Seele, denn finstere Orkane durchwühlen mein Jnnerstes, und Wehmut zerreißt meinen Busen. Ein rauher Nord hat die schönste Lilie gebrochen, kommende Jahre werden nicht mehr ihren Reiz sehen. So ist dann alles der Zerstörung unter- worfen; die Eichen, die Berge, fallen und ver- gehen, Menschengeschlechter fallen dahin wie dürres Gras, und neue Geschlechter spriessen hervor, um wieder zu vergehen. Wer kann den Strom der Zeit gebieten, daß er nicht da- her rausche, und Wald und Flur zerstöre? Noch vor wenig Monden sah ich die Natur keimen, wachsen und blühen, lagerte mich unterm Schat- ten des Eichbaums, und flocht Kränze für meine Lieben, aber jezt heulet der Sturm zwischen na- hen und fernen Gebirgen; es stürzen die bejahr- ten Eichen, die Pracht der Flur -- dürre Blät- ter rasseln durch die Luft, und des Wanderers Tritt rauscht durch erstorbenes Gras. Jch hatte eine Blume in meinen Garten, Frühlingslüfte erzogen sie, die Sonne verlieh ihr Schönheit und Reize; sie wuchs heran, beschämte Lilien und Rosen, und streute balsamische Düfte über die Flur.
Seele, denn finſtere Orkane durchwuͤhlen mein Jnnerſtes, und Wehmut zerreißt meinen Buſen. Ein rauher Nord hat die ſchoͤnſte Lilie gebrochen, kommende Jahre werden nicht mehr ihren Reiz ſehen. So iſt dann alles der Zerſtoͤrung unter- worfen; die Eichen, die Berge, fallen und ver- gehen, Menſchengeſchlechter fallen dahin wie duͤrres Gras, und neue Geſchlechter ſprieſſen hervor, um wieder zu vergehen. Wer kann den Strom der Zeit gebieten, daß er nicht da- her rauſche, und Wald und Flur zerſtoͤre? Noch vor wenig Monden ſah ich die Natur keimen, wachſen und bluͤhen, lagerte mich unterm Schat- ten des Eichbaums, und flocht Kraͤnze fuͤr meine Lieben, aber jezt heulet der Sturm zwiſchen na- hen und fernen Gebirgen; es ſtuͤrzen die bejahr- ten Eichen, die Pracht der Flur — duͤrre Blaͤt- ter raſſeln durch die Luft, und des Wanderers Tritt rauſcht durch erſtorbenes Gras. Jch hatte eine Blume in meinen Garten, Fruͤhlingsluͤfte erzogen ſie, die Sonne verlieh ihr Schoͤnheit und Reize; ſie wuchs heran, beſchaͤmte Lilien und Roſen, und ſtreute balſamiſche Duͤfte uͤber die Flur.
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Seele, denn finſtere Orkane durchwuͤhlen mein
Jnnerſtes, und Wehmut zerreißt meinen Buſen.
Ein rauher Nord hat die ſchoͤnſte Lilie gebrochen,
kommende Jahre werden nicht mehr ihren Reiz
ſehen. So iſt dann alles der Zerſtoͤrung unter-
worfen; die Eichen, die Berge, fallen und ver-
gehen, Menſchengeſchlechter fallen dahin wie
duͤrres Gras, und neue Geſchlechter ſprieſſen
hervor, um wieder zu vergehen. Wer kann
den Strom der Zeit gebieten, daß er nicht da-
her rauſche, und Wald und Flur zerſtoͤre? Noch
vor wenig Monden ſah ich die Natur keimen,
wachſen und bluͤhen, lagerte mich unterm Schat-
ten des Eichbaums, und flocht Kraͤnze fuͤr meine
Lieben, aber jezt heulet der Sturm zwiſchen na-
hen und fernen Gebirgen; es ſtuͤrzen die bejahr-
ten Eichen, die Pracht der Flur — duͤrre Blaͤt-
ter raſſeln durch die Luft, und des Wanderers
Tritt rauſcht durch erſtorbenes Gras. Jch hatte
eine Blume in meinen Garten, Fruͤhlingsluͤfte
erzogen ſie, die Sonne verlieh ihr Schoͤnheit
und Reize; ſie wuchs heran, beſchaͤmte Lilien
und Roſen, und ſtreute balſamiſche Duͤfte uͤber
die Flur.
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Knüppeln, Julius Friedrich: Die Rechte der Natur und Menschheit, entweiht durch Menschen. Berlin, 1784, S. 170. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/knueppeln_rechte_1784/178>, abgerufen am 03.12.2024.
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