trauet; wenn unsre Einbildungskraft an Erwar¬ tung wunderbarer, feenmäßiger Entwicklungen und Auflösungen gewöhnt wird; wenn man uns in den Opern dahin bringt, daß es uns gleich¬ gültig ist, ob die gesunde Vernunft empört wird, in so fern nur die Ohren gekitzelt werden; wenn der elendeste Grimassen-Schneider, die unge¬ schickteste Dirne, wenn sie Anhang unter dem Volke haben, allgemeine Bewunderung einernd¬ ten; wenn endlich, um alle diese nichtigen Zwecke zu erlangen, unsre Theater-Dichter sich über Wahrscheinlichkeit, ächte Natur, weise Kunst und Anordnung hinaus, folglich den Zuschauer in den Fall setzen, im Schauspielhause keine Nahrung für den Geist, sondern nur Zeitverkür¬ zung und sinnlichen Genuß zu suchen -- Wer wird sich's da nicht zur Pflicht machen, Jüng¬ lingen und Mädgen den sparsamsten Genuß die¬ ser Vergnügungen zu empfehlen? Und nun, was die Schauspieler betrifft! Ihr Stand hat sehr viel blendendes; Freyheit; Unabhängigkeit von dem Zwange des bürgerlichen Lebens; gute Bezahlung; Beyfall; Vorliebe des Publicums; Gelegenheit da einem ganzen Volke öffentlich Talente zu zeigen, die ausserdem vielleicht ver¬
steckt
trauet; wenn unſre Einbildungskraft an Erwar¬ tung wunderbarer, feenmaͤßiger Entwicklungen und Aufloͤſungen gewoͤhnt wird; wenn man uns in den Opern dahin bringt, daß es uns gleich¬ guͤltig iſt, ob die geſunde Vernunft empoͤrt wird, in ſo fern nur die Ohren gekitzelt werden; wenn der elendeſte Grimaſſen-Schneider, die unge¬ ſchickteſte Dirne, wenn ſie Anhang unter dem Volke haben, allgemeine Bewunderung einernd¬ ten; wenn endlich, um alle dieſe nichtigen Zwecke zu erlangen, unſre Theater-Dichter ſich uͤber Wahrſcheinlichkeit, aͤchte Natur, weiſe Kunſt und Anordnung hinaus, folglich den Zuſchauer in den Fall ſetzen, im Schauſpielhauſe keine Nahrung fuͤr den Geiſt, ſondern nur Zeitverkuͤr¬ zung und ſinnlichen Genuß zu ſuchen — Wer wird ſich's da nicht zur Pflicht machen, Juͤng¬ lingen und Maͤdgen den ſparſamſten Genuß die¬ ſer Vergnuͤgungen zu empfehlen? Und nun, was die Schauſpieler betrifft! Ihr Stand hat ſehr viel blendendes; Freyheit; Unabhaͤngigkeit von dem Zwange des buͤrgerlichen Lebens; gute Bezahlung; Beyfall; Vorliebe des Publicums; Gelegenheit da einem ganzen Volke oͤffentlich Talente zu zeigen, die auſſerdem vielleicht ver¬
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trauet; wenn unſre Einbildungskraft an Erwar¬
tung wunderbarer, feenmaͤßiger Entwicklungen
und Aufloͤſungen gewoͤhnt wird; wenn man uns
in den Opern dahin bringt, daß es uns gleich¬
guͤltig iſt, ob die geſunde Vernunft empoͤrt wird,
in ſo fern nur die Ohren gekitzelt werden; wenn
der elendeſte Grimaſſen-Schneider, die unge¬
ſchickteſte Dirne, wenn ſie Anhang unter dem
Volke haben, allgemeine Bewunderung einernd¬
ten; wenn endlich, um alle dieſe nichtigen Zwecke
zu erlangen, unſre Theater-Dichter ſich uͤber
Wahrſcheinlichkeit, aͤchte Natur, weiſe Kunſt
und Anordnung hinaus, folglich den Zuſchauer
in den Fall ſetzen, im Schauſpielhauſe keine
Nahrung fuͤr den Geiſt, ſondern nur Zeitverkuͤr¬
zung und ſinnlichen Genuß zu ſuchen — Wer
wird ſich's da nicht zur Pflicht machen, Juͤng¬
lingen und Maͤdgen den ſparſamſten Genuß die¬
ſer Vergnuͤgungen zu empfehlen? Und nun,
was die Schauſpieler betrifft! Ihr Stand hat
ſehr viel blendendes; Freyheit; Unabhaͤngigkeit
von dem Zwange des buͤrgerlichen Lebens; gute
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Knigge, Adolph von: Ueber den Umgang mit Menschen. Bd. 2. Hannover, 1788, S. 92. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/knigge_umgang02_1788/114>, abgerufen am 27.11.2024.
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