seine Tränen troknet, und ihm seine Leiden weniger fühlbar macht, da er Trost und Hofnung auf ihn herabsenkt. Aber wen habe ich? wen darf ich zum Vertrauten meines Kummers, meiner Tränen ma- chen? Die, welche mir dies elende Dasein gaben, sind hart nnd grausam, spotten meiner Tränen, haben kein Gefühl für das, was im Jnnern krampft und wütet -- und der, dessen Weib ich bin, sieht mit Blikken der Verachtung und des Spotts auf mich herab. Er hat mich nie geliebt, nur mein Ver- mögen war es, wonach er geizte; nun er das be- sizt, so hönet er mich, geht zu feilen Nimfen, und Bulerinnen und lacht über sein Weib, das im stil- len sich abkümmert. Wir sehen uns selten, und das ist Wolthat für mich, denn seine Blikke sind Blikke des Despoten, der mich als seine Sklavin behandelt, die er aus dem Staube erhub.
Er hat einen nichtswürdigen Buben zu meinem Hüter gesezt, der all' meine Tritte belauschet, ja der mich mit dem Ton des Mitleids, zur Verräterin meines Herzens machen will. Glaubt etwa der Bar- bar, ich werde, so wie er, beschworne Treue brechen? Nein! so wahr ein Gott im Himmel lebt, der uns einst richten wird, das kann Julie nicht. Als ich am Altar das Ja lallte, so unterdrükte ich jeden Wunsch an das, was mir theurer als mein Leben war, so gelobte ich mir, ihn nie wieder zu sehen --
ſeine Traͤnen troknet, und ihm ſeine Leiden weniger fuͤhlbar macht, da er Troſt und Hofnung auf ihn herabſenkt. Aber wen habe ich? wen darf ich zum Vertrauten meines Kummers, meiner Traͤnen ma- chen? Die, welche mir dies elende Daſein gaben, ſind hart nnd grauſam, ſpotten meiner Traͤnen, haben kein Gefuͤhl fuͤr das, was im Jnnern krampft und wuͤtet — und der, deſſen Weib ich bin, ſieht mit Blikken der Verachtung und des Spotts auf mich herab. Er hat mich nie geliebt, nur mein Ver- moͤgen war es, wonach er geizte; nun er das be- ſizt, ſo hoͤnet er mich, geht zu feilen Nimfen, und Bulerinnen und lacht uͤber ſein Weib, das im ſtil- len ſich abkuͤmmert. Wir ſehen uns ſelten, und das iſt Wolthat fuͤr mich, denn ſeine Blikke ſind Blikke des Deſpoten, der mich als ſeine Sklavin behandelt, die er aus dem Staube erhub.
Er hat einen nichtswuͤrdigen Buben zu meinem Huͤter geſezt, der all’ meine Tritte belauſchet, ja der mich mit dem Ton des Mitleids, zur Verraͤterin meines Herzens machen will. Glaubt etwa der Bar- bar, ich werde, ſo wie er, beſchworne Treue brechen? Nein! ſo wahr ein Gott im Himmel lebt, der uns einſt richten wird, das kann Julie nicht. Als ich am Altar das Ja lallte, ſo unterdruͤkte ich jeden Wunſch an das, was mir theurer als mein Leben war, ſo gelobte ich mir, ihn nie wieder zu ſehen —
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0100"n="92"/>ſeine Traͤnen troknet, und ihm ſeine Leiden weniger<lb/>
fuͤhlbar macht, da er Troſt und Hofnung auf ihn<lb/>
herabſenkt. Aber <hirendition="#fr">wen habe ich?</hi> wen darf ich zum<lb/>
Vertrauten meines Kummers, meiner Traͤnen ma-<lb/>
chen? Die, welche mir dies elende Daſein gaben,<lb/>ſind hart nnd grauſam, ſpotten meiner Traͤnen,<lb/>
haben kein Gefuͤhl fuͤr das, was im Jnnern krampft<lb/>
und wuͤtet — und der, deſſen Weib ich bin, ſieht<lb/>
mit Blikken der Verachtung und des Spotts auf<lb/>
mich herab. Er hat mich nie geliebt, nur mein Ver-<lb/>
moͤgen war es, wonach er geizte; nun er das be-<lb/>ſizt, ſo hoͤnet er mich, geht zu feilen Nimfen, und<lb/>
Bulerinnen und lacht uͤber ſein Weib, das im ſtil-<lb/>
len ſich abkuͤmmert. Wir ſehen uns ſelten, und<lb/>
das iſt Wolthat fuͤr mich, denn ſeine Blikke ſind<lb/>
Blikke des Deſpoten, der mich als ſeine Sklavin<lb/>
behandelt, die er aus dem Staube erhub.</p><lb/><p>Er hat einen nichtswuͤrdigen Buben zu meinem<lb/>
Huͤter geſezt, der all’ meine Tritte belauſchet, ja<lb/>
der mich mit dem Ton des Mitleids, zur Verraͤterin<lb/>
meines Herzens machen will. Glaubt etwa der Bar-<lb/>
bar, ich werde, ſo wie er, beſchworne Treue brechen?<lb/>
Nein! ſo wahr ein Gott im Himmel lebt, der uns<lb/>
einſt richten wird, das kann <hirendition="#fr">Julie</hi> nicht. Als<lb/>
ich am Altar das Ja lallte, ſo unterdruͤkte ich jeden<lb/>
Wunſch an das, was mir theurer als mein Leben<lb/>
war, ſo gelobte ich mir, ihn nie wieder zu ſehen —<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[92/0100]
ſeine Traͤnen troknet, und ihm ſeine Leiden weniger
fuͤhlbar macht, da er Troſt und Hofnung auf ihn
herabſenkt. Aber wen habe ich? wen darf ich zum
Vertrauten meines Kummers, meiner Traͤnen ma-
chen? Die, welche mir dies elende Daſein gaben,
ſind hart nnd grauſam, ſpotten meiner Traͤnen,
haben kein Gefuͤhl fuͤr das, was im Jnnern krampft
und wuͤtet — und der, deſſen Weib ich bin, ſieht
mit Blikken der Verachtung und des Spotts auf
mich herab. Er hat mich nie geliebt, nur mein Ver-
moͤgen war es, wonach er geizte; nun er das be-
ſizt, ſo hoͤnet er mich, geht zu feilen Nimfen, und
Bulerinnen und lacht uͤber ſein Weib, das im ſtil-
len ſich abkuͤmmert. Wir ſehen uns ſelten, und
das iſt Wolthat fuͤr mich, denn ſeine Blikke ſind
Blikke des Deſpoten, der mich als ſeine Sklavin
behandelt, die er aus dem Staube erhub.
Er hat einen nichtswuͤrdigen Buben zu meinem
Huͤter geſezt, der all’ meine Tritte belauſchet, ja
der mich mit dem Ton des Mitleids, zur Verraͤterin
meines Herzens machen will. Glaubt etwa der Bar-
bar, ich werde, ſo wie er, beſchworne Treue brechen?
Nein! ſo wahr ein Gott im Himmel lebt, der uns
einſt richten wird, das kann Julie nicht. Als
ich am Altar das Ja lallte, ſo unterdruͤkte ich jeden
Wunſch an das, was mir theurer als mein Leben
war, ſo gelobte ich mir, ihn nie wieder zu ſehen —
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Knüppeln, Julius Friedrich: Die Rechte der Natur und Menschheit, entweiht durch Menschen. Berlin, 1784, S. 92. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/knueppeln_rechte_1784/100>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.