Knüppeln, Julius Friedrich: Die Rechte der Natur und Menschheit, entweiht durch Menschen. Berlin, 1784.Es würde mir sehr wehe thun, wenn ihr und sich über die Unempfindlichkeit einiger Zu- schauer entrüsten -- und eben diese sah ich her- nach einen äusserst elenden Menschen, der halb- nakt in der strengsten Kälte, auf Stelzen daher hinkend, sie um ein kleine Gabe ansprach, be- schimpfen, sich an der Seite eines Cizisbeo über ihn lustig machen, und sogar ihn thätlich behan- deln. So ist es mit unsern Modegefühlen, wahres Gaukelspiel, und Marionettenem- pfindung. Wahre Empfindung plaudert nie, sondern handelt. L 2
Es wuͤrde mir ſehr wehe thun, wenn ihr und ſich uͤber die Unempfindlichkeit einiger Zu- ſchauer entruͤſten — und eben dieſe ſah ich her- nach einen aͤuſſerſt elenden Menſchen, der halb- nakt in der ſtrengſten Kaͤlte, auf Stelzen daher hinkend, ſie um ein kleine Gabe anſprach, be- ſchimpfen, ſich an der Seite eines Cizisbeo uͤber ihn luſtig machen, und ſogar ihn thaͤtlich behan- deln. So iſt es mit unſern Modegefuͤhlen, wahres Gaukelſpiel, und Marionettenem- pfindung. Wahre Empfindung plaudert nie, ſondern handelt. L 2
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0171" n="163"/> <p>Es wuͤrde mir ſehr wehe thun, wenn ihr<lb/> glaubtet, meine erhizte Fantaſie haͤtte euch mit<lb/> einem Bilde getaͤuſcht, das nirgends zu finden iſt;<lb/> um <hi rendition="#fr">eurer ſelbſt</hi> willen wollt ich, meine Fantaſie<lb/> haͤtte euch getaͤuſchet, aber warlich das hat ſie<lb/> nicht, ſie hat euch nur unvollkommen das <hi rendition="#fr">Elend<lb/> in Huͤtten,</hi> das <hi rendition="#fr">Elend eurer Untertanen</hi> ge-<lb/> zeichnet. — Glaub’s wohl, daß ihr die Achſeln<lb/> zukken, und mit einem vornehmen Laͤcheln euch<lb/> in eure goldnen Saͤle zuruͤk ziehen werdet —<lb/> glaub’s wohl, daß ihr in Staͤdten euer Geld<lb/> verpraſſet, und den Untertan darben laßt — daß<lb/> ihr Pavillons auffuͤhret, und die Haͤuſer eurer<lb/> Bauren einſtuͤrzen laßt — daß ihr der armen<lb/> Wittwe ihr kleines Feld raubt, um euch einen<lb/> engliſchen Garten daraus zu bereiten — daß ihr<lb/> <fw place="bottom" type="sig">L 2</fw><lb/><note xml:id="seg2pn_2_2" prev="#seg2pn_2_1" place="foot" n="*)">und ſich uͤber die Unempfindlichkeit einiger Zu-<lb/> ſchauer entruͤſten — und eben <hi rendition="#fr">dieſe</hi> ſah ich her-<lb/> nach einen aͤuſſerſt elenden Menſchen, der halb-<lb/> nakt in der ſtrengſten Kaͤlte, auf Stelzen daher<lb/> hinkend, ſie um ein kleine Gabe anſprach, be-<lb/> ſchimpfen, ſich an der Seite eines Cizisbeo uͤber<lb/> ihn luſtig machen, und ſogar ihn thaͤtlich behan-<lb/> deln. So iſt es mit unſern Modegefuͤhlen,<lb/><hi rendition="#fr">wahres Gaukelſpiel,</hi> und <hi rendition="#fr">Marionettenem-<lb/> pfindung. Wahre Empfindung</hi> plaudert nie,<lb/> ſondern handelt.</note><lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [163/0171]
Es wuͤrde mir ſehr wehe thun, wenn ihr
glaubtet, meine erhizte Fantaſie haͤtte euch mit
einem Bilde getaͤuſcht, das nirgends zu finden iſt;
um eurer ſelbſt willen wollt ich, meine Fantaſie
haͤtte euch getaͤuſchet, aber warlich das hat ſie
nicht, ſie hat euch nur unvollkommen das Elend
in Huͤtten, das Elend eurer Untertanen ge-
zeichnet. — Glaub’s wohl, daß ihr die Achſeln
zukken, und mit einem vornehmen Laͤcheln euch
in eure goldnen Saͤle zuruͤk ziehen werdet —
glaub’s wohl, daß ihr in Staͤdten euer Geld
verpraſſet, und den Untertan darben laßt — daß
ihr Pavillons auffuͤhret, und die Haͤuſer eurer
Bauren einſtuͤrzen laßt — daß ihr der armen
Wittwe ihr kleines Feld raubt, um euch einen
engliſchen Garten daraus zu bereiten — daß ihr
*)
*) und ſich uͤber die Unempfindlichkeit einiger Zu-
ſchauer entruͤſten — und eben dieſe ſah ich her-
nach einen aͤuſſerſt elenden Menſchen, der halb-
nakt in der ſtrengſten Kaͤlte, auf Stelzen daher
hinkend, ſie um ein kleine Gabe anſprach, be-
ſchimpfen, ſich an der Seite eines Cizisbeo uͤber
ihn luſtig machen, und ſogar ihn thaͤtlich behan-
deln. So iſt es mit unſern Modegefuͤhlen,
wahres Gaukelſpiel, und Marionettenem-
pfindung. Wahre Empfindung plaudert nie,
ſondern handelt.
L 2
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/knueppeln_rechte_1784 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/knueppeln_rechte_1784/171 |
Zitationshilfe: | Knüppeln, Julius Friedrich: Die Rechte der Natur und Menschheit, entweiht durch Menschen. Berlin, 1784, S. 163. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/knueppeln_rechte_1784/171>, abgerufen am 05.07.2024. |