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Knigge, Adolph von: Ueber den Umgang mit Menschen. Bd. 2. Hannover, 1788.

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werden? Und giebt es nicht einen Mittelweg,
zwischen übertriebener Nachsicht, und despoti¬
scher Strenge und Grausamkeit? Ich verlange
nicht, daß ein Landes- oder Gutsherr sich des
Rechts begeben soll, seine Unterthanen zu gewis¬
sen schuldigen Diensten zu brauchen; allein er
soll nicht, damit er, zum Beyspiele, das grau¬
same Vergnügen einer Hirsch- und Schweine-
Metzeley schmecke, den Bauer, zu einer Zeit,
wo seine Gegenwart zu Hause ihn und seine
Familie gegen Mangel schützen muß, mehr Tage
hinter einander in strenger Kälte mit leerem
Magen herumlaufen, und Ohren und Nasen er¬
frieren lassen. Er soll ihm die schuldigen Ab¬
gaben nicht schenken; aber er soll Nachsicht mit
seinen Umständen haben, Rücksicht auf erlittene
Unglücksfälle nehmen, und darauf halten, daß
die Beamten die Gelder zu einer Zeit eintreiben,
wo es dem armen Landmanne weniger schwer
wird, baare Münze aufzutreiben, ohne sich mit
Leib und Seele dem Juden oder dem bösen
Feinde zu verschreiben.

Man schwätzt so viel von Verbesserung der
Dorfschulen und Aufklärung des Landvolks; al¬

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werden? Und giebt es nicht einen Mittelweg,
zwiſchen uͤbertriebener Nachſicht, und deſpoti¬
ſcher Strenge und Grauſamkeit? Ich verlange
nicht, daß ein Landes- oder Gutsherr ſich des
Rechts begeben ſoll, ſeine Unterthanen zu gewiſ¬
ſen ſchuldigen Dienſten zu brauchen; allein er
ſoll nicht, damit er, zum Beyſpiele, das grau¬
ſame Vergnuͤgen einer Hirſch- und Schweine-
Metzeley ſchmecke, den Bauer, zu einer Zeit,
wo ſeine Gegenwart zu Hauſe ihn und ſeine
Familie gegen Mangel ſchuͤtzen muß, mehr Tage
hinter einander in ſtrenger Kaͤlte mit leerem
Magen herumlaufen, und Ohren und Naſen er¬
frieren laſſen. Er ſoll ihm die ſchuldigen Ab¬
gaben nicht ſchenken; aber er ſoll Nachſicht mit
ſeinen Umſtaͤnden haben, Ruͤckſicht auf erlittene
Ungluͤcksfaͤlle nehmen, und darauf halten, daß
die Beamten die Gelder zu einer Zeit eintreiben,
wo es dem armen Landmanne weniger ſchwer
wird, baare Muͤnze aufzutreiben, ohne ſich mit
Leib und Seele dem Juden oder dem boͤſen
Feinde zu verſchreiben.

Man ſchwaͤtzt ſo viel von Verbeſſerung der
Dorfſchulen und Aufklaͤrung des Landvolks; al¬

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[148/0170] werden? Und giebt es nicht einen Mittelweg, zwiſchen uͤbertriebener Nachſicht, und deſpoti¬ ſcher Strenge und Grauſamkeit? Ich verlange nicht, daß ein Landes- oder Gutsherr ſich des Rechts begeben ſoll, ſeine Unterthanen zu gewiſ¬ ſen ſchuldigen Dienſten zu brauchen; allein er ſoll nicht, damit er, zum Beyſpiele, das grau¬ ſame Vergnuͤgen einer Hirſch- und Schweine- Metzeley ſchmecke, den Bauer, zu einer Zeit, wo ſeine Gegenwart zu Hauſe ihn und ſeine Familie gegen Mangel ſchuͤtzen muß, mehr Tage hinter einander in ſtrenger Kaͤlte mit leerem Magen herumlaufen, und Ohren und Naſen er¬ frieren laſſen. Er ſoll ihm die ſchuldigen Ab¬ gaben nicht ſchenken; aber er ſoll Nachſicht mit ſeinen Umſtaͤnden haben, Ruͤckſicht auf erlittene Ungluͤcksfaͤlle nehmen, und darauf halten, daß die Beamten die Gelder zu einer Zeit eintreiben, wo es dem armen Landmanne weniger ſchwer wird, baare Muͤnze aufzutreiben, ohne ſich mit Leib und Seele dem Juden oder dem boͤſen Feinde zu verſchreiben. Man ſchwaͤtzt ſo viel von Verbeſſerung der Dorfſchulen und Aufklaͤrung des Landvolks; al¬ lein

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Zitationshilfe: Knigge, Adolph von: Ueber den Umgang mit Menschen. Bd. 2. Hannover, 1788, S. 148. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/knigge_umgang02_1788/170>, abgerufen am 29.03.2024.