den Abend heraufwallen, sah die stille Ruhe der Na- tur, die mit leisen Fittigen auf die Flur herabsank. Meine Brust schlug heftiger, mein Athem ward leiser, meine Seele strömte in Gefühle des Danks für jenes Wesen aus, was so viel Freude für die Menschenkinder bereitete, und uns ein Herz gab, diese Freuden zu geniessen, bis einst der Abend un- sers Lebens hereinbricht. Auch mein Abend däm- mert nicht mehr, nein, er rauscht schon mit seinen Fittigen hernieder, und ich sehne mich nach ihm -- ich erwarte ihn -- ich freue mich seiner -- Die Menschen haben mir den Genus der Freude verbit- tert, sie haben mir Wermut und bittere Salze in den Kelch gethan; soll ich ich ihn ganz bis auf die Hefen ausleeren? soll ich so vernichtet werden, daß die Fugen der Teile auseinander weichen und zer- trümmert da liegen? -- Nein, mein Schöpfer! ich bin ein schwaches Weib, laß mich nicht so tief sinken, raube mir nicht noch das wenige Vertrauen, was ich zur Bekämpfung so vieler Leiden so nöthig bedarf, entreiß mir nicht den heitern Gedanken, dort erscheint sie mir wieder die lächelnde Freude, und an ihrer Hand durchwalle ich die Amarantenge- silde des ewigen Lebens. --
Oft habe ich in einsamen Nächten meinen Schö- pfer um meine Austösung gebeten, und jezt scheint
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den Abend heraufwallen, ſah die ſtille Ruhe der Na- tur, die mit leiſen Fittigen auf die Flur herabſank. Meine Bruſt ſchlug heftiger, mein Athem ward leiſer, meine Seele ſtroͤmte in Gefuͤhle des Danks fuͤr jenes Weſen aus, was ſo viel Freude fuͤr die Menſchenkinder bereitete, und uns ein Herz gab, dieſe Freuden zu genieſſen, bis einſt der Abend un- ſers Lebens hereinbricht. Auch mein Abend daͤm- mert nicht mehr, nein, er rauſcht ſchon mit ſeinen Fittigen hernieder, und ich ſehne mich nach ihm — ich erwarte ihn — ich freue mich ſeiner — Die Menſchen haben mir den Genus der Freude verbit- tert, ſie haben mir Wermut und bittere Salze in den Kelch gethan; ſoll ich ich ihn ganz bis auf die Hefen ausleeren? ſoll ich ſo vernichtet werden, daß die Fugen der Teile auseinander weichen und zer- truͤmmert da liegen? — Nein, mein Schoͤpfer! ich bin ein ſchwaches Weib, laß mich nicht ſo tief ſinken, raube mir nicht noch das wenige Vertrauen, was ich zur Bekaͤmpfung ſo vieler Leiden ſo noͤthig bedarf, entreiß mir nicht den heitern Gedanken, dort erſcheint ſie mir wieder die laͤchelnde Freude, und an ihrer Hand durchwalle ich die Amarantenge- ſilde des ewigen Lebens. —
Oft habe ich in einſamen Naͤchten meinen Schoͤ- pfer um meine Auſtoͤſung gebeten, und jezt ſcheint
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den Abend heraufwallen, ſah die ſtille Ruhe der Na-
tur, die mit leiſen Fittigen auf die Flur herabſank.
Meine Bruſt ſchlug heftiger, mein Athem ward
leiſer, meine Seele ſtroͤmte in Gefuͤhle des Danks
fuͤr jenes Weſen aus, was ſo viel Freude fuͤr die
Menſchenkinder bereitete, und uns ein Herz gab,
dieſe Freuden zu genieſſen, bis einſt der Abend un-
ſers Lebens hereinbricht. Auch mein Abend daͤm-
mert nicht mehr, nein, er rauſcht ſchon mit ſeinen
Fittigen hernieder, und ich ſehne mich nach ihm —
ich erwarte ihn — ich freue mich ſeiner — Die
Menſchen haben mir den Genus der Freude verbit-
tert, ſie haben mir Wermut und bittere Salze in
den Kelch gethan; ſoll ich ich ihn ganz bis auf die
Hefen ausleeren? ſoll ich ſo vernichtet werden, daß
die Fugen der Teile auseinander weichen und zer-
truͤmmert da liegen? — Nein, mein Schoͤpfer!
ich bin ein ſchwaches Weib, laß mich nicht ſo tief
ſinken, raube mir nicht noch das wenige Vertrauen,
was ich zur Bekaͤmpfung ſo vieler Leiden ſo noͤthig
bedarf, entreiß mir nicht den heitern Gedanken,
dort erſcheint ſie mir wieder die laͤchelnde Freude,
und an ihrer Hand durchwalle ich die Amarantenge-
ſilde des ewigen Lebens. —
Oft habe ich in einſamen Naͤchten meinen Schoͤ-
pfer um meine Auſtoͤſung gebeten, und jezt ſcheint
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Knüppeln, Julius Friedrich: Die Rechte der Natur und Menschheit, entweiht durch Menschen. Berlin, 1784, S. 99. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/knueppeln_rechte_1784/107>, abgerufen am 26.07.2024.
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