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Knigge, Adolph von: Ueber den Umgang mit Menschen. Bd. 2. Hannover, 1788.

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bracht und erbittert gegen den Mann, der ihre
Erwartungen so getäuscht hatte, und das gieng
denn so weit, daß Alle behaupteten: Dieser sey
nicht der Abbe' Raynal gewesen, oder es sey ohn¬
möglich, daß der Abbe' Raynal so schöne Sachen
geschrieben habe.

Spricht aber ein Gelehrter, ein Künstler
gern und viel von seinem Fache! so nim ihm
auch das nicht übel auf! Die unglückliche Poly¬
historey, die Wuth auf allen Zweigen der Wis¬
senschaften und Künste herumzuhüpfen, sich zu
schämen, daß irgend etwas unter der Sonne
seyn dürfte, worüber wir nicht raisonnieren
könnten, ist nicht eben das, was unserm Zeit¬
alter am mehrsten Ehre macht, und wenn es
langweilig ist, einen Mann alle Gespräche auf
seinen Lieblings-Gegenstand lenken zu hören; so
ist es mehr als langweilig, es ist empöhrend,
wenn ein Schwätzer entscheidende Urtheile über
Dinge ausspricht, die gänzlich ausser seinem Ge¬
sichtskreise liegen, wenn der Priester über Poli¬
tic, der Jurist über Theater, der Arzt über Ma¬
lerey, die Cokette über philosophische Gegen¬
stände, der süße Herr über Tactic deraisoniert.

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bracht und erbittert gegen den Mann, der ihre
Erwartungen ſo getaͤuſcht hatte, und das gieng
denn ſo weit, daß Alle behaupteten: Dieſer ſey
nicht der Abbe' Raynal geweſen, oder es ſey ohn¬
moͤglich, daß der Abbe' Raynal ſo ſchoͤne Sachen
geſchrieben habe.

Spricht aber ein Gelehrter, ein Kuͤnſtler
gern und viel von ſeinem Fache! ſo nim ihm
auch das nicht uͤbel auf! Die ungluͤckliche Poly¬
hiſtorey, die Wuth auf allen Zweigen der Wiſ¬
ſenſchaften und Kuͤnſte herumzuhuͤpfen, ſich zu
ſchaͤmen, daß irgend etwas unter der Sonne
ſeyn duͤrfte, woruͤber wir nicht raiſonnieren
koͤnnten, iſt nicht eben das, was unſerm Zeit¬
alter am mehrſten Ehre macht, und wenn es
langweilig iſt, einen Mann alle Geſpraͤche auf
ſeinen Lieblings-Gegenſtand lenken zu hoͤren; ſo
iſt es mehr als langweilig, es iſt empoͤhrend,
wenn ein Schwaͤtzer entſcheidende Urtheile uͤber
Dinge ausſpricht, die gaͤnzlich auſſer ſeinem Ge¬
ſichtskreiſe liegen, wenn der Prieſter uͤber Poli¬
tic, der Juriſt uͤber Theater, der Arzt uͤber Ma¬
lerey, die Cokette uͤber philoſophiſche Gegen¬
ſtaͤnde, der ſuͤße Herr uͤber Tactic deraiſoniert.

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[73/0095] bracht und erbittert gegen den Mann, der ihre Erwartungen ſo getaͤuſcht hatte, und das gieng denn ſo weit, daß Alle behaupteten: Dieſer ſey nicht der Abbe' Raynal geweſen, oder es ſey ohn¬ moͤglich, daß der Abbe' Raynal ſo ſchoͤne Sachen geſchrieben habe. Spricht aber ein Gelehrter, ein Kuͤnſtler gern und viel von ſeinem Fache! ſo nim ihm auch das nicht uͤbel auf! Die ungluͤckliche Poly¬ hiſtorey, die Wuth auf allen Zweigen der Wiſ¬ ſenſchaften und Kuͤnſte herumzuhuͤpfen, ſich zu ſchaͤmen, daß irgend etwas unter der Sonne ſeyn duͤrfte, woruͤber wir nicht raiſonnieren koͤnnten, iſt nicht eben das, was unſerm Zeit¬ alter am mehrſten Ehre macht, und wenn es langweilig iſt, einen Mann alle Geſpraͤche auf ſeinen Lieblings-Gegenſtand lenken zu hoͤren; ſo iſt es mehr als langweilig, es iſt empoͤhrend, wenn ein Schwaͤtzer entſcheidende Urtheile uͤber Dinge ausſpricht, die gaͤnzlich auſſer ſeinem Ge¬ ſichtskreiſe liegen, wenn der Prieſter uͤber Poli¬ tic, der Juriſt uͤber Theater, der Arzt uͤber Ma¬ lerey, die Cokette uͤber philoſophiſche Gegen¬ ſtaͤnde, der ſuͤße Herr uͤber Tactic deraiſoniert. Er¬ E 5

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Zitationshilfe: Knigge, Adolph von: Ueber den Umgang mit Menschen. Bd. 2. Hannover, 1788, S. 73. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/knigge_umgang02_1788/95>, abgerufen am 27.04.2024.