Klarheit durchschauet. Und dann giebt es auch Gesellschaften, in welchen die Leute so gänzlich anders als wir gestimmt sind, die Dinge von so durchaus andern Seiten ansehen, daß es nicht möglich ist, in dem ersten Augenblicke sich so zu fassen, daß man etwas Gescheutes auf das antworte, was sie uns vortragen. Auch hat ja ein Gelehrter, so gut als ein andrer Erdensohn, seine Launen, ist nicht stets gleich aufgelegt zu wissenschaftlichen und überhaupt zu solchen Ge¬ sprächen, die Nachdenken erfordern; Oder die Menschen, die er um sich sieht, behagen ihn nicht, scheinen ihm keines Aufwandes von Ver¬ stand und Witz würdig.
Als vor ohngefehr sieben Jahren der Abbe' Raynal in den Rhein-Gegenden war, wurde ich einst mit ihm in einem vornehmen Hause zu Gaste geladen. Es hatte sich da eine Schaar neugieriger Damen und Herrn nebst einigen schönen Geistern versammlet, um ihn zu bewun¬ dern, und von ihm bewundert zu werden. Er schien zu beyden nicht aufgelegt und, ich gestehe es, der Ton seiner Unterhaltung gefiel mir gar nicht. Die ganze Gesellschaft aber war aufge¬
bracht
Klarheit durchſchauet. Und dann giebt es auch Geſellſchaften, in welchen die Leute ſo gaͤnzlich anders als wir geſtimmt ſind, die Dinge von ſo durchaus andern Seiten anſehen, daß es nicht moͤglich iſt, in dem erſten Augenblicke ſich ſo zu faſſen, daß man etwas Geſcheutes auf das antworte, was ſie uns vortragen. Auch hat ja ein Gelehrter, ſo gut als ein andrer Erdenſohn, ſeine Launen, iſt nicht ſtets gleich aufgelegt zu wiſſenſchaftlichen und uͤberhaupt zu ſolchen Ge¬ ſpraͤchen, die Nachdenken erfordern; Oder die Menſchen, die er um ſich ſieht, behagen ihn nicht, ſcheinen ihm keines Aufwandes von Ver¬ ſtand und Witz wuͤrdig.
Als vor ohngefehr ſieben Jahren der Abbe' Raynal in den Rhein-Gegenden war, wurde ich einſt mit ihm in einem vornehmen Hauſe zu Gaſte geladen. Es hatte ſich da eine Schaar neugieriger Damen und Herrn nebſt einigen ſchoͤnen Geiſtern verſammlet, um ihn zu bewun¬ dern, und von ihm bewundert zu werden. Er ſchien zu beyden nicht aufgelegt und, ich geſtehe es, der Ton ſeiner Unterhaltung gefiel mir gar nicht. Die ganze Geſellſchaft aber war aufge¬
bracht
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Klarheit durchſchauet. Und dann giebt es auch
Geſellſchaften, in welchen die Leute ſo gaͤnzlich
anders als wir geſtimmt ſind, die Dinge von ſo
durchaus andern Seiten anſehen, daß es nicht
moͤglich iſt, in dem erſten Augenblicke ſich ſo
zu faſſen, daß man etwas Geſcheutes auf das
antworte, was ſie uns vortragen. Auch hat ja
ein Gelehrter, ſo gut als ein andrer Erdenſohn,
ſeine Launen, iſt nicht ſtets gleich aufgelegt zu
wiſſenſchaftlichen und uͤberhaupt zu ſolchen Ge¬
ſpraͤchen, die Nachdenken erfordern; Oder die
Menſchen, die er um ſich ſieht, behagen ihn
nicht, ſcheinen ihm keines Aufwandes von Ver¬
ſtand und Witz wuͤrdig.
Als vor ohngefehr ſieben Jahren der Abbe'
Raynal in den Rhein-Gegenden war, wurde
ich einſt mit ihm in einem vornehmen Hauſe zu
Gaſte geladen. Es hatte ſich da eine Schaar
neugieriger Damen und Herrn nebſt einigen
ſchoͤnen Geiſtern verſammlet, um ihn zu bewun¬
dern, und von ihm bewundert zu werden. Er
ſchien zu beyden nicht aufgelegt und, ich geſtehe
es, der Ton ſeiner Unterhaltung gefiel mir gar
nicht. Die ganze Geſellſchaft aber war aufge¬
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Knigge, Adolph von: Ueber den Umgang mit Menschen. Bd. 2. Hannover, 1788, S. 72. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/knigge_umgang02_1788/94>, abgerufen am 16.02.2025.
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