sie schwinden dahin, und wer kann sie ereilen? -- mit ihnen schwinden dann auch jene Zauberße- nen der Kindheit, die alle Sinnen gefesselt hiel- ten, und die Hütte zum Feienpallast, die Fluren zu Gefilden von Amatunt und Gnidus um- schufen. Jezt zeigen sich die Gegenstände in ih- rer wahren Gestalt, aber es bleibt immer eine Leerheit in der Seele zurük, wir bilden uns dädalische Gärten, arkadische Fluren, romantische Thäler, und doch sind es oft nur Sandschellen und wüste Eilande, die unser Fuß betritt. Der Kuabe tritt nun auf einmal aus dem Kreise seiner Gespielen, legt mit dem Flü- gelkleid, Knabengedanken und Knabenspiele ab, und wird unvermerkt ein Jüngling. Nun ent- wikkeln sich seine Jdeen, sie erlangen Festigkeit und Spannkraft, schlüpfen nicht mehr über die Gegenstände hinweg, sondern verweilen, ordnen und bilden sie aus. Dis ist die Zeit, wo sich der Embrio von Fähigkeit entwikkelt, wo die Keime hervor sprossen, wo der Karakter sich zum Guten oder Bösen lenket. Dis ist die Zeit, die eine glükliche Epoke unsers Lebens ausfüllen, ja deren weise Anwendung den Stab sanft, auf all' unsere Tage herab senkt, deren Ver-
ſie ſchwinden dahin, und wer kann ſie ereilen? — mit ihnen ſchwinden dann auch jene Zauberſze- nen der Kindheit, die alle Sinnen gefeſſelt hiel- ten, und die Huͤtte zum Feienpallaſt, die Fluren zu Gefilden von Amatunt und Gnidus um- ſchufen. Jezt zeigen ſich die Gegenſtaͤnde in ih- rer wahren Geſtalt, aber es bleibt immer eine Leerheit in der Seele zuruͤk, wir bilden uns daͤdaliſche Gaͤrten, arkadiſche Fluren, romantiſche Thaͤler, und doch ſind es oft nur Sandſchellen und wuͤſte Eilande, die unſer Fuß betritt. Der Kuabe tritt nun auf einmal aus dem Kreiſe ſeiner Geſpielen, legt mit dem Fluͤ- gelkleid, Knabengedanken und Knabenſpiele ab, und wird unvermerkt ein Juͤngling. Nun ent- wikkeln ſich ſeine Jdeen, ſie erlangen Feſtigkeit und Spannkraft, ſchluͤpfen nicht mehr uͤber die Gegenſtaͤnde hinweg, ſondern verweilen, ordnen und bilden ſie aus. Dis iſt die Zeit, wo ſich der Embrio von Faͤhigkeit entwikkelt, wo die Keime hervor ſproſſen, wo der Karakter ſich zum Guten oder Boͤſen lenket. Dis iſt die Zeit, die eine gluͤkliche Epoke unſers Lebens ausfuͤllen, ja deren weiſe Anwendung den Stab ſanft, auf all’ unſere Tage herab ſenkt, deren Ver-
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0215"n="207"/>ſie ſchwinden dahin, und wer kann ſie ereilen? —<lb/>
mit ihnen ſchwinden dann auch jene Zauberſze-<lb/>
nen der Kindheit, die alle Sinnen gefeſſelt hiel-<lb/>
ten, und die Huͤtte zum Feienpallaſt, die Fluren<lb/>
zu Gefilden von <hirendition="#fr">Amatunt</hi> und <hirendition="#fr">Gnidus</hi> um-<lb/>ſchufen. Jezt zeigen ſich die Gegenſtaͤnde in ih-<lb/>
rer wahren Geſtalt, aber es bleibt immer eine<lb/>
Leerheit in der Seele zuruͤk, wir bilden uns<lb/><hirendition="#fr">daͤdaliſche Gaͤrten, arkadiſche Fluren,<lb/>
romantiſche Thaͤler,</hi> und doch ſind es oft nur<lb/>
Sandſchellen und wuͤſte Eilande, die unſer Fuß<lb/>
betritt. <hirendition="#fr">Der Kuabe</hi> tritt nun auf einmal aus<lb/>
dem Kreiſe ſeiner Geſpielen, legt mit dem Fluͤ-<lb/>
gelkleid, Knabengedanken und Knabenſpiele ab,<lb/>
und wird unvermerkt ein <hirendition="#fr">Juͤngling.</hi> Nun ent-<lb/>
wikkeln ſich ſeine Jdeen, ſie erlangen Feſtigkeit<lb/>
und Spannkraft, ſchluͤpfen nicht mehr uͤber die<lb/>
Gegenſtaͤnde hinweg, ſondern verweilen, ordnen<lb/>
und bilden ſie aus. <hirendition="#fr">Dis iſt die Zeit,</hi> wo ſich<lb/>
der Embrio von Faͤhigkeit entwikkelt, wo die<lb/>
Keime hervor ſproſſen, wo der Karakter ſich zum<lb/>
Guten oder Boͤſen lenket. <hirendition="#fr">Dis iſt die Zeit,</hi><lb/>
die eine gluͤkliche Epoke unſers Lebens ausfuͤllen,<lb/>
ja deren weiſe Anwendung den <hirendition="#fr">Stab ſanft,</hi><lb/>
auf all’ unſere Tage herab ſenkt, deren Ver-<lb/></p></div></body></text></TEI>
[207/0215]
ſie ſchwinden dahin, und wer kann ſie ereilen? —
mit ihnen ſchwinden dann auch jene Zauberſze-
nen der Kindheit, die alle Sinnen gefeſſelt hiel-
ten, und die Huͤtte zum Feienpallaſt, die Fluren
zu Gefilden von Amatunt und Gnidus um-
ſchufen. Jezt zeigen ſich die Gegenſtaͤnde in ih-
rer wahren Geſtalt, aber es bleibt immer eine
Leerheit in der Seele zuruͤk, wir bilden uns
daͤdaliſche Gaͤrten, arkadiſche Fluren,
romantiſche Thaͤler, und doch ſind es oft nur
Sandſchellen und wuͤſte Eilande, die unſer Fuß
betritt. Der Kuabe tritt nun auf einmal aus
dem Kreiſe ſeiner Geſpielen, legt mit dem Fluͤ-
gelkleid, Knabengedanken und Knabenſpiele ab,
und wird unvermerkt ein Juͤngling. Nun ent-
wikkeln ſich ſeine Jdeen, ſie erlangen Feſtigkeit
und Spannkraft, ſchluͤpfen nicht mehr uͤber die
Gegenſtaͤnde hinweg, ſondern verweilen, ordnen
und bilden ſie aus. Dis iſt die Zeit, wo ſich
der Embrio von Faͤhigkeit entwikkelt, wo die
Keime hervor ſproſſen, wo der Karakter ſich zum
Guten oder Boͤſen lenket. Dis iſt die Zeit,
die eine gluͤkliche Epoke unſers Lebens ausfuͤllen,
ja deren weiſe Anwendung den Stab ſanft,
auf all’ unſere Tage herab ſenkt, deren Ver-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Knüppeln, Julius Friedrich: Die Rechte der Natur und Menschheit, entweiht durch Menschen. Berlin, 1784, S. 207. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/knueppeln_rechte_1784/215>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.