Knorr, Christian: Poetische Erörterung der Frage / Ob die Liebe durch den Ehstand gemehret oder gemindert werde? in demselben ab- oder zunehme? Breslau, um 1700.IHr Seelen / die ihr euch der Libe Macht verschriben / Und unter ihrem Fahn eur höchstes Glücke sucht / Die ihr durch den Magnet der Schönheit angetriben /Der Freyheit schweres Joch in Höll und Grab verflucht. Glaubt nicht / daß dieser Reim werd' eure Wahl beflecken /Nein sicher: Er begibt mit euch sich in die Reyh / Und wird vor aller Welt gantz ungescheut entdecken /Daß auf der Erde nichts so süß als Liben sey. Welch aufgeweckter Geist / welch feuriges GemütteWird sich der Libe Macht zu tadeln unterstehn? Da manch erlauchtes Haupt und Königlich GeblütteIn ihren Fesseln sich nicht scheut einherzugehn. Man siht die Sternen selbst in süsser Libe brennen /Der Weinstock ist verlibt in seinen Ulmen-Baum / Wer kan vom Agtstein Spreu / Magnet vom Eisen trennen?Sucht bey der Sonne nicht die Sonnenwende Raum? Gewiß die Libe bleibt der Zucker dieses Lebens /Der Sinnen Mandelmilch / der Seele Paradeiß; Wo Libe nicht der Zweck / ist alle Müh vergebens /Sie ists / die Hertz und Geist recht zuvergnügen weiß. Dis ist die Gold-Tincktur / die stärckt und heilt viel besser /Flöst auch weit größre Krafft den schwachen Adern ein / Als mit viel Bezoar und Perlen schwangre Wässer /Die Krancken oft mehr Gift als süsses Labsal seyn. So ists: Wo aber ist ein festes Band zu finden?Wer hat ein solches Ertz der Welt bekant gemacht / Das unzertrennlich ist und die kan ewig binden /Die Köder reiner Lust der Lib ins Garn gebracht? Hir steckt die gröste Kunst / wer hir weiß vorzubauen /Daß Lib und Wechsel nicht in gleicher Reyhe gehn / Und allzeit eine Kost nicht letzt erweck ein Grauen /Den mag man Sternen gleich mit höchstem Fug erhöhn. Zwar weiß ich / werden viel mit vollem Halse sprechen /Die mehr der Sache Schein als wahren Grund besehn / Der Ehstand sey dis Band / so keine Macht kan brechen /Dis Feuer / so kein Wind sey tüchtig auß-zu-wehn. Ach aber! weit gefehlt! hir eben steckt die Klippe /An der so manches Schiff zu Grund und Drümmern fährt / IHr Seelen / die ihr euch der Libe Macht verschriben / Und unter ihrem Fahn eur höchstes Glücke sucht / Die ihr durch den Magnet der Schönheit angetriben /Der Freyheit schweres Joch in Höll und Grab verflucht. Glaubt nicht / daß dieser Reim werd’ eure Wahl beflecken /Nein sicher: Er begibt mit euch sich in die Reyh / Und wird vor aller Welt gantz ungescheut entdecken /Daß auf der Erde nichts so süß als Liben sey. Welch aufgeweckter Geist / welch feuriges GemütteWird sich der Libe Macht zu tadeln unterstehn? Da manch erlauchtes Haupt und Königlich GeblütteIn ihren Fesseln sich nicht scheut einherzugehn. Man siht die Sternen selbst in süsser Libe brennen /Der Weinstock ist verlibt in seinen Ulmen-Baum / Wer kan vom Agtstein Spreu / Magnet vom Eisen trennen?Sucht bey der Sonne nicht die Sonnenwende Raum? Gewiß die Libe bleibt der Zucker dieses Lebens /Der Sinnen Mandelmilch / der Seele Paradeiß; Wo Libe nicht der Zweck / ist alle Müh vergebens /Sie ists / die Hertz und Geist recht zuvergnügen weiß. Dis ist die Gold-Tincktur / die stärckt und heilt viel besser /Flöst auch weit größre Krafft den schwachen Adern ein / Als mit viel Bezoar und Perlen schwangre Wässer /Die Krancken oft mehr Gift als süsses Labsal seyn. So ists: Wo aber ist ein festes Band zu finden?Wer hat ein solches Ertz der Welt bekant gemacht / Das unzertrennlich ist und die kan ewig binden /Die Köder reiner Lust der Lib ins Garn gebracht? Hir steckt die gröste Kunst / wer hir weiß vorzubauen /Daß Lib und Wechsel nicht in gleicher Reyhe gehn / Und allzeit eine Kost nicht letzt erweck ein Grauen /Den mag man Sternen gleich mit höchstem Fug erhöhn. Zwar weiß ich / werden viel mit vollem Halse sprechen /Die mehr der Sache Schein als wahren Grund besehn / Der Ehstand sey dis Band / so keine Macht kan brechen /Dis Feuer / so kein Wind sey tüchtig auß-zu-wehn. 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Glaubt nicht / daß dieser Reim werd’ eure Wahl beflecken /
Nein sicher: Er begibt mit euch sich in die Reyh /
Und wird vor aller Welt gantz ungescheut entdecken /
Daß auf der Erde nichts so süß als Liben sey.
Welch aufgeweckter Geist / welch feuriges Gemütte
Wird sich der Libe Macht zu tadeln unterstehn?
Da manch erlauchtes Haupt und Königlich Geblütte
In ihren Fesseln sich nicht scheut einherzugehn.
Man siht die Sternen selbst in süsser Libe brennen /
Der Weinstock ist verlibt in seinen Ulmen-Baum /
Wer kan vom Agtstein Spreu / Magnet vom Eisen trennen?
Sucht bey der Sonne nicht die Sonnenwende Raum?
Gewiß die Libe bleibt der Zucker dieses Lebens /
Der Sinnen Mandelmilch / der Seele Paradeiß;
Wo Libe nicht der Zweck / ist alle Müh vergebens /
Sie ists / die Hertz und Geist recht zuvergnügen weiß.
Dis ist die Gold-Tincktur / die stärckt und heilt viel besser /
Flöst auch weit größre Krafft den schwachen Adern ein /
Als mit viel Bezoar und Perlen schwangre Wässer /
Die Krancken oft mehr Gift als süsses Labsal seyn.
So ists: Wo aber ist ein festes Band zu finden?
Wer hat ein solches Ertz der Welt bekant gemacht /
Das unzertrennlich ist und die kan ewig binden /
Die Köder reiner Lust der Lib ins Garn gebracht?
Hir steckt die gröste Kunst / wer hir weiß vorzubauen /
Daß Lib und Wechsel nicht in gleicher Reyhe gehn /
Und allzeit eine Kost nicht letzt erweck ein Grauen /
Den mag man Sternen gleich mit höchstem Fug erhöhn.
Zwar weiß ich / werden viel mit vollem Halse sprechen /
Die mehr der Sache Schein als wahren Grund besehn /
Der Ehstand sey dis Band / so keine Macht kan brechen /
Dis Feuer / so kein Wind sey tüchtig auß-zu-wehn.
Ach aber! weit gefehlt! hir eben steckt die Klippe /
An der so manches Schiff zu Grund und Drümmern fährt /
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Zitationshilfe: | Knorr, Christian: Poetische Erörterung der Frage / Ob die Liebe durch den Ehstand gemehret oder gemindert werde? in demselben ab- oder zunehme? Breslau, um 1700, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/knorr_liebe_1700/2>, abgerufen am 28.07.2024. |