der nie ſtirbt — ach! nur wenige Wochen kaͤmpfte ſie mit dieſen Schrekniſſen; der Tod fand alles vertroknet, alles entmarkt, nur ein leichter Schwung ſeiner Senſe, und ſie lag leblos da. So durchſchneidet der Pflugſchaar das kaum ge- borne Veilchen, und niemand findet mehr die Staͤte, wo es duftete. So lokket die Wolluſt die bluͤhende Jugend in ihre Nezze, und wuͤrgt ſie an ihren Altaͤren. So ward Marie das un- gluͤkliche Opfer einer feilen Maͤklerinn, der es nicht genug iſt, den Koͤrper zu zerſtoͤren, ſondern die auch die Seele wuͤrgt.
O Gerechter dort oben, der du recht rich- teſt uͤber den Sternen, haſt du keinen Donner fuͤr dieſes elende Geſindel? das dein Meiſterſtuͤk zerſtoͤret, das ſelbſt die Unſchuld in deinen Tem- peln wuͤrget — ſchwelgt vom Mahl des Laſters, und ſich berauſchet im Kelch der Suͤnde. Dein
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nieder ſchmetternd das Geheul und Gewinſel
der Leidenden, durchſchaudernd der Kampf
eines elenden Lebens mit dem Tode, der alle ſeine
Qualen verdoppelt ausgoß — ausgeſezt der
grauſamen Behandlung der Wundaͤrzte — der
Verachtung und des Hohngelaͤchters der Um-
ſtehenden — und dann im Jnnern der Gram,
der nie ſtirbt — ach! nur wenige Wochen kaͤmpfte
ſie mit dieſen Schrekniſſen; der Tod fand alles
vertroknet, alles entmarkt, nur ein leichter
Schwung ſeiner Senſe, und ſie lag leblos da.
So durchſchneidet der Pflugſchaar das kaum ge-
borne Veilchen, und niemand findet mehr die
Staͤte, wo es duftete. So lokket die Wolluſt
die bluͤhende Jugend in ihre Nezze, und wuͤrgt
ſie an ihren Altaͤren. So ward Marie das un-
gluͤkliche Opfer einer feilen Maͤklerinn, der es
nicht genug iſt, den Koͤrper zu zerſtoͤren, ſondern
die auch die Seele wuͤrgt.
O Gerechter dort oben, der du recht rich-
teſt uͤber den Sternen, haſt du keinen Donner
fuͤr dieſes elende Geſindel? das dein Meiſterſtuͤk
zerſtoͤret, das ſelbſt die Unſchuld in deinen Tem-
peln wuͤrget — ſchwelgt vom Mahl des Laſters,
und ſich berauſchet im Kelch der Suͤnde. Dein
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Knüppeln, Julius Friedrich: Die Rechte der Natur und Menschheit, entweiht durch Menschen. Berlin, 1784, S. 220. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/knueppeln_rechte_1784/228>, abgerufen am 23.11.2024.
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