leblosen Saiten berührte, und ihnen Töne ent- lokte, die ans Herz redeten.
Ach, Gott! auch Sie weinen schon (meine Tränen glitten unaufhaltbar die Wangen herab) sparen Sie ihre Tränen, Sie sollen noch mehr hören, denn hätte sie der wilde Kalmuk gesehen, er hätte nicht ehemals unsere Hütten geplündert, unsere Saaten verwüstet.
Wir waren stolz auf sie, unsere Nachbarn verehrten, Fremde bewunderten sie, man nannte sie überall die schöne Lilla! Der Tod hat jezt die Züge unkennbar gemacht, alle Reize vernich- tet, ja, und das ist der Wurm der an unsern Herzen naget, sie selbst hat den Faden ihres Le- bens gekürzet, sie selbst wünschte, gab sich den Tod -- Sie fiel, doch nicht wie Schwache und Feige fallen, sie fiel unter der gewaltigen Hand der Liebe. Ach! wie sie kämpfte, wie oft wir sie hingeworfen auf grünenden Rasen in der Stunde der Mitternacht fanden, wie das schlummernde Gefühl vergeßner Liebe, von neuem ermuntert, sich abarbeitete zur Ohnmacht, und das beste, holdseligste Geschöpf so ohne Bewustsein in die Arme des Todes sank!
lebloſen Saiten beruͤhrte, und ihnen Toͤne ent- lokte, die ans Herz redeten.
Ach, Gott! auch Sie weinen ſchon (meine Traͤnen glitten unaufhaltbar die Wangen herab) ſparen Sie ihre Traͤnen, Sie ſollen noch mehr hoͤren, denn haͤtte ſie der wilde Kalmuk geſehen, er haͤtte nicht ehemals unſere Huͤtten gepluͤndert, unſere Saaten verwuͤſtet.
Wir waren ſtolz auf ſie, unſere Nachbarn verehrten, Fremde bewunderten ſie, man nannte ſie uͤberall die ſchoͤne Lilla! Der Tod hat jezt die Zuͤge unkennbar gemacht, alle Reize vernich- tet, ja, und das iſt der Wurm der an unſern Herzen naget, ſie ſelbſt hat den Faden ihres Le- bens gekuͤrzet, ſie ſelbſt wuͤnſchte, gab ſich den Tod — Sie fiel, doch nicht wie Schwache und Feige fallen, ſie fiel unter der gewaltigen Hand der Liebe. Ach! wie ſie kaͤmpfte, wie oft wir ſie hingeworfen auf gruͤnenden Raſen in der Stunde der Mitternacht fanden, wie das ſchlummernde Gefuͤhl vergeßner Liebe, von neuem ermuntert, ſich abarbeitete zur Ohnmacht, und das beſte, holdſeligſte Geſchoͤpf ſo ohne Bewuſtſein in die Arme des Todes ſank!
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lebloſen Saiten beruͤhrte, und ihnen Toͤne ent-
lokte, die ans Herz redeten.
Ach, Gott! auch Sie weinen ſchon (meine
Traͤnen glitten unaufhaltbar die Wangen herab)
ſparen Sie ihre Traͤnen, Sie ſollen noch mehr
hoͤren, denn haͤtte ſie der wilde Kalmuk geſehen,
er haͤtte nicht ehemals unſere Huͤtten gepluͤndert,
unſere Saaten verwuͤſtet.
Wir waren ſtolz auf ſie, unſere Nachbarn
verehrten, Fremde bewunderten ſie, man nannte
ſie uͤberall die ſchoͤne Lilla! Der Tod hat jezt
die Zuͤge unkennbar gemacht, alle Reize vernich-
tet, ja, und das iſt der Wurm der an unſern
Herzen naget, ſie ſelbſt hat den Faden ihres Le-
bens gekuͤrzet, ſie ſelbſt wuͤnſchte, gab ſich den
Tod — Sie fiel, doch nicht wie Schwache und
Feige fallen, ſie fiel unter der gewaltigen Hand
der Liebe. Ach! wie ſie kaͤmpfte, wie oft wir ſie
hingeworfen auf gruͤnenden Raſen in der Stunde
der Mitternacht fanden, wie das ſchlummernde
Gefuͤhl vergeßner Liebe, von neuem ermuntert,
ſich abarbeitete zur Ohnmacht, und das beſte,
holdſeligſte Geſchoͤpf ſo ohne Bewuſtſein in die
Arme des Todes ſank!
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Knüppeln, Julius Friedrich: Die Rechte der Natur und Menschheit, entweiht durch Menschen. Berlin, 1784, S. 108. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/knueppeln_rechte_1784/116>, abgerufen am 05.07.2024.
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