Sachwalter geschickte und redliche Männer; so ist der Gang der Justitz in manchen Ländern von der Art, daß man Methusalems Alter er¬ reichen muß, um das Ende eines Processes zu erleben. Da schmachten dann ganze Familien im Elend und Jammer, indeß sich Schelme und hungrige Scribler in ihr Vermögen thei¬ len. Da wird die gegründeteste Forderung, we¬ gen eines kleinen Mangels an elenden Formali¬ täten, für nichtig erklärt. Da muß der Aer¬ mere sich's gefallen lassen, daß sein reicherer Nachbar ihm sein väterliches Erbe entreisst, wenn die Chicane Mittel findet, den Sinn ir¬ gend eines alten Documents zu verdrehn, oder wenn der Unterdrückte nicht Vermögen genug hat, die ungeheuren Kosten zu Führung des Processes aufzubringen. Da müssen Söhne und Enkel ruhig zusehn, wie die Güter ihrer Vorel¬ tern, unter dem Vorwande die darauf haftenden Schulden zu bezahlen, Jahrhunderte hindurch in den Händen privilegierter Diebe bleiben, in¬ deß weder sie noch die Gläubiger Genuß davon haben, wenn diese Diebe nur die Kunst besitzen, Rechnungen aufzustellen, die der gebräuchlichen Form nach richtig sind. Da muß mancher Un¬
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Sachwalter geſchickte und redliche Maͤnner; ſo iſt der Gang der Juſtitz in manchen Laͤndern von der Art, daß man Methuſalems Alter er¬ reichen muß, um das Ende eines Proceſſes zu erleben. Da ſchmachten dann ganze Familien im Elend und Jammer, indeß ſich Schelme und hungrige Scribler in ihr Vermoͤgen thei¬ len. Da wird die gegruͤndeteſte Forderung, we¬ gen eines kleinen Mangels an elenden Formali¬ taͤten, fuͤr nichtig erklaͤrt. Da muß der Aer¬ mere ſich's gefallen laſſen, daß ſein reicherer Nachbar ihm ſein vaͤterliches Erbe entreiſſt, wenn die Chicane Mittel findet, den Sinn ir¬ gend eines alten Documents zu verdrehn, oder wenn der Unterdruͤckte nicht Vermoͤgen genug hat, die ungeheuren Koſten zu Fuͤhrung des Proceſſes aufzubringen. Da muͤſſen Soͤhne und Enkel ruhig zuſehn, wie die Guͤter ihrer Vorel¬ tern, unter dem Vorwande die darauf haftenden Schulden zu bezahlen, Jahrhunderte hindurch in den Haͤnden privilegierter Diebe bleiben, in¬ deß weder ſie noch die Glaͤubiger Genuß davon haben, wenn dieſe Diebe nur die Kunſt beſitzen, Rechnungen aufzuſtellen, die der gebraͤuchlichen Form nach richtig ſind. Da muß mancher Un¬
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Sachwalter geſchickte und redliche Maͤnner; ſo
iſt der Gang der Juſtitz in manchen Laͤndern
von der Art, daß man Methuſalems Alter er¬
reichen muß, um das Ende eines Proceſſes zu
erleben. Da ſchmachten dann ganze Familien
im Elend und Jammer, indeß ſich Schelme
und hungrige Scribler in ihr Vermoͤgen thei¬
len. Da wird die gegruͤndeteſte Forderung, we¬
gen eines kleinen Mangels an elenden Formali¬
taͤten, fuͤr nichtig erklaͤrt. Da muß der Aer¬
mere ſich's gefallen laſſen, daß ſein reicherer
Nachbar ihm ſein vaͤterliches Erbe entreiſſt,
wenn die Chicane Mittel findet, den Sinn ir¬
gend eines alten Documents zu verdrehn, oder
wenn der Unterdruͤckte nicht Vermoͤgen genug
hat, die ungeheuren Koſten zu Fuͤhrung des
Proceſſes aufzubringen. Da muͤſſen Soͤhne und
Enkel ruhig zuſehn, wie die Guͤter ihrer Vorel¬
tern, unter dem Vorwande die darauf haftenden
Schulden zu bezahlen, Jahrhunderte hindurch
in den Haͤnden privilegierter Diebe bleiben, in¬
deß weder ſie noch die Glaͤubiger Genuß davon
haben, wenn dieſe Diebe nur die Kunſt beſitzen,
Rechnungen aufzuſtellen, die der gebraͤuchlichen
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Knigge, Adolph von: Ueber den Umgang mit Menschen. Bd. 2. Hannover, 1788, S. 117. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/knigge_umgang02_1788/139>, abgerufen am 24.11.2024.
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